Leitsatz (amtlich)
a) Für Maßnahmen gegenüber schulischen Behörden (hier: mit dem Ziel der Unterlassung schulinterner Infektionsschutzmaßnahmen) ist der Rechtsweg zu den FamG im Verfahren nach § 1666 Abs. 1 und 4 BGB nicht eröffnet; zuständig sind ausschließlich die VG.
b) Eine Verweisung des Verfahrens an das VG kommt wegen unüberwindbar verschiedener Prozessmaximen beider Verfahrensordnungen nicht in Betracht (im Anschluss an BVerwG NJW 2021, 2600).
c) Elterliche Eingaben mit dem Ziel des Erlasses von Anordnungen gegenüber schulischen Behörden geben regelmäßig keine Veranlassung, Vorermittlungen für ein Verfahren nach § 1666 BGB einzuleiten; das Verfahren ist dann einzustellen.
Normenkette
BGB § 1666 Abs. 1, 4; FamFG § 151; GVG § 17a Abs. 2, 4
Verfahrensgang
AG Wesel (Entscheidung vom 23.07.2021; Aktenzeichen 49 F 76/21) |
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Beteiligte hat mit Schreiben vom 19.4.2021 beim FamG darum nachgesucht, ein Verfahren nach § 1666 BGB zu eröffnen und gegenüber den Lehrkräften und der Schulleitung der von ihrer 15-jährigen Tochter besuchten Gesamtschule einstweilig anzuordnen, die schulintern getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), insb. die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, Abstandsgebote und gesundheitliche Testungen, vorläufig auszusetzen.
Rz. 2
Das FamG hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren an das VG verwiesen. Das VG hat die ihm übersandten Verfahrensakten an das FamG "zuständigkeitshalber zurückgesandt", weil das FamG zuständig und die Verweisung an das VG wegen eines groben Verfahrensverstoßes nicht bindend sei. Daraufhin hat das FamG die Sache dem BGH zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II.
Rz. 3
Das Verfahren ist einzustellen, da zwar die VG für das Rechtschutzbegehren der Beteiligten ausschließlich zuständig sind, eine Rechtswegverweisung in dem hier eingeleiteten Verfahren jedoch nicht in Betracht kommt und die vom FamG ausgesprochene Verweisung nicht bindet (vgl. BVerwG NJW 2021, 2600 Rz. 10).
Rz. 4
1. Der BGH ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem FamG und dem VG berufen.
Rz. 5
Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG wird, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für das Verfahren zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben, das zuständige Gericht durch das nächsthöhere gemeinsame Gericht bestimmt. Zwar ist diese Vorschrift auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem FamG und einem VG weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (BGH Beschl. v. 26.7.2001 - X ARZ 69/01 NJW 2001, 3631, 3632; BVerwG NJW 2021, 2600 Rz. 5 m.w.N.). Denn obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den eigenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. BGH Beschl. v. 14.5.2013 - X ARZ 167/13 MDR 2013, 1242 Rz. 5 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO; BVerwG NJW 2021, 2600 Rz. 5 zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO).
Rz. 6
Eine solche Situation ist vorliegend gegeben. Sowohl das FamG als auch das VG haben erklärt, dass der Rechtsweg zu ihnen unzulässig sei. Dabei ist unschädlich, dass sich das VG nicht im Beschlusswege für unzuständig erklärt, sondern die Verfahrensakte formlos an das FamG zurückgegeben hat. Denn die Rückgabeverfügung ist mit einer beschlussähnlichen Begründung versehen, welche unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerwG (NJW 2021, 2600) den endgültigen Rechtsstandpunkt einnimmt, dass der Verweisungsbeschluss des FamG keine Bindungswirkung entfalte. Damit ist der negative Kompetenzkonflikt ausgelöst.
Rz. 7
2. Zu Recht hat das FamG den eigenen Rechtsweg für unzulässig erklärt. Es hat das Schreiben der Beteiligten vom 19.4.2021 zutreffend dahin ausgelegt, dass gegen die Schule gerichtete Unterlassungsverlangen durchgesetzt werden sollen. Über derartige Unterlassungsansprüche hätten gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO die VG zu entscheiden. Sie betreffen das Schulverhältnis als Rechtsverhältnis zwischen dem Schüler und einer öffentlichen, von einer Gebietskörperschaft getragenen Schule, deren Handeln in inneren Schulangelegenheiten einschließlich der Schulordnungsmaßnahmen der öffentlichen Gewalt zugerechnet wird (BVerwG NJW 2021, 2600 Rz. 7). Davon erfasst werden auch von der Schule angeordnete Infektionsschutzmaßnahmen (BVerwG NJW 2021, 2600 Rz. 7; OLG Jena FamRZ 2021, 1043, 1047 f.; OLG Bamberg FamRZ 2021, 1539, 1540; OLG Brandenburg Beschl. v. 27.7.2021 - 13 UF 80/21 - juris Rz. 10; OLG München FamRZ 2021, 1538, 1539; OLG Nürnberg FamRZ 2021, 935, 936; BeckOK VwGO/ [Stand: 1.4.2021] § 40 Rz. 71a; vgl. auch Senat, Beschl. v. 12.5.2021 - XII ZB 34/21, FamRZ 2021, 1402 Rz. 13 zur verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit für die Untersagung von Maßnahmen des Jugendamts).
