Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtbarkeit eines so bezeichneten „Zwischenurteils”, welches tatsächlich eine Entscheidung über den materiellen Streitgegenstand trifft. Anfechtung eines wirkungslosen Urteils
Leitsatz (amtlich)
Ein Zwischenurteil, das sich seinem Inhalt nach nicht auf die Klärung einer prozessualen Vorfrage beschränkt, sondern tatsächlich eine Entscheidung über den materiellen Streitgegenstand trifft, ist als Sachurteil uneingeschränkt mit einem Rechtsmittel anfechtbar.
Ein trotz fehlender Rechtshängigkeit erlassenes Urteil ist wirkungslos; es kann mit dem Rechtsmittel angefochten werden, das gegen ein rechtsfehlerfreies Urteil gleichen Inhalts gegeben wäre.
Normenkette
ZPO §§ 280, 303, 511
Verfahrensgang
OLG Celle (Beschluss vom 17.01.2005; Aktenzeichen 9 U 190/04) |
LG Hannover (Beschluss vom 30.06.2004; Aktenzeichen 23 O 66/04) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 9. Zivilsenats des OLG Celle v. 17.1.2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das OLG zurückverwiesen.
Geschäftswert: 20.000 EUR
Gründe
I. Der Kläger ist Gesellschafter der beklagten GmbH. Mit seiner "Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage" wendet er sich gegen mehrere auf der Gesellschafterversammlung der Beklagten v. 15.4.2004 gefasste Beschlüsse. Durch "Zwischenurteil" hat das LG erkannt, dass H. S. am Stammkapital der Beklagten seit dem 3.5.2004 über drei Geschäftsanteile mit insgesamt 100.000 DM beteiligt ist und die Beklagte als Gesellschafter hinsichtlich der Auseinandersetzungen um die Wirksamkeit der Beschlüsse der Gesellschafterversammlungen v. 15.4.2004 und 14.5.2004 vertritt. Die gegen beide Urteilserkenntnisse gerichtete Berufung des Klägers, der die Vertretung der Beklagten durch H. S. lediglich im Blick auf eine von diesem selbst gegen einen Gesellschafterbeschluss erhobene Klage beanstandet, hat das OLG als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II. Das OLG hat gemeint, ein Zwischenurteil sei nur insoweit anfechtbar, als darin über die Zulässigkeit der Klage entschieden worden sei. Die Berufung des Klägers richte sich nicht gegen die von dem LG sinngemäß bejahte Zulässigkeit der Klage. Durch die nicht in Rechtskraft erwachsenden, über den vorliegenden Rechtsstreit hinausgehenden Feststellungen in Tenor und Begründung des angefochtenen Urteils werde der Kläger nicht beschwert.
III. Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 S. 4 ZPO) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 575 Abs. 1 und 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), weil die Beurteilung des Berufungsgerichts zur Zulässigkeit des Rechtsmittels auf einem grundlegenden Missverständnis höchstrichterlicher Rechtsprechung beruht und daher eine strukturelle Wiederholungsgefahr besteht (BGH, Beschl. v. 8.9.2004 - V ZR 260/03, BGHReport 2004, 1573 m. Anm. Gehrlein = MDR 2005, 104 = NJW 2005, 154 f.). Die Berufung des Klägers ist gegen beide in der Urteilsformel des LG getroffene Feststellungen zulässig.
1. Soweit der Urteilstenor H. S. die Rechtsstellung eines Gesellschafters der Beklagten einräumt, bildet die Entscheidung des LG ein mit der Berufung anfechtbares Feststellungsurteil.
a) Lediglich im Ausgangspunkt geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass ein Zwischenurteil nur insoweit als mit Rechtsmitteln angreifbares Endurteil anzusehen ist, als gem. § 280 ZPO nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden wird. Ferner noch zutreffend hat das Berufungsgericht ausgesprochen, dass die in dem angegriffenen landgerichtlichen Urteil unausgesprochen enthaltene Feststellung, dass die Klage zulässig sei, den Kläger nicht beschwert.
b) Rechtsfehlerhaft ist indessen die Annahme des Berufungsgerichts, das LG habe lediglich ein - nicht gesondert anfechtbares - Zwischenurteil i.S.v. § 303 ZPO erlassen. Es hat verkannt, dass das prozessuale Wesen eines Urteils nicht notwendig mit der ihm gegebenen Bezeichnung übereinstimmt. In der Rechtsprechung ist seit jeher anerkannt, dass ein vermeintliches "Zwischenurteil", das sich seinem Inhalt nach nicht, wie § 303 ZPO voraussetzt, auf die Klärung einer prozessualen Vorfrage beschränkt, sondern tatsächlich eine Entscheidung über den materiellen Streitgegenstand trifft, ein (Teil-)Endurteil darstellt und in diesem Fall wie ein Sachurteil uneingeschränkt anfechtbar ist (BGHZ 8, 383; BGH, Beschl. v. 18.9.1996 - VIII ZB 28/96, MDR 1996, 1286 = NJW 1996, 3345 f.; Urt. v. 8.2.1994 - KZR 2/93, MDR 1994, 787 = NJW 1994, 1651 f.).
c) Ein solcher Fall liegt hier vor. Die in dem Urteilstenor des LG getroffene Feststellung, dass H. S. an der Beklagten mit mehreren Geschäftsanteilen beteiligt ist, betrifft nicht die Zulässigkeit der Klage. Vielmehr wird tatsächlich die zwischen den Parteien streitige Frage entschieden, ob H. S. Gesellschafter der Beklagten ist. Dieses Feststellungsurteil beschwert den Kläger und eröffnet ihm die Überprüfung des Ausspruchs des LG im Berufungsverfahren.
