Leitsatz (amtlich)
Besteht für eine Rechtsmittelzuständigkeit eine landesgesetzliche Konzentration nach § 105 UrhG für Urheberrechtsstreitsachen und erteilt das erstinstanzliche Gericht eine unzutreffende Belehrung über das für das Rechtsmittelverfahren zuständige Gericht, kann die Partei bei dem in der Rechtsmittelbelehrung angeführten Gericht fristwahrend Rechtsmittel einlegen, auch wenn dessen Zuständigkeit für das Rechtsmittelverfahren tatsächlich nicht gegeben ist. Das funktional unzuständige Gericht hat die Sache entsprechend § 281 ZPO an das nach der Konzentrationsregelung zuständige Rechtsmittelgericht zu verweisen (Fortführung von BGH GRUR 2016, 636 - Gestörter Musikvertrieb).
Normenkette
ZPO § 281; ZuVOJu BW § 13 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Beschluss vom 06.06.2017; Aktenzeichen 9 S 16/17) |
AG Staufen (Urteil vom 30.12.2016; Aktenzeichen 2 C 147/16) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des LG Freiburg im Breisgau - 9. Zivilkammer - vom 6.6.2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG Freiburg im Breisgau - 9. Zivilkammer - zurückverwiesen.
Gegenstandswert: bis 3.000 EUR
Gründe
Rz. 1
I. Die Beklagte unterhält für ihren in Bad K. betriebenen Cityimbiss eine Internetseite, auf der sie im Jahr 2014 die Fotografie einer Pizza ohne Nennung des Fotografen verwendet hat. Die Klägerin macht geltend, sie habe diese Fotografie gefertigt. Sie hat die Beklagte wegen Verletzung ihres Urheberrechts auf Unterlassung, Erstattung von Rechtsverfolgungskosten und Auskunftserteilung sowie eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskunft in Anspruch genommen sowie beantragt, festzustellen, dass sie Urheberin der streitgegenständlichen Fotografie sei. Ferner hat die Klägerin Schadensersatzfeststellung sowie die Feststellung begehrt, dass der Beklagten kein Anspruch auf Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zusteht.
Rz. 2
Nachdem sich das von der Klägerin angerufene LG Mannheim für sachlich unzuständig erklärt hatte und das AG Staufen im Breisgau nach einem mit dem AG Mannheim geführten Streit über die örtliche Zuständigkeit vom OLG Karlsruhe gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zum örtlich zuständigen Gericht erklärt worden war, hat das AG Staufen im Breisgau mit Teil- und Endurteil vom 30.12.2016 dem Unterlassungsantrag, dem Auskunftsantrag, den Anträgen auf Feststellung der Urhebereigenschaft der Klägerin sowie dem negativen Feststellungsantrag in vollem Umfang und dem Antrag auf Erstattung von Rechtsverfolgungskosten teilweise stattgegeben. Die Anträge auf eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskunftserteilung sowie auf Feststellung der Schadensersatzpflicht hat es als zweite Stufe der Klage angesehen und nicht beschieden. In der Rechtsbehelfsbelehrung hat das AG Staufen im Breisgau das LG Freiburg im Breisgau als Berufungsgericht benannt.
Rz. 3
Die Beklagte hat gegen das ihrem Rechtsanwalt am 12.1.2017 zugestellte amtsgerichtliche Urteil mit einem beim LG Freiburg im Breisgau am 6.2.2017 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und u.a. beantragt, die Berufung an ein zuständiges Gericht zu verweisen, wenn das angerufene Gericht nicht zuständig sein sollte.
Rz. 4
Das LG Freiburg im Breisgau hat die Beklagte mit Beschluss vom 11.4.2017 darauf hingewiesen, dass gem. § 13 Abs. 1 der Verordnung des Justizministeriums über Zuständigkeiten in der Justiz Baden-Württemberg (ZuVOJu-BW) für die Berufung das LG Mannheim und nicht das LG Freiburg im Breisgau zuständig sei. Am 20.4.2017 hat das LG Freiburg im Breisgau die Beklagte zudem darauf hingewiesen, dass die Berufung wegen Unzuständigkeit unzulässig sei und eine Verweisung nach § 281 ZPO nicht in Betracht komme. Mit Beschluss vom 6.6.2017 hat das LG Freiburg im Breisgau sodann gem. § 522 Abs. 1 ZPO die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.
Rz. 5
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses des LG Freiburg im Breisgau und die Klageabweisung, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht beantragt.