Rz. 8
Eine daneben parallel bestehende Regelungskompetenz auf Grundlage des § 1666 BGB ist den FamG nicht eröffnet. Diese Vorschrift ermöglicht es den Gerichten in erster Linie, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Personensorgeberechtigten zur Einhaltung ihrer Schutzpflichten gegenüber dem Kind anzuhalten (vgl. BT-Drucks. 16/6815, 14 f.); als ultima ratio kommt hierbei die Entziehung der elterlichen Sorge in Betracht (§ 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB). Zwar kann in besonders gelagerten Fällen bei Angelegenheiten der Personensorge auch eine Maßnahme gegen einen Dritten erfolgen (§ 1666 Abs. 4 BGB), wenn von dessen Verhalten eine Gefahr für das Kindeswohl ausgeht. Eine Befugnis des FamG zum Erlass von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber Behörden ist damit aber nicht verbunden. Denn Dritte im Sinne der Vorschrift sind nicht Behörden und sonstige Träger der öffentlichen Gewalt. Auf Grundlage des § 1666 BGB können die FamG auch die Jugendämter nicht zur Unterlassung von Maßnahmen der Jugendhilfe wie etwa einer Inobhutnahme verpflichten (Senat, Beschl. v. 12.5.2021 - XII ZB 34/21, FamRZ 2021, 1402 Rz. 13 m.w.N.; vgl. auch BVerwG FamRZ 2002, 668 f.). Umso weniger sind sie befugt, andere staatliche Stellen in ihrem Tun oder Unterlassen anzuweisen. Dies würde nämlich einen Eingriff in das Gewaltenteilungsprinzip bedeuten (OLG Jena FamRZ 2021, 1043, 1048; MünchKomm/BGB/ 8. Aufl., § 1666 Rz. 181; Familienrecht 7. Aufl., § 1666a BGB Rz. 17; FamRZ 2008, 562, 563), für den es an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt. Insbesondere legitimieren die §§ 1666, 1666a BGB i.V.m. dem staatlichen Wächteramt einen solchen Eingriff nicht. Im Rahmen des schulischen Sonderrechtsverhältnisses sind die zuständigen Behörden ihrerseits an die das Kindeswohl schützenden Grundrechte gebunden. Die gerichtliche Kontrolle dieses Behördenhandelns - auch hinsichtlich Infektionsschutzmaßnahmen in den jeweiligen Schulen - obliegt hierbei allein den VG; insoweit haben auch die §§ 23b GVG, 111 Nr. 2, 151 Nr. 1 FamFG nicht die Bedeutung einer abdrängenden Sonderzuweisung i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rz. 9
3. Eine Zuständigkeitsbestimmung dahin, dass das VG zuständig sei, ist dem Senat jedoch verwehrt, da eine Rechtswegverweisung wegen unüberwindbar verschiedener Prozessmaximen des amtswegigen Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Klage- bzw. Antragsverfahrens der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht in Betracht kommt.
Rz. 10
Zwar ist auch im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Verweisung auf einen anderen Rechtsweg nicht generell ausgeschlossen. So kommt beispielsweise die Verweisung einer beim allgemeinen Zivilgericht anhängig gewordenen Klage an das für Wohnungseigentumssachen zuständige Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Betracht, weil das für Wohnungseigentumssachen als sog. echte Streitsache ausgestaltete Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ähnlichen Verfahrensgrundsätzen folgt (vgl. BGH Beschl. v. 13.10.1983 - I ARZ 408/83 NJW 1984, 740). Umgekehrt kann ein beim Gericht für Notarsachen (§ 111 BNotO) anhängig gemachtes Verfahren, das als ein streitiges Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzusehen ist, an die Zivilgerichte verwiesen werden (BGHZ 115, 275 = MDR 1992, 185). Auch konnte ein Zuständigkeitsstreit zwischen dem für Kindschaftssachen zuständigen FamG und dem für Vormundschaftssachen zuständigen Gericht der allgemeinen freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Verweisung gelöst werden (BGH BGHZ 78, 108 = FamRZ 1980, 1107).
Rz. 11
Die Vorschrift des § 17a GVG ist jedoch einschränkend dahin auszulegen, dass eine Verweisung von Amts wegen betriebener Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit mangels "Beschreitung eines Rechtswegs" durch einen Antragsteller oder Kläger nicht in Betracht kommt, sondern diese bei fehlender Zuständigkeit einzustellen sind (BVerwG NJW 2021, 2600 Rz. 11; OLG Karlsruhe NJW 2021, 2054; OLG Frankfurt FamRZ 2021, 1383, 1384; OLG Jena FamRZ 2021, 1043, 1048; OLG Brandenburg Beschl. v. 27.7.2021 - 13 UF 80/21 - juris Rz. 5, 10 f.; vgl. auch OLG Köln Beschl. v. 12.7.2021 - 14 UF 90/21 - juris Rz. 10 f.). Aufgrund der Eingabe der Beteiligten zu 1) und 2) vom 15.3.2021 hätte beim FamG kein kontradiktorischen Regeln folgendes Antragsverfahren eröffnet werden können, das einer Verweisung an das VG zugänglich gewesen wäre (vgl. BVerwG NJW 2021, 2600 Rz. 11 f.), sondern allenfalls ein Verfahren von Amts wegen. Ein Verfahren von Amts wegen mit dem Ziel der Aufhebung schulischer Anordnungen ist der Verwaltungsgerichtsbarkeit jedoch wesensfremd.
Rz. 12
4. Das Schreiben der Beteiligten vom 19.4.2021 gibt auch keine Veranlassung, Vorermittlungen für ein Verfahren nach § 1666 BGB einzuleiten, was der Senat selbst beurteilen kann (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Das Verfahren ist deshalb ohne Verweisung einzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 14891613 |
COVuR 2021, 725 |
NJW 2021, 3470 |
JR 2022, 528 |
MDR 2021, 343 |
MDR 2022, 53 |
NJ 2022, 3 |
FF 2021, 505 |
FamRB 2021, 489 |
ZKJ 2022, 22 |
NZFam 2021, 1019 |
NZFam 2021, 7 |
NdsVBl. 2022, 10 |