Leitsatz (amtlich)
§ 165 ZPO, wonach die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden kann, findet auf den Vermerk nach § 28 Abs. 4 FamFG keine Anwendung. Dass dem Betroffenen in einer Abschiebungshaftsache vor seiner gerichtlichen Anhörung eine Ablichtung des Haftantrags übergeben worden ist, kann auch noch nach Abschluss der Instanz dokumentiert werden (Abgrenzung zu BGH, Beschl. v. 4.12.2014 - V ZB 87/14, InfAuslR 2015, 146).
Normenkette
FamFG § 28 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Bonn (Beschluss vom 12.07.2018; Aktenzeichen 4 T 66/18) |
AG Siegburg (Entscheidung vom 23.12.2017; Aktenzeichen 241 XIV (B) 144/17) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Bonn vom 12.7.2018 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.
Gründe
Rz. 1
I. Der Betroffene, ein georgischer Staatsangehöriger, reiste am 3.11.2016 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Dieser wurde mit bestandskräftigem Bescheid als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Dem Betroffenen wurde die Abschiebung angedroht. Der Aufforderung, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche zu verlassen, kam der Betroffene nicht nach. Eine für den 12.12.2017 geplante Abschiebung konnte nicht durchgeführt werden, da sich der Betroffene nicht in seiner Unterkunft aufhielt. Nachdem der Betroffene am 22.12.2017 nach einem Ladendiebstahl festgenommen worden war, hat das AG auf Antrag der beteiligten Behörde am 23.12.2017 gegen ihn Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 23.1.2018 angeordnet. Die nach erfolgter Abschiebung auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung gerichtete Beschwerde hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
Rz. 2
II. Die statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Rz. 3
1. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, die Haft sei zu Recht angeordnet worden, insb. genüge der Haftantrag der beteiligten Behörde den Anforderungen. Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft habe im Haftantrag Erwähnung gefunden; der Betroffene habe dazu Stellung nehmen können. Die fehlende Dokumentation der Übersetzung und Übergabe des Haftantrags in dem Anhörungsprotokoll sei unschädlich, weil die Amtsrichterin in ihrer durch das Beschwerdegericht eingeholten dienstlichen Stellungnahme bestätigt habe, dass diese Verfahrenshandlungen vorgenommen worden seien.
Rz. 4
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand.
Rz. 5
a) Der Haftantrag ist zulässig. Er enthält konkrete Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft und zur notwendigen Haftdauer, § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG. Er enthält auch Angaben zu dem erforderlichen staatsanwaltschaftlichen Einvernehmen.
Rz. 6
aa) Ausführungen zum Vorliegen oder zur Entbehrlichkeit des staatsanwaltschaftlichen Einvernehmens sind geboten, wenn sich aus dem Antrag oder den ihm beigefügten Unterlagen ein laufendes und nicht offensichtlich zustimmungsfreies Ermittlungsverfahren ergibt (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Beschl. v. 22.8.2019 - V ZB 179/17, juris Rz. 18 m.w.N.).
Rz. 7
bb) Aus dem Haftantrag ergibt sich, dass der Betroffene am 22.12.2017 bei einem Ladendiebstahl in S. festgenommen worden war. Es ergibt sich weiter daraus, dass die Staatsanwaltschaft Bonn hinsichtlich dieses Ermittlungsverfahrens ihr Einvernehmen nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erteilt hat. Weitere Ermittlungsverfahren ergeben sich weder aus dem Haftantrag noch den ihm beigefügten Unterlagen. Soweit im Haftantrag von einer "mehrfachen Straffälligkeit und dem Benutzen mehrfacher Personenidentitäten" des Betroffenen die Rede ist, kann hieraus nicht auf noch laufende Strafverfahren geschlossen werden, zu denen ein Einvernehmen hätte erteilt werden müssen. Soweit sich ein möglicherweise fehlendes Einvernehmen aus der Ausländerakte ergibt, ist diese weder Bestandteil noch Anlage des Haftantrags (vgl. BGH, Beschl. v. 22.8.2019 - V ZB 179/17, juris Rz. 20 m.w.N.).
Rz. 8
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde führte ein möglicherweise fehlendes Einvernehmen verschiedener Staatsanwaltschaften nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch in der Sache nicht zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung.
Rz. 9
aa) Wie der Senat in einem Beschluss vom 12.2.2020 (XIII ZB 15/19, juris Rz. 14 ff.) ausgeführt hat, handelt es sich bei dem Beteiligungserfordernis nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht um eine freiheitsschützende Verfahrensvorschrift i.S.d. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Fehlen des nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Einvernehmens einer Staatsanwaltschaft führt daher nicht zur Rechtswidrigkeit einer Haftanordnung, wenn sich das laufende Ermittlungsverfahren nicht aus dem Haftantrag oder den ihm beigefügten Unterlagen ergibt und das Gericht auch im Verlauf des Verfahrens über die Haftanordnung oder im Rahmen des Beschwerdeverfahrens keine Kenntnis hiervon erhält.
