Leitsatz (amtlich)
Für die Beschwerdebefugnis naher Angehöriger nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ist maßgeblich, ob das Rechtsmittel dem objektiven Interesse des Betroffenen dient. Dabei ist ausreichend, dass der Rechtsmittelführer Interessen des Betroffenen zumindest mitverfolgt.
Normenkette
FamFG § 303 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Beschluss vom 19.07.2019; Aktenzeichen 7 T 399/19) |
AG Osnabrück (Entscheidung vom 20.03.2019; Aktenzeichen 80 XVII 5/16 (H)) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3) wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Osnabrück vom 19.7.2019 (Verwerfung der Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 3) aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Für die unter einer Demenzerkrankung leidende Betroffene wurde im Juni 2016 der Beteiligte zu 1), einer ihrer beiden Söhne, als Betreuer für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge sowie Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten bestellt. Zur Ersatzbetreuerin mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung wurde die Ehefrau des Beteiligten zu 1), die Beteiligte zu 2), bestellt. Im September 2018 hat der Beteiligte zu 3), der andere Sohn der Betroffenen, beim AG beantragt, den Betreuer und die Ersatzbetreuerin zu entlassen und eine neutrale, familienfremde Person zum Betreuer zu bestellen.
Rz. 2
Das AG hat die Betreuung im bisherigen Umfang verlängert, den beantragten Betreuerwechsel abgelehnt und die Entscheidung über die Erweiterung der Betreuung auf ein Umgangsrecht zurückgestellt. Die gegen die Ablehnung des Betreuerwechsels gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 3) hat das LG verworfen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 3) mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 3
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (vgl. BGH vom 15.9.2010 - XII ZB 166/10 FamRZ 2010, 1897 Rz. 9 f.) und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 3) folgt für das Verfahren der Rechtsbeschwerde bereits daraus, dass seine Erstbeschwerde verworfen worden ist (BGH, Beschl. v. 25.1.2017 - XII ZB 438/16 - FamRZ 2017, 552 Rz. 5 m.w.N.).
Rz. 5
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Rz. 6
a) Das LG hat zur Begründung seiner Entscheidung folgendes ausgeführt:
Rz. 7
Eine Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 3) folge nicht aus § 59 Abs. 1 FamFG, weil Angehörige eines Betroffenen durch betreuungsgerichtliche Entscheidungen grundsätzlich nicht in eigenen Rechten im Sinne dieser Vorschrift beeinträchtigt werden könnten. Auch aus § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ergebe sich keine Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 3). Zwar sei dieser im erstinstanzlichen Verfahren beteiligt worden. Jedoch stehe beteiligten Angehörigen die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG nur zu, wenn die Beschwerdeeinlegung im Interesse des Betroffenen erfolge. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Nach den objektiven, sich aus dem gesamten Akteninhalt ergebenden Umständen verfolge der Beschwerdeführer lediglich seine eigenen Interessen. Die Betroffene habe bei ihrer letzten Anhörung ausdrücklich bekundet, dass sie keinen Betreuerwechsel wünsche. Umstände, die eine Entlassung der bisherigen Betreuer als im Interesse der Betroffenen liegend erscheinen lassen, seien nicht ersichtlich. Das Betreuungsverfahren sei durchweg von den Auseinandersetzungen zwischen dem Betreuer und dem Beteiligten zu 3) geprägt gewesen. Die Betroffene wünsche nach ihrer ausdrücklichen Erklärung bei der Anhörung hingegen keine in einem gerichtlichen Verfahren ausgetragene Konfrontation, sondern eine durch Vernunft geprägte Verständigung ihrer Söhne zumindest insoweit, dass ein geordneter zwischenmenschlicher Umgang innerhalb der Familie gewährleistet sei. Zudem werde die Betroffene durch die in das Betreuungsverfahren hineingetragene persönliche Auseinandersetzung zwischen ihren Söhnen außerordentlich belastet. Dass die Beschwerde objektiv im Interesse der Betroffenen liege, sei daher nicht erkennbar. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass die amtsgerichtliche Entscheidung in der Sache vollumfänglich zutreffend sei.
Rz. 8
b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der am erstinstanzlichen Verfahren beteiligte Sohn der Betroffenen ist gem. § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG berechtigt, im eigenen Namen Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung zu führen, mit der der beantragte Betreuerwechsel im Rahmen der Verlängerung der bestehenden Betreuung abgelehnt worden ist.
Rz. 9
aa) Die Beschwerdebefugnis naher Angehöriger nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG erstreckt sich auch auf eine betreuungsgerichtliche Entscheidung, mit der im Rahmen einer Verlängerungsentscheidung ein beantragter Betreuerwechsel abgelehnt worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 8.7.2015 - XII ZB 292/14 FamRZ 2015, 1701 Rz. 6).
Rz. 10
bb) Entgegen der Auffassung des LG hat der Beteiligte zu 3) mit seinem Rechtsmittel auch in dem von § 303 Abs. 2 FamFG geforderten Interesse der Betroffenen gehandelt.
