Leitsatz (amtlich)
Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht u.a. dazu, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft - in den Gründen zu bescheiden (st.Rspr.).
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 544 Abs. 9
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 11.9.2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Wiesbaden vom 17.1.2019 hinsichtlich der Abweisung des Klageantrags auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden aus dem streitgegenständlichen Unfall vom 11.7.2006 zurückgewiesen wurde.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil des 16. Zivilsenats des OLG Frankfurt zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf bis zu 110.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin macht gegen die beklagte Kraftfahrzeugversicherung Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls am 11.7.2006 geltend. Bei dem Unfall wurde die Klägerin beim Rückwärtsfahren des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs angefahren und stürzte zu Boden, wobei sie verschiedene Verletzungen - u.a. am linken Knie - erlitt. Der Unfall beruhte auf dem Alleinverschulden des Fahrzeugführers des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs.
Rz. 2
Die Klägerin begehrt materiellen und immateriellen Schadensersatz und hat u.a. beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle weiteren Schäden zu ersetzen, die aus dem streitgegenständlichen Unfall vom 11.7.2006 entstanden sind und noch entstehen werden, soweit diese nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Rz. 3
Das LG hat diesen Feststellungsantrag mangels Feststellungsinteresse als unzulässig abgewiesen. Im Übrigen hat es der Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. 10.000 EUR und Ersatz eines Haushaltsführungsschadens i.H.v. 768 EUR zuerkannt. Unter Berücksichtigung weiterer zu erstattender Schadenspositionen und Anrechnung vorgerichtlich erbrachter Zahlungen der Beklagten hat das LG der Klägerin letztlich 2.573,56 EUR nebst Zinsen zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das OLG zurückgewiesen und dabei die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat teilweise Erfolg. Sie führt hinsichtlich der vom Berufungsgericht bestätigten Abweisung des Klageantrags auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden aus dem streitgegenständlichen Unfall gem. § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht (1.). Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet (2.).
Rz. 5
1. Das Berufungsurteil beruht insoweit auf einer Gehörsverletzung, als das Berufungsgericht das Urteil des LG in Bezug auf die Abweisung des Klageantrags auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden als unzulässig bestätigt hat.
Rz. 6
aa) Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht u.a. dazu, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft - in den Gründen zu bescheiden (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 11.2.2020 - VI ZR 265/19 MDR 2020, 750 Rz. 5 m.w.N.).
Rz. 7
Diese Pflicht hat das Berufungsgericht - wie die Beschwerde zu Recht rügt - in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Es hat zwar den Antrag der Klägerin auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden aus dem Unfallereignis und ihre gegen die Abweisung dieses Antrags durch das LG gerichtete Berufungsrüge, wonach der Feststellungsantrag zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen worden sei, weil die zu befürchtenden zukünftigen Beeinträchtigungen der Klägerin aus dem Verkehrsunfall nicht absehbar seien, in den Tatbestand des Berufungsurteils aufgenommen, dies bei der Abfassung der Entscheidungsgründe aber offensichtlich aus dem Blick verloren. Dort wird auf die Zulässigkeit des Feststellungsantrags - und damit auf den für die Abweisung dieses Antrags entscheidenden Punkt - nicht eingegangen. Soweit das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen ausführt, der Klägerin stünden gegen die Beklagte keine weitergehenden Ansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 11.7.2006 zu, steht dies entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung in keinem erkennbaren Bezug zu der in Rede stehenden Frage des Feststellungsinteresses hinsichtlich künftiger Schäden. Auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, die angefochtene Entscheidung beruhe weder auf einer Rechtsverletzung i.S.d. § 546 ZPO zu Lasten der Klägerin, noch rechtfertigten die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, lässt - anders als die Beschwerdeerwiderung meint - nicht erkennen, dass sich das Berufungsgericht mit der Frage der Zulässigkeit des Feststellungsantrags befasst hätte.
Rz. 8
bb) Der Gehörsverstoß ist erheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht die Zulässigkeit und Begründetheit des Feststellungsantrags bejaht hätte. Die Beschwerde weist insoweit zu Recht darauf hin, dass nach den Feststellungen des LG das Unfallereignis eine Instabilität des Kniegelenks der Klägerin mit fortschreitendem Gelenkverschleiß verursacht hat, weshalb kurz- bis mittelfristig die Notwendigkeit einer Kniegelenksprothese wahrscheinlich ist. Diese Feststellungen sprechen für die - zur Bejahung des Feststellungsinteresses ausreichende (vgl. BGH, Urt. v. 16.1.2001 - VI ZR 381/99 NJW 2001, 1431, 1432, juris Rz. 7) - Möglichkeit künftiger weiterer unfallbedingter Schäden, die hinsichtlich der vom Feststellungsantrag mitumfassten materiellen Schäden nicht Gegenstand des bisherigen Zahlungsausspruchs oder der weiteren Feststellungsanträge sind.
Rz. 9
2. Im Übrigen war die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch insoweit erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer weiteren Begründung wird gem. § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 14623800 |
NJW 2021, 10 |
JZ 2021, 512 |
VersR 2022, 528 |
ErbR 2021, 907 |