Rz. 6
II. Das LG Freiburg im Breisgau ist von seiner Unzuständigkeit ausgegangen und hat die Berufung deshalb als unzulässig angesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Rz. 7
Gemäß § 13 Abs. 1 ZuVOJu-BW sei das LG Mannheim für Berufungen in Urheberrechtsstreitsachen im Bezirk des OLG Karlsruhe ausschließlich zuständig. Eine fristwahrende Berufungseinlegung sei nur beim funktionell zuständigen LG Mannheim möglich gewesen. Eine Verweisung gem. § 281 ZPO an das LG Mannheim scheide aus, da diese Bestimmung auf die funktionelle Zuständigkeit grundsätzlich nicht anwendbar sei. Im Streitfall gelte auch keine Ausnahme, weil das Rechtmittelgericht nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 1 ZuVOJu-BW einfach und eindeutig zu bestimmen sei und diese Vorschrift den Parteien zudem schon im erstinstanzlichen Verfahren bekannt gewesen sei. Aus dem in der Berufungsschrift gestellten Verweisungsantrag ergebe sich zudem, dass die Beklagte selbst befürchtet habe, dass die Rechtsmittelbelehrung im amtsgerichtlichen Urteil unzutreffend gewesen sei. Über einen eventuellen Wiedereinsetzungsantrag habe das hierfür zuständige LG Mannheim zu entscheiden.
Rz. 8
III. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde ist zulässig (dazu unter III 1) und hat auch in der Sache Erfolg. Das LG Freiburg im Breisgau hat im angefochtenen Beschluss zwar mit Recht angenommen, dass es sich bei der vorliegenden Sache um eine Urheberrechtsstreitsache handelt und gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 ZuVOJu-BW für die Berufung das LG Mannheim funktionell zuständig ist (dazu unter III 2). Gleichwohl hat das LG Freiburg im Breisgau die Berufung zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die Beklagte durfte aufgrund der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung des AG ihre Berufung fristwahrend auch beim LG Freiburg im Breisgau einlegen. Das LG Freiburg im Breisgau war deshalb gehalten, die Streitsache an das funktionell zuständige LG Mannheim zu verweisen (dazu unter III 3).
Rz. 9
1. Die nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig, weil der Sache - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - grundsätzliche Bedeutung zukommt. Zudem ist die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig. Die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt die Beklagte in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), nach dem der Zugang zu den durch die Zivilprozessordnung eröffneten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.4.2005 - 1 BvR 1924/04, NJW 2005, 1931, 1932 m.w.N.). Dem trägt die angegriffene Entscheidung - wie sich gleichfalls aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - nicht hinreichend Rechnung.
Rz. 10
2. Allerdings hat das LG Freiburg im Breisgau mit Recht angenommen, dass für die Berufung der Beklagten im Streitfall das LG Mannheim funktionell zuständig ist.
Rz. 11
a) Die Bestimmung des § 105 Abs. 1 UrhG ermächtigt Landesregierungen, durch Rechtsverordnung Urheberrechtsstreitsachen, für die das LG in erster Instanz oder in der Berufungsinstanz zuständig ist, für die Bezirke mehrerer LG einem von ihnen zuzuweisen, wenn dies der Rechtspflege dienlich ist. Gemäß dieser Ermächtigung hat das Land Baden-Württemberg in § 13 Abs. 1 Nr. 1 ZuVOJu-BW bestimmt, dass für den im Streitfall maßgeblichen Bezirk des OLG Karlsruhe dem LG Mannheim Urheberrechtsstreitsachen, für die das LG in erster Instanz oder in der Berufungsinstanz zuständig ist, zugewiesen sind. Urheberrechtsstreitsachen sind nach § 104 Satz 1 UrhG Rechtsstreitigkeiten, durch die ein Anspruch aus einem der im Urheberrechtsgesetz geregelten Rechtsverhältnisse geltend gemacht wird. So liegt es hier. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche gem. §§ 97, 101 UrhG aus der Verletzung von ihr als Fotografin zustehenden Urheberrechten an einem Lichtbildwerk i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG oder an einem Lichtbild gem. § 72 UrhG geltend.
Rz. 12
b) Die vom Landesgesetzgeber gem. § 105 UrhG vorgenommene Zuständigkeitsbestimmung betrifft die funktionelle Zuständigkeit des maßgeblichen Gerichts (BGH, Beschl. v. 10.12.1987 - I ARZ 801/87, juris Rz. 1 und 4; Beschl. v. 22.3.2016 - I ZB 44/15, GRUR 2016, 636 Rz. 11 = WRP 2016, 728 - Gestörter Musikvertrieb).
Rz. 13
3. Die von der Beklagten danach gegenüber dem LG Mannheim als dem zuständigen Berufungsgericht einzuhaltenden Fristen zur Einlegung der Berufung (§ 519 Abs. 1 ZPO) und zu deren Begründung (§ 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO) sind im Streitfall durch die fristgerechte Einreichung der Berufung und der Berufungsbegründung beim funktionell unzuständigen LG Freiburg im Breisgau gewahrt worden. Dieses ist gehalten, die Sache entsprechend § 281 ZPO gemäß dem Antrag der Beklagten an das zuständige LG Mannheim zu verweisen.
