Leitsatz (amtlich)
a) Es verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn das Patentgericht die Patentfähigkeit eines Patents unter Berufung auf eine Veröffentlichung verneint, die der Einsprechende nur beiläufig in Zusammenhang mit einem (neben der fehlenden Patentfähigkeit) zusätzlich geltend gemachten Widerrufsgrund erwähnt hat, ohne zuvor den Patentinhaber darauf hinzuweisen, dass diese Veröffentlichung der Patentfähigkeit des Patents entgegenstehen könnte.
b) Dabei ist unerheblich, ob die getroffene Entscheidung nach mündlicher Verhandlung oder im schriftlichen Verfahren ergangen ist.
Normenkette
PatG § 100 Abs. 3 Nr. 3
Verfahrensgang
BPatG (Beschluss vom 21.07.2008; Aktenzeichen 15 W (pat) 325/04) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluss des 15. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des BPatG vom 21.7.2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das BPatG zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 25.000,- EUR
Gründe
[1] I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist eingetragene Inhaberin des am 25.9.2003 veröffentlichten Patents 100 51 495 mit der Bezeichnung "Verwendung einer teiltransparenten Polyolefinfolie" (Streitpatent).
[2] Die eingetragenen Patentansprüche haben folgenden Wortlaut:
"1. Verwendung einer teiltransparenten Polyolefinfolie mit einer Foliendicke zwischen 5 und 250 ìm, an deren Folienoberfläche durch ein- oder beidseitige Oberflächenbehandlung sauerstoffhaltige Gruppen angelagert sind und welche durch eine nachfolgende, elektrostatische Aufladung oberflächenpolarisiert ist, wobei die elektrostatische Haftkraft durch Bemessung der Oberflächenpolarisation so auf das Flächengewicht der Folie abgestimmt ist, dass die Folie mit der behandelten Seite auf einer sauberen, getrockneten und planen Floatglasfläche in jeder Lage haften bleibt, als Flip-Chart-Folie, die beschreibbar ist und einen Haftgrund für eine klebstofffreie Fixierung von Papierblättern und Fotos bildet. 2. Verwendung einer Polyolefinfolie nach Anspruch 1, mit der Maßgabe, dass die Foliendicke einen Wert zwischen 10 und 100 ìm aufweist. 3. Verwendung einer Polyolefinfolie nach Anspruch 1 oder 2, mit der Maßgabe, dass die Folie zwei oder drei durch Coextrusion hergestellte Schichten aufweist. 4. Verwendung einer Polyolefinfolie nach einem der Ansprüche 1 bis 3, mit der Maßgabe, dass die Folie ein oder mehrere anorganische Füllmaterialien aus der Gruppe Calciumcarbonat, Titandioxid, Talkum und Kreide enthält, wobei der Anteil der Füllmaterialien bis zu 45 Gew.- %, bezogen auf die Endmischung, beträgt. 5. Verwendung einer Polyolefinfolie nach einem der Ansprüche 1 bis 4, mit der Maßgabe, dass eine Folienseite mit einem Raster bedruckt ist."
[3] Gegen das Streitpatent ist am 23.12.2003 Einspruch erhoben worden. In ihrer Begründung hat die Einsprechende geltend gemacht, dass der Gegenstand der Streitpatents nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und sich insoweit auf eine offenkundige Vorbenutzung sowie als druckschriftlichen Entgegenhaltungen auf die vorveröffentlichten US-PS 5 638 249 (D 1) und WO 96/08318 (D 2) berufen. Außerdem hat sich die Einsprechende auf eine widerrechtliche Entnahme gestützt und in diesem Zusammenhang ein Telefax der M. GmbH vom 19.6.1998 an die Einsprechende vorgelegt. In dem Telefax ist vermerkt, dass mit diesem das US-Patent 5 010 671 überreicht werde. Der als Anlage von der Einsprechenden eingereichten Ablichtung des Telefax war eine solche des US-Patents beigefügt.
