Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen und Begründungsanforderungen, wenn eine Unterbringung für länger als ein Jahr angeordnet oder genehmigt werden soll (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 8. November 2023 - XII ZB 219/23, MDR 2024, 112).
Normenkette
BGB § 1831 Abs. 1 Nr. 1; FamFG § 329 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Entscheidung vom 08.09.2023; Aktenzeichen 24 T 1137/23) |
AG Ingolstadt (Entscheidung vom 17.07.2023; Aktenzeichen 17 XVII 890/15) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Ingolstadt vom 8. September 2023 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels insoweit aufgehoben, als die Beschwerde des Betroffenen gegen die Genehmigung der Unterbringung durch die Betreuerin über den 2. Juli 2024 hinaus zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Eine Wertfestsetzung (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Rz. 1
Der im Jahr 1941 geborene Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung seiner Unterbringung.
Rz. 2
Er leidet seit einem Verkehrsunfall mit Schädel-Hirn-Trauma an einer hirnorganischen Persönlichkeitsstörung. Für ihn wurde eine Betreuung eingerichtet und eine Berufsbetreuerin bestellt, deren Aufgabenkreis unter anderem die Aufenthaltsbestimmung, die Gesundheitssorge und die Entscheidung über eine Unterbringung umfasst.
Rz. 3
Im Januar 2023 hat die Betreuerin angeregt, die Unterbringungsbedürftigkeit des Betroffenen zu überprüfen. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme hat das Amtsgericht den Betroffenen persönlich angehört und durch Beschluss vom 17. Juli 2023 die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis zum 16. Juli 2024 und in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis zum 16. Juli 2025 genehmigt. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen; hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg, soweit sie sich gegen die über den 2. Juli 2024 hinausgehende Genehmigung der Unterbringung richtet.
Rz. 5
1. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht unter Bezugnahme auf das Sachverständigengutachten vom 21. Mai 2023 ausgeführt, dass die derzeitige Situation für den Betroffenen lebensbedrohlich sei, weil aufgrund fehlender Einsicht, beginnender Demenz und instabiler Umgebung eine regelmäßige Einnahme der erforderlichen Medikamente nicht gewährleistet sei. Die Sachverständige habe eine Unterbringung von zwei Jahren und sodann eine erneute Beurteilung der kognitiven Leistungsfähigkeit des Betroffenen empfohlen. Im Übrigen hat das Landgericht auf die Begründung des amtsgerichtlichen Beschlusses Bezug genommen, der sich auch auf die ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen vom 2. Juli 2023 gestützt.
Rz. 6
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
Rz. 7
a) Die getroffenen Feststellungen tragen zwar die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen nach § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Denn unter Bezugnahme auf das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten hat das Landgericht die derzeitige Situation rechtsbeschwerderechtlich beanstandungsfrei als für den Betroffenen lebensbedrohlich erachtet und damit die für eine Genehmigung der Unterbringung erforderliche ernstliche und konkrete Gefahr für dessen Leib und Leben bejaht (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Januar 2019 - XII ZB 280/18 - FamRZ 2019, 552 Rn. 12 mwN zu § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Dagegen erinnert auch die Rechtsbeschwerde nichts.
Rz. 8
b) Zutreffend beanstandet die Rechtsbeschwerde indessen, dass es an einer tragfähigen Begründung für die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen fehlt, soweit diese die Dauer von einem Jahr übersteigt.
Rz. 9
aa) Gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG endet die Unterbringung spätestens mit Ablauf eines Jahres, bei offensichtlich langer Unterbringungsbedürftigkeit spätestens mit Ablauf von zwei Jahren, wenn sie nicht vorher verlängert wird. Die Befristung auf längstens ein Jahr stellt damit eine gesetzliche Höchstgrenze für die Dauer der Unterbringung dar, die nur unter besonderen Voraussetzungen überschritten werden darf. Wird über die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung von einem Jahr hinaus eine Unterbringung von bis zu zwei Jahren genehmigt oder angeordnet, ist nach der Rechtsprechung des Senats diese Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen. Solche Gründe können sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie oder aus fehlenden Heilungs- und Besserungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung ergeben. Dabei erfordert das im Gesetz genannte Merkmal der „Offensichtlichkeit“, dass die Gründe für eine über ein Jahr hinaus währende Unterbringungsbedürftigkeit für das sachverständig beratene Gericht deutlich und erkennbar hervortreten (Senatsbeschluss vom 8. November 2023 - XII ZB 219/23 - MDR 2024, 112 Rn. 12 f. mwN).