Rz. 14
a) Allerdings kann die Berufung fristwahrend grundsätzlich nur bei dem nach der Zuständigkeitskonzentration zuständigen Gericht eingereicht werden, wenn die gesetzliche Regelung zur Zuständigkeit für das Rechtsmittelverfahren eindeutig ist (vgl. BGH GRUR 2016, 636 Rz. 18 - Gestörter Musikvertrieb, m.w.N.). Die hier in Rede stehende Regelung zur Zuständigkeit für die Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung in Urheberrechtsstreitsachen lässt jedoch nicht stets mit hinreichender Sicherheit erkennen, ob über das Rechtsmittel das allgemein zuständige Rechtsmittelgericht oder aber das Rechtsmittelgericht zu entscheiden hat, das nach der Spezialregelung zuständig ist, durch die die Zuständigkeit bei einem bestimmten Rechtsmittelgericht konzentriert worden ist. Mit der Frage, ob eine Urheberrechtsstreitsache vorliegt, können schwierige Abgrenzungsprobleme verbunden sein. Diese können dazu führen, dass für die Parteien die Beurteilung, bei welchem Gericht Berufung einzulegen ist, zweifelhaft erscheinen kann. Der Grundsatz der Rechtsmittelklarheit, nach dem für die Parteien zweifelsfrei erkennbar sein muss, welches Rechtsmittel für sie in Betracht kommt und unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist (BVerfGE 108, 341, 349; BGH, Beschl. v. 19.11.2015 - I ZR 58/14, NJOZ 2016, 1580 Rz. 2; BGH GRUR 2016, 636 Rz. 19 - Gestörter Musikvertrieb), gebietet in einem solchen Fall die Zulassung der fristwahrenden Berufungseinlegung und -begründung beim allgemein zuständigen Rechtsmittelgericht (BGH GRUR 2016, 636 Rz. 18 f. - Gestörter Musikvertrieb).
Rz. 15
Das funktional unzuständige Gericht hat die Sache unter diesen Umständen entsprechend § 281 ZPO an das nach der Konzentrationsregelung zuständige Rechtsmittelgericht zu verweisen (zur Verweisung bei einer Zuständigkeitskonzentration in Kartellsachen gem. § 89 GWB vgl. BGH, Urt. v. 30.5.1978 - KZR 12/77, BGHZ 71, 367, 371 [juris Rz. 20] - Pankreaplex I; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011, 153; zur Verweisung bei Urheberrechtsstreitigkeiten gem. § 105 UrhG vgl. OLG Koblenz, ZUM-RD 2001, 392 f.; Wimmers in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 5. Aufl., § 105 UrhG Rz. 7; Kefferpütz in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 4. Aufl., § 105 UrhG Rz. 5; BeckOK.UrhR/Reber, 20. Edition 20.4.2018, § 105 UrhG Rz. 1; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 105 Rz. 7; zur Verweisung in Wettbewerbsrechtssachen gem. § 13 Abs. 2 UWG vgl. Retzer/Tolkmitt in Harte/Henning, UWG, § 13 Rz. 51; Ehricke in MünchKomm/UWG, 2. Aufl., § 13 Rz. 36; zur Verweisung bei Kennzeichenstreitsachen gem. § 140 Abs. 2 MarkenG vgl. Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl., § 140 Rz. 37 f.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie im Streitfall - das erstinstanzliche Gericht in seiner Rechtsmittelbelehrung unzutreffend das allgemein zuständige Rechtsmittelgericht angegeben hat (vgl. BGH GRUR 2016, 636 Rz. 18 f. - Gestörter Musikvertrieb).
Rz. 16
b) Nach diesen Grundsätzen ist die Berufung der Beklagten beim LG Freiburg im Breisgau fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das LG Freiburg im Breisgau war gehalten, die Sache entsprechend § 281 ZPO antragsgemäß an das funktional zuständige LG Mannheim zu verweisen.
Rz. 17
IV. Nach alledem kann der mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Beschluss des LG keinen Bestand haben. Er ist deshalb aufzuheben, die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Das LG Freiburg im Breisgau wird die Sache gemäß dem Antrag der Beklagten entsprechend § 281 ZPO an das zuständige LG zu verweisen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 12334242 |
NJW 2018, 3720 |
GRUR 2018, 1294 |
JZ 2019, 38 |
MDR 2019, 183 |
WRP 2019, 80 |
ZUM-RD 2019, 77 |
GRUR-Prax 2018, 558 |
MMR 2019, 208 |
BRAK-Mitt. 2019, 20 |
IP kompakt 2019, 18 |