Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Leitsatz (amtlich)
Die Anstellung eines in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts in einer Einzelkanzlei vermag eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch arbeitsvertragliche Beschränkungen der Befugnisse des angestellten Rechtsanwalts nicht auszuschließen, weil deren Einhaltung in einer Einzelkanzlei - anders als in einer Sozietät - nicht zuverlässig sichergestellt werden kann (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 18.10.2004 - AnwZ (B) 43/03, MDR 2005, 420 = NJW 2005, 511).
Normenkette
BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 7
Verfahrensgang
AGH Berlin (Entscheidung vom 03.09.2004; Aktenzeichen II AGH 17/03) |
Nachgehend
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des II. Senats des AGH Berlin vom 3.9.2004 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Verfahren wird auf 50.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist seit 1983 als Rechtsanwalt bei dem LG B. zugelassen. Die Antragsgegnerin widerrief mit Verfügung vom 16.7.2003 die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wegen Vermögensverfalls.
Der AGH hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 BRAO), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Antragsgegnerin hat die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft zu Recht wegen Vermögensverfalls widerrufen (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO).
1. Der Antragsteller war im Zeitpunkt der Widerrufsverfügung in Vermögensverfall geraten; seine Vermögensverhältnisse sind auch weiterhin nicht geordnet.
a) Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen; Beweisanzeichen hierfür sind insb. die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (st.Rspr.; BGH, Beschl. v. 25.3.1991 - AnwZ(B) 73/90, BRAK 1991, 102; Beschl. v. 21.11.1994 - AnwZ(B) 40/94, BRAK 1995, 126). Der Vermögensverfall wird nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO vermutet, wenn der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Schuldnerverzeichnis (§ 915 ZPO) eingetragen ist.
Gegen den Antragsteller bestanden im Zeitpunkt der Widerrufsverfügung titulierte Forderungen i.H.v. 279.071,35 EUR. Vollstreckungsmaßnahmen waren eingeleitet; insb. war der Antragsteller mit einem Haftbefehl zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Schuldnerverzeichnis des AG Ch. (30 M/02) eingetragen. Die dadurch begründete gesetzliche Vermutung für einen Vermögensverfall hat der Antragsteller nicht widerlegt. Die Antragsgegnerin und der AGH sind deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller in Vermögensverfall geraten war. Dagegen wendet sich der Antragsteller im Beschwerdeverfahren auch nicht.
b) Der Vermögensverfall des Antragstellers besteht fort. Der Antragsteller räumt im Schriftsatz vom 19.1.2005 ein, dass es seit Mitte der 90-er Jahre durch den Wertverfall von Immobilien in der ehemaligen DDR, in die der Antragsteller investiert hatte, zu einer Überschuldung gekommen ist, und beziffert seine gegenwärtigen Verbindlichkeiten in dem von ihm selbst gestellten Insolvenzantrag vom 24.3.2005 auf 1.416.797,99 EUR. Durch Beschluss vom 16.8.2005 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers eröffnet worden. Aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird der Vermögensverfall des Antragstellers nunmehr auch aus diesem Grund gesetzlich vermutet (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Der Übergang der Verfügungsbefugnis des insolventen Rechtsanwalts auf einen Vermögensverwalter führt nicht dazu, dass die Vermögensverhältnisse des Rechtsanwalts bereits deshalb als wieder "geordnet" anzusehen wären (BGH v. 18.10.2004 - AnwZ (B) 43/03, MDR 2005, 420 = NJW 2005, 511, unter II 1, m.w.N.). Die Vermögensverhältnisse eines Schuldners können grundsätzlich erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens, mit welcher der Schuldner das Recht zurückerhält, über die vormalige Insolvenzmasse frei zu verfügen (§ 259 Abs. 1 Satz 2 InsO), und mit der Ankündigung der Restschuldbefreiung durch Beschluss des Insolvenzgerichts (§ 291 Abs. 1 InsO) wieder als geordnet angesehen werden (BGH v. 7.12.2004 - AnwZ (B) 40/04, BGHReport 2005, 815 = MDR 2005, 659 = NJW 2005, 1271, unter II 2 und 3). Diese Voraussetzungen sind bislang nicht gegeben; es ist nach dem Bericht des Insolvenzverwalters vom 27.10.2005 auch nicht absehbar, ob es zu einer Ordnung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers im Insolvenzverfahren kommen wird.