[4] Die Patentinhaberin hat dem Einspruchsvorbringen widersprochen und das Streitpatent unbeschränkt, hilfsweise mit geänderten Ansprüchen verteidigt. Später hat die Einsprechende ihren Einspruch zurückgenommen. Nach entsprechenden Anträgen der Einsprechenden und der Patentinhaberin hat das Patentgericht den vor der Rücknahme des Einspruchs anberaumten Verhandlungstermin von Amts wegen wieder aufgehoben.
[5] Ohne weitere Hinweise erteilt zu haben, hat das Patentgericht das Streitpatent an dem ursprünglich vorgesehenen Verhandlungstermin widerrufen. Gegen die Entscheidung richtet sich die vom Patentgericht nicht zugelassene Rechtsbeschwerde.
[6] II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil mit ihr der nicht zulassungsgebundene Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG geltend gemacht wird, und hat auch in der Sache Erfolg.
[7] 1. Das Patentgericht hat Patentanspruch 1 des Streitpatents wie folgt gegliedert:
1) Verwendung einer Polyolefinfolie, 1.1) die teiltransparent ist, 1.2) mit einer Foliendicke zwischen 5 und 250 ìm, 1.3) an deren Folienoberfläche durch ein- oder beidseitige Oberflächenbehandlung sauerstoffhaltige Gruppen angelagert sind, 1.4) die Folienoberfläche ist durch eine nachfolgende, elektrostatische Aufladung oberflächenpolarisiert, 1.5) die elektrostatische Haftkraft ist durch Bemessung der Oberflächenpolarisation so auf das Flächengewicht der Folie abgestimmt, dass die Folie mit der behandelten Seite auf einer sauberen, getrockneten und planen Floatglasfläche in jeder Lage haften bleibt, 2) als Flip-Chart-Folie, 2.1) die beschreibbar ist und 2.2) einen Haftgrund für eine klebstofffreie Fixierung von Papierblättern und Fotos bildet.
und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
[8] Es könne dahinstehen, ob die mit dem Streitpatent beanspruchte Verwendung einer teil-transparenten Polyolefinfolie neu sei, weil sie jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Aus der D 1 gehe hervor, dass als Polymerfolien, auf welchen Papierposter reversibel angebracht werden können, Polyethylen- oder Polypropylenfolien mit einer Dicke von umgerechnet 25,4 µm bis 12,7 µm, nach elektrischer Aufladung durch Corona-Behandlung, in einem System Wand-Folie-Papier besonders geeignet seien, womit die Merkmale 1, 1.2, 1.3 sowie 2.2 des erteilten Patentanspruchs 1 offenbart seien. Die Ausbildung sauerstoffhaltiger funktioneller Gruppen an der Folienoberfläche durch Corona-Behandlung sei dem Fachmann, einem mit der Herstellung und Anwendung von Polymerfolien befassten und vertrauten Diplom-Chemiker, geläufig, so dass sich daraus das Merkmal 1.4 unmittelbar erschließe. Zur Frage der Transparenz der Polyolefinfolie sei der D 1 lediglich zu entnehmen, dass eine weitere transparente Folie mit vergleichbarer Haftkraft als Schutzschicht über das Papierposter angebracht werden könne (Merkmal 1.1). Konkrete Angaben über die Beschreibbarkeit der Polyolefinfolien fehlten in der D 1 ebenso wie ein Hinweis auf die spezielle Anwendung als Flip-Chart-Folie (Merkmale 2.1 und 2). Die Verwendung von statisch aufladbaren, beschreibbaren und teiltransparenten Polyolefinfolien als Flip-Chart-Folien und damit die Merkmale 1.1, 2 und 2.1 würden sich für den Fachmann jedoch aus dem gattungsgleichen US-Patent 5 010 671 ergeben. Die reversibel aneinander haftenden Blätter des darin offenbarten Flip-Chart-Blocks könnten auch auf einer anderen Oberfläche allein aufgrund ihrer statischen Ladung sicher und reversibel haftend angebracht werden und seien zudem beschreibbar. Der