Rz. 10
bb) Vorliegend ist die Unterbringung des Betroffenen zum ersten Mal genehmigt worden. Konkrete Anknüpfungspunkte für die Annahme, dass mangels Heilungs- und Besserungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung auch nach Ablauf der gesetzlichen Regelhöchstdauer von einem Jahr noch eine Unterbringungsbedürftigkeit bestehen wird, lassen sich den Beschlüssen der Vorinstanzen nicht entnehmen. Das Amtsgericht hat sich insoweit auf die Feststellungen der Sachverständigen bezogen und ausgeführt, dass sich der Gesundheitszustand des Betroffenen aufgrund des Krankheitsbildes bis zur erneuten Überprüfung nicht wesentlich bessern werde, während das Landgericht auf das Sachverständigengutachten vom 21. Mai 2023 Bezug genommen hat, das eine Unterbringung von zwei Jahren und sodann eine erneute Beurteilung der kognitiven Leistungsfähigkeit des Betroffenen empfohlen habe.
Rz. 11
Damit ist die vom Gesetz geforderte „offensichtlich“ lange währende Unterbringungsbedürftigkeit nicht dargelegt. Denn auch das Gutachten vom 21. Mai 2023 enthält hierzu keine konkreten Ausführungen, sondern beschränkt sich - ohne nähere Begründung - auf die Empfehlung, den Betroffenen zunächst für die Dauer von zwei Jahren unterzubringen. Hinzu kommt, dass die Sachverständige in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 2. Juli 2023 letztlich keine eindeutige Aussage zur Unterbringungsdauer getroffen, sondern lediglich ausgeführt hat, dass die Unterbringung zunächst für einen Zeitraum von „ein bis zwei Jahren“ erfolgen solle. Daher ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen zugunsten des Betroffenen davon auszugehen, dass eine Unterbringungsdauer von einem Jahr ausreichend ist.
Rz. 12
cc) Die Prognose, welche Dauer für die Unterbringung erforderlich ist, ist regelmäßig auf der Grundlage des einzuholenden Sachverständigengutachtens vorzunehmen. Der Fristablauf hat sich dabei grundsätzlich an dem Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens zu orientieren; die Frist beginnt nicht erst mit der gerichtlichen Entscheidung (Senatsbeschluss vom 13. April 2016 - XII ZB 236/15 - FamRZ 2016, 1065 Rn. 23 mwN). In Ermangelung anderweitiger Feststellungen kann daher die Unterbringung des Betroffenen in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung derzeit nur bis zum 2. Juli 2024 genehmigt werden.
Rz. 13
c) Soweit die Rechtsbeschwerde darüber hinaus rügt, dass die Vorinstanzen keine hinreichenden Feststellungen zur Erforderlichkeit der Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus getroffen haben, vermag sie hiermit nicht durchzudringen. Vielmehr sind die Feststellungen zusammen mit den in Bezug genommenen Ausführungen der Sachverständigen insoweit noch ausreichend. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Rz. 14
3. Die angefochtene Entscheidung kann somit im Umfang der Aufhebung keinen Bestand haben. Der Senat kann insoweit nicht abschließend in der Sache entscheiden, da diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Die Sache ist daher gemäß § 76 Abs. 6 Satz 2 FamFG zur Nachholung der notwendigen Feststellungen über die Unterbringungsdauer an das Landgericht zurückzuverweisen.
Guhling |
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Nedden-Boeger |
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Botur |
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Krüger |
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Recknagel |
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Fundstellen
Haufe-Index 16227472 |
NJW 2024, 1657 |
BtPrax 2024, 181 |
JZ 2024, 211 |
ErbR 2024, 562 |
FamRB 2024, 6 |