Rz. 10
bb) Da sich aus dem Haftantrag nur ein Ladendiebstahl am 22.12.2017 ergibt und die beteiligte Behörde zugleich mitgeteilt hat, dass die Staatsanwaltschaft Bonn ihr Einvernehmen erteilt hat, und weitere, noch nicht abgeschlossene Ermittlungsverfahren nicht erwähnt werden, war die Haftanordnung durch das AG rechtmäßig. Erst mit der ergänzenden Beschwerdebegründung vom 14.5.2018 und damit nach erfolgter Abschiebung hat der Betroffene gerügt, dass zu Verfahren bei den Staatsanwaltschaften Detmold und Ulm das Einvernehmen gefehlt habe. Ein fehlendes Einvernehmen konnte sich jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auf die Durchführbarkeit der Abschiebung auswirken.
Rz. 11
c) Die Haftanordnung ist nicht unter Verletzung von Verfahrensrechten des Betroffenen, insb. seines Anspruchs auf rechtliches Gehör, ergangen. Das AG hat eine Anhörung des Betroffenen durchgeführt und ihm zuvor den Haftantrag übergeben, der ihm auch in eine Sprache übersetzt wurde, die er beherrscht.
Rz. 12
aa) Das Gesetz misst dem Haftantrag eine besondere Bedeutung für die Zulässigkeit der Anordnung von Sicherungshaft zu. Eine Ablichtung des Haftantrags ist dem Betroffenen deshalb vor seiner gerichtlichen Anhörung auszuhändigen und erforderlichenfalls mündlich zu übersetzen. Dass dies geschehen ist, muss dem Protokoll über die Anhörung zu entnehmen oder in anderer Weise in der Akte dokumentiert sein (BGH, Beschl. v. 16.1.2014 - V ZB 108/13, juris Rz. 5 m.w.N.). Dadurch wird sichergestellt, dass sich der Betroffene zu sämtlichen (tatsächlichen und rechtlichen) Angaben der beteiligten Behörde äußern und gegenüber dem Haftantrag verteidigen kann. Unterbleibt die Übergabe des Haftantrags oder seine vollständige Übersetzung, verletzt dies den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (BGH, Beschl. v. 16.1.2014 - V ZB 108/13, juris Rz. 8; Beschl. v. 12.3.2015 - V ZB 187/14, InfAuslR 2015, 301 Rz. 4 f.).
Rz. 13
bb) Diesen Anforderungen ist im Streitfall genügt. Dass der Haftantrag übersetzt und übergeben wurde, ist zwar - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - nicht im Protokoll der Anhörung beim AG vom 23.12.2017 dokumentiert. Dies führt jedoch nicht dazu, dass - entgegen den Feststellungen des Beschwerdegerichts - davon auszugehen ist, der Vorgang habe nicht stattgefunden.
Rz. 14
(1) Nach § 28 Abs. 4 FamFG hat das Gericht über Termine und persönliche Anhörungen einen Vermerk zu fertigen. Nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FamFG sind die wesentlichen Vorgänge des Termins und der persönlichen Anhörung in den Vermerk aufzunehmen. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dagegen entschieden, die Bestimmungen über das Protokoll aus der Zivilprozessordnung zu übernehmen, "um die Flexibilität des FamFG-Verfahrens zu erhalten" (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6308, 187). § 165 ZPO, wonach die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden kann, findet daher keine Anwendung (Keidel/Sternal, FamFG, 19. Aufl., § 28 Rz. 25). Vorschriften über die Berichtigung des Vermerks sieht das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht vor, so dass der gerichtliche Vermerk jederzeit berichtigt werden kann.
Rz. 15
(2) In ihrer auf Anforderung des Beschwerdegerichts abgegebenen dienstlichen Stellungnahme gibt die in erster Instanz zuständige Richterin an, dem Betroffenen sei vor der Anhörung der Haftantrag ausgehändigt und übersetzt worden. Anschließend habe sie dem Betroffenen zusammenfassend noch einmal erklärt, dass nun darüber zu entscheiden sei, ob zur Sicherung der Abschiebung ein Haftbefehl gegen ihn erlassen werde.
Rz. 16
Die Rechtsbeschwerde macht nicht geltend, dass dies tatsächlich nicht geschehen sei. Gerügt wird nur, aufgrund der fehlenden Dokumentation sei davon auszugehen, dass dem Betroffenen vor dessen persönlicher Anhörung der Haftantrag weder übersetzt noch übergeben worden sei. Eine Nachholung der Dokumentation nach Abschluss der Instanz biete nicht die erforderliche Gewähr dafür, dass es angesichts der hohen Anzahl der Verfahren nicht zu Verwechslungen komme.
Rz. 17
(3) Das Beschwerdegericht hat die dienstliche Äußerung der erstinstanzlichen Richterin seiner Entscheidung zugrunde gelegt und keinen Anlass gesehen, an der Richtigkeit der Erklärung zu zweifeln. Hierzu sieht auch der Senat keinen Anlass.
Rz. 18
(4) Durch die dienstliche Stellungnahme der Richterin sind damit die Aushändigung des Haftantrags und seine Übersetzung hinreichend dokumentiert. Anders als die nachträgliche Dokumentation eines Rechtsmittelverzichts (s. dazu BGH, Beschl. v. 4.12.2014 - V ZB 87/14, InfAuslR 2015, 146 Rz. 3), mit deren Berücksichtigung einem zulässigen Rechtsmittel nachträglich die Zulässigkeit genommen werden könnte, konnte diese Dokumentation auch noch nach Abschluss der ersten Instanz erfolgen.
Fundstellen
Haufe-Index 13802405 |
FGPrax 2020, 147 |
InfAuslR 2020, 279 |
JZ 2020, 328 |
ZAR 2020, 347 |
GSZ 2020, 11 |