Druckschrift könne zudem entnommen werden, dass die Blätter auch auf transparenten Oberflächen wie Glas anhaften und dabei aufgrund ihrer nur teilweisen Durchlässigkeit für sichtbares Licht (vgl. den Handelsnamen "Oppalyte") auch in beschriebenen Zustand als Datenträger dienen könnten (Merkmal 1.1). Aus der in dem US-Patent beschriebenen Anwendbarkeit auf Glas als Oberfläche ergebe sich für den Fachmann das in Merkmal 1.5 enthaltene Erfordernis der Abstimmung der elektrostatischen Haftkraft auf das Flächengewicht der Folie durch Bemessung der Oberflächenpolarisation von selbst. Damit erschließe sich die streitpatentgemäße Verwendung der Polyolefinfolie als Flip-Chart-Folie aus den beiden genannten Druckschriften in nahe liegender Weise. Das gelte auch für den Gegenstand des Hilfsantrags, der keine tatsächliche Einschränkung ggü. dem Hauptantrag enthalte.
[9] 2. Die Rechtsbeschwerde rügt, dass der Patentinhaberin rechtliches Gehör versagt worden sei. Diese habe nicht damit rechnen müssen, dass sich das Patentgericht für seine Beurteilung maßgeblich auf das genannte US-Patent stützen werde, weil jenes von der Einsprechenden nur als Beifügung zu dem Telefax der M. GmbH vom 19.6.1998 vorgelegt worden sei. Das Berufungsgericht sei deshalb gehalten gewesen, der Patentinhaberin einen entsprechenden Hinweis zu erteilen und Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Mit dem Telefax habe die Einsprechende eine Firmenverwandtschaft zwischen der M. GmbH und der N. AG, der früheren Inhaberin des Streitpatents, nachweisen wollen, um den Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme zu stützen. Das dem Telefax als Anlage beigefügte, als Fax-Kopie unleserliche US-Patent sei dabei lediglich Gegenstand eines Hinweises auf die patentrechtliche Situation in den USA gewesen, die zu überprüfen gewesen sei. Die Einsprechende habe an keiner Stelle ihres Vorbringens das US-Patent als für die Schutzfähigkeit relevant anzusehenden Stand der Technik angeführt.
[10] Der Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei auch entscheidungserheblich, weil nicht auszuschließen sei, dass die angefochtene Entscheidung darauf beruhe. Denn die Patentinhaberin hätte auf einen richterlichen Hinweis vorgetragen, dass die D 1 keine Teiltransparenz der Folie lehre (Merkmal 1.1), nicht offenbare, dass an der Folienoberfläche durch ein- oder beidseitige Oberflächenbehandlung sauerstoffhaltige Gruppen angelagert seien (Merkmal 1.4), nicht aufzeige, die elektrostatische Haftkraft gemäß Merkmal 1.5 zu bemessen, und dieser auch nicht zu entnehmen sei, die Folie als beschreibbare Flip-Chart-Folie zu verwenden (Merkmale 2 und 2.1). Das US-Patent 5 010 671 offenbare ebenfalls keine Teiltransparenz der Folie (Merkmal 1.1), beschreibe keine ein- oder beidseitige Oberflächenbehandlung, bei der sauerstoffhaltige Gruppen angelagert würden (Merkmal 1.3), offenbare keine Bemessung der elektrostatischen Haftkraft gemäß Merkmal 1.5 und zeige nicht, die Flip-Chart-Folie auch als Haftgrund für eine klebstofffreie Fixierung von Papierblättern und Fotos auszugestalten (Merkmal 2.2). Eine Zusammenschau der D 1 und des US-Patents stehe einer erfinderischen Tätigkeit nicht entgegen, weil auch beide Druckschriften nicht die Kombination von auf der Flip-Chart-Folie fixierten Fotos und neben den Fotos angeordneter Schrift nahe legen würden (Merkmale 2, 2.1 und 2.2). Aus den beiden Entgegenhaltungen gehe auch nicht hervor, dass die Eigenschaften der Folie nur durch die Kombination der Merkmale 1.3 und 1.4 erreicht werde.