2. Der zweite Teil der Entscheidungsformel, der H. S. die Vertretung der Beklagten in allen Auseinandersetzungen um die Wirksamkeit der Beschlüsse der Gesellschafterversammlungen v. 15.4.2004 und 14.5.2004 zuweist, ist zwar ein Zwischenurteil über die Zulässigkeit der Klage (§ 280 Abs. 1 ZPO). Dieses Urteil kann aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wegen seines, wie mangels jeglicher tatrichterlicher Feststellungen durch das Berufungsgericht für das Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellen ist, über das vorliegende Verfahren hinausgehenden Entscheidungsinhalts als wirkungsloses Urteil von dem Kläger - in dem geltend gemachten eingeschränkten Umfang - mit seinem Rechtsmittel angefochten werden.
a) Das LG hat der Beklagten die Prozessfähigkeit (§ 51 ZPO) zugebilligt, weil sie durch ihren Gesellschafter H. S. wirksam vertreten werde. Damit hat das LG über eine einzelne Sachurteilsvoraussetzung ausdrücklich befunden (BGHZ 27, 15 [26 ff.]; BGH, Urt. v. 23.5.1985 - III ZR 57/84, MDR 1986, 477 = NJW-RR 1986, 61 f.; Prütting in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 280 Rz. 8; Musielak/Foerste, ZPO, 4. Aufl., § 280 Rz. 7). Die Vertretung der Beklagten durch H. S. greift der Kläger, soweit der vorliegende Rechtsstreit betroffen ist, nicht an.
b) Ausweislich des Urteilstenors, dessen Inhalt - was das Berufungsgericht nicht beachtet - für die Bestimmung der Reichweite der Rechtskraft maßgeblich ist (BGH v. 18.11.1993 - IX ZR 244/92, BGHZ 124, 164 [166] = MDR 1994, 1040; BGHZ 34, 337 [339]), hat das LG der Beklagten die Prozessfähigkeit mit der Maßgabe der Vertretung durch ihren Gesellschafter H. S. nicht nur für das vorliegende, sondern ausdrücklich für sämtliche gerichtliche Verfahren zugebilligt, welche Auseinandersetzungen um die Wirksamkeit der auf den Gesellschafterversammlungen v. 15.4.2004 und 14.5.2004 gefassten Beschlüsse zum Gegenstand haben. Nach dem für das Rechtsbeschwerdeverfahren maßgeblichen Vorbringen des Klägers hat - neben weiteren von ihm selbst eingeleiteten Verfahren - auch H. S. einen der auf den Gesellschafterversammlungen gefassten Beschlüsse als Kläger beanstandet.
c) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das LG der Beklagten auch für das letztgenannte Verfahren die Prozessfähigkeit auf der Grundlage einer Vertretung durch ihren Gesellschafter S. bescheinigt hat. Die von H. S. erhobene Klage ist - wie auch die von dem Kläger offenbar verfolgten weiteren Rechtsschutzbegehren - nicht Bestandteil des vorliegenden Rechtsstreits. Über diese Klage kann - mangels einer Verfahrensverbindung (§ 147 ZPO) - nur innerhalb des betreffenden Verfahrens entschieden werden. Folglich ist die Entscheidung des LG, die sich nach ihrem Inhalt auch auf den von H. S. betriebenen Prozess erstreckt, außerhalb eines rechtshängigen Verfahrens ergangen. Ein trotz fehlender Rechtshängigkeit erlassenes Urteil ist jedoch wirkungslos (BayObLG v. 7.10.1999 - 1 Z BR 122/99, NJW-RR 2000, 671 f.; LAG Hess. v. 23.11.1981 - 11 Sa 121/81, BB 1982, 1924 f.; LG Tübingen v. 22.2.1982 - 3 O 338/81, MDR 1982, 676 = JZ 1982, 474 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., vor § 300 Rz. 18; Musielak/Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 300 Rz. 5).
Ein solches Urteil entfaltet - dies gilt auch für etwaige von dem Kläger erhobene weitere, nicht den Gegenstand der Berufung bildenden Klagen - keine materielle Rechtskraft (BGHZ 4, 389 [394]; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., vor § 300 Rz. 19; Musielak/Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 300 Rz. 7), kann aber, wenn es nicht angefochten wird, formelle Rechtskraft erlangen. Um deren Eintritt zu verhindern, kann ein wirkungsloses Urteil mit dem Rechtsmittel angefochten werden, das gegen ein rechtsfehlerfreies Urteil gleichen Inhalts gegeben wäre (BGHZ 10, 346 [349]; BGHZ 4, 389 [394]; Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 511 Rz. 13).
Fundstellen
BB 2006, 182 |
BGHR 2006, 393 |
FamRZ 2006, 408 |
NJW-RR 2006, 565 |
JurBüro 2006, 277 |
WM 2006, 932 |