2. Der Vermögensverfall führt regelmäßig zu einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden, insb. im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Mandantengeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern des Rechtsanwalts (st.Rspr.; BGH v. 18.10.2004 - AnwZ (B) 43/03, MDR 2005, 420 = NJW 2005, 511, unter II 2a). Allerdings kann eine Gesamtwürdigung der Person des Rechtsanwalts, der Umstände des eröffneten Insolvenzverfahrens sowie arbeitsvertraglicher Beschränkungen, denen sich der insolvente Rechtsanwalt zum Schutz der Rechtsuchenden unterworfen hat, ausnahmsweise den Schluss rechtfertigen, dass durch den Vermögensverfall eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nicht gegeben ist (BGH v. 18.10.2004 - AnwZ (B) 43/03, MDR 2005, 420 = NJW 2005, 511, unter II 2c). Ein solcher Ausnahmefall, der im vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur selten anzunehmen ist (BGH v. 18.10.2004 - AnwZ (B) 43/03, MDR 2005, 420 = NJW 2005, 511, unter II 2b), liegt hier aber nicht vor.
Der Antragsteller übt den Anwaltsberuf zwar nicht mehr selbständig, sondern als angestellter Rechtsanwalt aus. Die Aufgabe der eigenen Praxis und die Aufnahme einer Tätigkeit als angestellter Rechtsanwalt schließen die Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden jedoch nicht ohne weiteres aus (BGH v. 18.10.2004 - AnwZ (B) 43/03, MDR 2005, 420 = NJW 2005, 511, unter II 2a). Auch die weitgehenden arbeitsvertraglichen Beschränkungen, denen sich der Antragsteller unterworfen hat, um eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden auszuschließen, bieten im vorliegenden Fall keine hinreichende Gewähr dafür, weil es sich bei der Kanzlei, in welcher der Antragsteller tätig ist, nicht - wie in dem genannten Senatsbeschluss (BGH v. 18.10.2004 - AnwZ (B) 43/03, MDR 2005, 420 = NJW 2005, 511, unter II 2a) - um eine Sozietät, sondern um die Kanzlei eines Einzelanwalts handelt.
Der Senat hat in seinem Beschluss vom 18.10.2004 (BGH v. 18.10.2004 - AnwZ (B) 43/03, MDR 2005, 420 = NJW 2005, 511, unter II 2c) bereits zum Ausdruck gebracht, dass nur eine Sozietät, nicht aber eine Einzelkanzlei die Gewähr dafür bietet, dass auch während der Urlaubszeit oder bei einer etwaigen Erkrankung eines Sozius die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen des insolventen Rechtsanwalts überwacht werden kann, und dass dies zum Schutz der Rechtsuchenden eine der Voraussetzungen dafür ist, die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft - entgegen dem Grundsatz des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO - nicht zu widerrufen. Daran hält der Senat fest. Eine Einzelkanzlei kann - strukturell - nicht zuverlässig sicherstellen, dass die Einhaltung der Beschränkungen, denen sich der insolvente Rechtsanwalt zum Schutz der Rechtsuchenden unterworfen hat, gewährleistet ist. Während sich der angestellte Rechtsanwalt in einer Sozietät mehreren Rechtsanwälten gegenüber vertraglich gebunden hat und seine Tätigkeit deshalb von seinen Vertragspartnern auch dann noch überwacht werden kann, wenn einer von ihnen die Kontrolle vorübergehend nicht ausüben kann, ist der in einer Einzelkanzlei angestellte Rechtsanwalt bei zeitweiliger Verhinderung des Inhabers der Kanzlei - faktisch - wesentlich eher dazu in der Lage, entgegen seinen vertraglichen Verpflichtungen Handlungen vorzunehmen, die die Interessen der Rechtsuchenden gefährden können. Dem kann der Inhaber einer Einzelkanzlei durch Vereinbarungen über seine Vertretung durch einen außenstehenden Rechtsanwalt nicht hinreichend begegnen, weil solche Regelungen den unvorhergesehenen Ausfall des Einzelanwalts nicht in jedem Fall abfangen können. Die erforderliche Kontrolle der Tätigkeit des angestellten Rechtsanwalts kann auch nicht durch andere Angestellte der Kanzlei übernommen werden, die zu ihm nicht in vertraglicher Beziehung stehen. Damit ist bei einer Einzelkanzlei eine der wesentlichen Voraussetzung dafür, dass ein weiteres Tätigwerden des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts ausnahmsweise hinnehmbar ist, nicht gegeben.
Fundstellen
DB 2006, 725 |
HFR 2006, 820 |
NWB 2006, 1192 |
NJW-RR 2006, 559 |
AnwBl 2006, 280 |
MDR 2006, 600 |
NJW-Spezial 2006, 142 |
NWB direkt 2006, 11 |
BRAK-Mitt. 2006, 81 |
Mitt. 2006, 185 |