[11] Wäre der Patentinhaberin rechtliches Gehör gewährt worden, hätte diese zudem die Hilfsanträge 1 bis 5 gestellt.
[12] In Hilfsantrag 1 hätte sie beantragt, das Streitpatent dadurch beschränkt aufrecht zu erhalten, dass Anspruch 1 des erteilten Patents durch den neuen Anspruch 1 ersetzt wird, wobei dieser die teiltransparente Polyolefinfolie weiter dahin definiert, dass deren Transparenz zwischen 10 und 90 % liegt.
[13] In Hilfsantrag 2 hätte sie beantragt, das Streitpatent dadurch beschränkt aufrecht zu erhalten, dass die Ansprüche 1 bis 5 des erteilten Patents durch die neuen Ansprüche 1 bis 4 ersetzt werden, wobei sich die beiden Anspruchsfassungen dadurch unterscheiden, dass Anspruch 1 und Anspruch 3 des erteilten Patents in Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags kombiniert werden und dadurch in Hilfsantrag 2 Anspruch 3 als Unteranspruch wegfällt und Ansprüche 4 und 5 des erteilten Patents zu Ansprüchen 3 und 4 des 2. Hilfsantrags werden.
[14] Als Hilfsantrag 3 wären die Ansprüche des Hauptantrags, als Hilfsantrag 4 wären die Ansprüche des Hilfsantrags 1 und als Hilfsantrag 5 wären die Ansprüche des Hilfsantrags 2 weiterverfolgt worden, jedoch jeweils mit der Maßgabe, dass in Anspruch 1 das Merkmal "als Flip-Chart-Folie, die beschreibbar ist und einen Haftgrund für eine klebstofffreie Fixierung von Papierblättern und Fotos bildet" durch das Merkmal "als zu beschreibende Flip-Chart-Folie und als Haftgrund für eine klebstofffreie Fixierung von Papierblättern und Fotos" ersetzt wird.
[15] 3. Die Rechtsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Patentgericht seiner Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs ggü. der Patentinhaberin nicht nachgekommen ist.
[16] Mit der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs kann nicht nur geltend gemacht werden, dass das entscheidende Gericht Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder in seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat, sondern auch, dass es Erkenntnisse verwertet hat, zu denen ein Verfahrensbeteiligter nicht Stellung nehmen konnte. Der letztgenannte Fall kommt in Betracht, wenn der Verfahrensbeteiligte gar nicht zu Wort gekommen ist oder das Gericht bei seiner Entscheidung Tatsachen zugrunde gelegt hat, zu denen der Beteiligte nicht mehr Stellung nehmen konnte. Gleiches gilt, wenn der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu erwartenden Sorgfalt nicht erkennen konnte, auf welches Vorbringen es für die Entscheidung des Gerichts ankommen kann und wird (BGH, Beschl. v. 25.1.2000 - X ZB 7/99, GRUR 2000, 792 - Spiralbohrer; Beschl. v. 16.9.2008 - X ZB 29/07, GRUR 2009, 91 [92] - Antennenhalter). Da die Parteien kein Recht darauf haben, vor der gerichtlichen Entscheidung zu erfahren, wie das Gericht den die Grundlage seiner Entscheidung bildenden Sachverhalt (voraussichtlich) würdigen wird, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör allerdings nicht schon dann verletzt, wenn das Patentgericht nicht darauf hinweist, welchen Offenbarungsgehalt es einer in der mündlichen Verhandlung erörterten Veröffentlichung entnimmt (Sen., a.a.O., - Antennenhalter). Es verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör jedoch, wenn das Patentgericht die Patentfähigkeit eines Patents unter Berufung auf eine zum Stand der Technik gehörende Veröffentlichung verneint, die der Einsprechende nur beiläufig in Zusammenhang mit einem (neben der fehlenden Patentfähigkeit) zusätzlich geltend gemachten Widerrufsgrund erwähnt hat, ohne zuvor den Patentinhaber darauf hinzuweisen, dass diese Veröffentlichung der Patentfähigkeit des Patentes entgegenstehen könnte.