Rz. 11
(1) Dieses Tatbestandsmerkmal schließt ein Rechtsmittel eines der in § 303 Abs. 2 FamFG genannten Beteiligten nicht schon dann aus, wenn es dem - ggf. auch ausdrücklich erklärten - Willen des Betroffenen widerspricht (so aber MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 3. Aufl., § 303 Rz. 9, § 274 Rz. 13 f.). Vielmehr führt die tatbestandsmäßige Einschränkung nur zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels, wenn der Beteiligte mit diesem lediglich seine eigenen Interessen verfolgt. Es besteht ein Gleichlauf zwischen der Kann-Beteiligung nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG im Interesse des Betroffenen und der Beschwerdeberechtigung dieses Beteiligtenkreises nach § 303 Abs. 2 FamFG. Ebenso wie die Hinzuziehung der in § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG genannten Kann-Beteiligten selbst gegen den Willen des Betroffenen in dessen objektivem Interesse möglich ist (BGH, Beschl. v. 25.1.2017 - XII ZB 438/16 FamRZ 2017, 552 Rz. 21), kann ein solcher Beteiligter im objektiven Interesse des Betroffenen - und damit auch gegen dessen Willen - das Rechtsmittel führen (BGH, Beschl. v. 18.10.2017 - XII ZB 336/17 FamRZ 2018, 134 Rz. 6 m.w.N.). Maßgeblich für die Beschwerdebefugnis naher Angehöriger nach § 303 Abs. 2 Satz 1 FamFG ist daher, ob das Rechtsmittel dem objektiven Interesse des Betroffenen dient. Eine Beschwerdebefugnis besteht nur dann nicht, wenn der Rechtsmittelführer erkennbar ausschließlich eigene Interessen verfolgt (vgl. BGH, Beschl. v. 18.10.2017 - XII ZB 336/17 FamRZ 2018, 134 Rz. 6; BeckOK/FamFG/Günter [Stand: 1.10.2019] § 303 Rz. 7). Ausreichend ist, dass der Rechtsmittelführer Interessen des Betroffenen zumindest mitverfolgt (Keidel/Giers FamFG 20. Aufl., § 303 Rz. 25; Jürgens/Kretz Betreuungsrecht 6. Aufl., § 303 FamFG Rz. 7).
Rz. 12
(2) Auf dieser rechtlichen Grundlage hat das LG zu Unrecht angenommen, dass der Beteiligte zu 3) mit der Beschwerde nur eigene Interessen verfolgt und ihm deshalb keine Beschwerdebefugnis zusteht.
Rz. 13
Das LG begründet seine Auffassung im Wesentlichen damit, dass die Betroffene und ihr Ehemann keinen Betreuerwechsel wünschten und darüber hinaus aus objektiver Sicht keine Gründe dafür vorlägen, die eine Entlassung der bisherigen Betreuer als im Interesse der Betroffenen erscheinen ließen. Damit hat das LG Fragen der Zulässigkeit und der Begründetheit der Beschwerde in unzulässiger Weise miteinander vermischt. Bei der Prüfung der Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Satz 1 FamFG ist nicht entscheidend, ob in der Sache die Voraussetzungen für einen Betreuerwechsel vorliegen. Maßgeblich ist vielmehr, ob eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung aufgrund eines von einem nahen Angehörigen nach § 303 Abs. 2 Satz 1 FamFG eingelegten Rechtsmittels zumindest auch dem objektiven Interesse des Betroffenen dient. Dies schließt die vom LG gegebene Begründung nicht aus. Der Beteiligte zu 3) hat in seiner Beschwerdebegründung substantiiert Gründe dafür vorgetragen, warum der Beteiligte zu 1) das ihm übertragene Betreueramt in vermögensrechtlichen Angelegenheiten angeblich nicht zum Wohl der Betroffenen ausübe. Insbesondere hat er hierbei auf einen Interessenkonflikt des Beteiligten zu 1) hingewiesen, der sich daraus ergeben könnte, dass der Ehemann der Betroffenen dem Beteiligten zu 1) ein Darlehen gewährt hat, dessen Rückzahlung gefährdet sein könnte, sollte der Beteiligte zu 1) weiter zum Betreuer in Vermögensangelegenheiten bestellt bleiben. Sofern diese Behauptungen des Beteiligten zu 3) zutreffen, könnte es dem Wohl der Betroffenen entsprechen, einen Betreuerwechsel vorzunehmen, um deren Vermögensinteressen zu schützen. Schon aus diesem Grund liegt die Beschwerdeeinlegung objektiv auch im Interesse der Betroffenen.
Rz. 14
Zudem hat das LG bei seiner Entscheidung nicht in den Blick genommen, dass der Beteiligte zu 3) mit seiner Beschwerde die Bestellung eines neutralen Berufsbetreuers erreichen möchte. Auch dies könnte im Hinblick auf die gegen den Beteiligten zu 1) erhobenen Vorwürfe bei objektiver Betrachtung im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen liegen, auch wenn sie und ihr Ehemann einen Betreuerwechsel ablehnen. Insoweit weist die Rechtsbeschwerde zu Recht darauf hin, dass der Beteiligte zu 3) die Entscheidungen eines neutralen Berufsbetreuers auch dann zu akzeptieren habe, wenn sie seinen eigenen Interessen widersprechen.
Rz. 15
3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache ist an das LG zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 5, Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG).
Rz. 16
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 17
Ist im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Verlängerung einer bereits bestehenden Betreuung über einen Betreuerwechsel zu befinden, richtet sich die Auswahl der Person des Betreuers nicht nach § 1908b Abs. 3 BGB, sondern nach der für die Neubestellung eines Betreuers maßgeblichen Vorschrift des § 1897 BGB (vgl. BGH, Beschl. v. 14.2.2018 - XII ZB 507/17 FamRZ 2018, 707 Rz. 7 m.w.N.). Zudem wird das LG zu prüfen haben, ob im Hinblick auf den Umfang des angeordneten Aufgabenkreises die Bestellung eines Verfahrenspflegers für die Betroffene erforderlich ist (vgl. BGH, Beschl. v. 30.10.2019 - XII ZB 144/19 - juris Rz. 7 m.w.N., 15).
Rz. 18
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen
Haufe-Index 13693316 |
NJW 2020, 8 |
FamRZ 2020, 631 |
FuR 2020, 310 |
NJW-RR 2020, 322 |
BtPrax 2020, 58 |
JZ 2020, 181 |
MDR 2020, 499 |
FF 2020, 174 |