[17] Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Patentinhaberin konnte bei Anwendung der von ihr zu erwartenden Sorgfalt nicht damit rechnen, dass das Patentgericht bei der Beurteilung der Patentfähigkeit des Streitpatents auch das US-Patent 5 010 671 als entscheidungserhebliche Entgegenhaltung heranziehen würde. Die Druckschrift wurde zwar bereits mit dem Einspruch vorgelegt. Dies erfolgte jedoch nicht im Hinblick auf das Vorbringen der Einsprechenden zur Patentfähigkeit des Streitpatents. Insoweit hat die Einsprechende ihren Angriff allein auf die Entgegenhaltungen D 1 und D 2 gestützt. Auch im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens hat sich keiner der Verfahrensbeteiligten in Zusammenhang mit der Patentfähigkeit des Streitpatents auf das US-Patent berufen.
[18] Dieses wurde vielmehr lediglich hinsichtlich des Einspruchsgrundes der widerrechtlichen Entnahme zusammen mit dem als Anlage 15 vorgelegten Telefax der M. GmbH vom 19.6.1998 von der Einsprechenden in einer nahezu unleserlichen Ablichtung eingereicht. Bei der M. GmbH hat es sich um eine mit der damaligen Anmelderin konzernverbundene Gesellschaft gehandelt. Unter anderem mit der Vorlage dieses Telefax wollte die Einsprechende darlegen, dass die (mutmaßlichen) Erfinder des Streitpatents vor dessen Anmeldetag die Folie und deren Verwendung in Gesprächen mit der Einsprechenden kennen gelernt hatten. Vor diesem Hintergrund musste die Patentinhaberin nicht damit rechnen, dass das BPatG nach der Rücknahme des Einspruchs seine Erwägungen zur Patentfähigkeit des Streitpatents maßgeblich auch auf das US-Patent stützen werde.
[19] Dem steht nicht entgegen, dass die Einsprechende in der Einspruchsbegründung ausgeführt hat, dass die M. GmbH sie mit dem als Anlage 15 vorgelegten Telefax im Juni 1998 "auf ein ggf. zu beachtendes US-Patent hinweise". Damit war erkennbar nur ein Hinweis an die M. GmbH gemeint, dass das US-Patent ggf. beachtet werden müsse, wenn der US-Markt durch Tätigkeiten der Einsprechenden berührt werde. Die Ausführungen der Einsprechenden konnten also sinnvollerweise nicht so verstanden werden, dass das US-Patent auch bei der Patentfähigkeit des Streitpatents zu beachten sei.
[20] Auch der Umstand, dass die Aufhebung des ursprünglich anberaumten Verhandlungstermins nach einem entsprechenden Antrag der Patentinhaberin erfolgt ist, hat das Patentgericht nicht von seiner Hinweispflicht entbunden. Denn die Verpflichtung des Patentgerichts, Verfahrensbeteiligte im Beschwerdeverfahren nach § 73 ff. PatG oder im Einspruchsverfahren nach § 147 Abs. 3 PatG a.F. auf Entgegenhaltungen hinzuweisen, von denen sie auch bei Anwendung der von ihnen zu erwartenden Sorgfalt nicht erkennen können, dass diese als entscheidungsrelevant berücksichtigt werden könnten, besteht unabhängig davon, ob die Entscheidung nach mündlicher Verhandlung ergeht oder im schriftlichen Verfahren getroffen wird. Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn - wie hier - der Aufhebung der zunächst vom Patentgericht anberaumten mündlichen Verhandlung ein entsprechender Antrag eines Verfahrensbeteiligten vorausgegangen ist.
[21] 4. Die Verletzung des Anspruchs auf Wahrung rechtlichen Gehörs setzt weiterhin voraus, dass die beanstandete Entscheidung auf dem behaupteten Mangel beruht oder beruhen kann, es also nicht ausgeschlossen werden kann, dass die ordnungsgemäße Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer der Partei günstigeren Entscheidung geführt hätte (BGH, Beschl. v. 14.3.2006 - X ZB 28/04 Rz. 8m.N. aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung; vgl. auch BGH, Beschl. v. 30.1.1997 - I ZB 3/95, GRUR 1997, 637 638 - Top Selection, zu § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG). Demgegenüber ist die Versagung rechtlichen Gehörs unschädlich, wenn sie sich allein auf Feststellungen bezieht, die für die Entscheidung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt erheblich gewesen sind (BGH, a.a.O., - Top Selection; Benkard/Rogge, 10. Aufl. 2006, § 100 PatG Rz. 28; Busse/Keukenschrijver, 6. Aufl. 2003, § 100 PatG Rz. 50).
[22] Im Streitfall ist der Patentinhaberin rechtliches Gehör im Hinblick auf entscheidungsrelevante Feststellungen versagt worden.
[23] Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die ordnungsgemäße Gewährung rechtlichen Gehörs durch einen Hinweis auf die Absicht des Patentgerichts, das US-Patent 5 010 671 als relevanten Stand der Technik zu berücksichtigen, zu einer der Patentinhaberin günstigeren Entscheidung geführt hätte. Das gilt jedenfalls, soweit die Patentinhaberin bei Erteilung eines solchen Hinweises entsprechend den Darlegungen der Rechtsbeschwerde geltend gemacht hätte, dass das US-Patent nicht offenbart, dass die Polyolefinfolie teiltransparent ist und die elektrostatische Haftkraft durch Bemessung der Oberflächenpolarisation so auf das Flächengewicht der Folie abgestimmt ist, dass diese mit der behandelten Seite auf einer sauberen, getrockneten und planen Floatglasfläche in jeder Lage haften bleibt (Merkmale 1.1 und 1.5) und auch einer Zusammenschau der Entgegenhaltung D 1 und des US-Patents nicht die Kombination der Merkmale zu entnehmen gewesen wäre, dass die Flip-Chart-Folie zugleich beschreibbar ist und einen Haftgrund für eine klebstofffreie Fixierung von Papierblättern und Fotos bildet (Merkmale 2, 2.1 und 2.2), und dass jedenfalls das Streitpatent beschränkt im Umfang der Hilfsanträge 1 bis 5 aufrecht zu erhalten gewesen wäre. Denn zumindest bei diesen Einwendungen handelt es sich einerseits um Darlegungen der Patentinhaberin, von denen anzunehmen ist, das sie allein deshalb nicht vorgebracht worden sind, weil das Patentgericht pflichtwidrig den Hinweis unterlassen hatte, dass es auf das US-Patent 5 010 671 bei der Beurteilung der Patentfähigkeit des Streitpatents ankommen könnte, und geht es andererseits um Tatsachen, die vom Patentgericht in dem angegriffenen Beschluss als entscheidungsrelevant angesehen worden sind.
[24] 5. Die Rechtsbeschwerde führt danach zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht (§ 108 Abs. 1 PatG). Die Zurückverweisung an einen anderen Senat des Patentgerichts ist - entgegen der Anregung der Rechtsbeschwerde - nicht veranlasst (vgl. BGH, Beschl. v. 28.8.2003 - I ZB 26/01, GRUR 2004, 77 [79] - PARK & BIKE).
Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 PatG).
Fundstellen