Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen, unter denen nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB bei der Auswahl eines Betreuers vom Vorschlag des volljährigen Betreuten abgewichen werden darf (im Anschluss an BGH v. 18.10.2017 - XII ZB 222/17, FamRZ 2018, 55).
Normenkette
BGB § 1897 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
LG Bremen (Beschluss vom 18.10.2017; Aktenzeichen 5 T 417/17 und 418/17) |
AG Bremen (Beschluss vom 05.04.2017; Aktenzeichen 44 XVII K 216/16) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Bremen vom 18.10.2017 in der Fassung vom 20.11.2017 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 3) zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Beteiligte zu 3) wendet sich gegen die Bestellung der Beteiligten zu 4) zur Betreuerin der Betroffenen.
Rz. 2
Die Beteiligte zu 4) ist die Tochter, die Beteiligten zu 2), 3) und 5) sind die Enkelinnen der 99-jährigen Betroffenen, die an einer Multimorbidität und einer leichten kognitiven Störung leidet. Mit Beschluss vom 5.4.2017 hat das AG die Beteiligte zu 2) zur Betreuerin mit dem Aufgabenkreis Sorge für die Gesundheit, Vermögenssorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten bestellt. Aufgrund familiärer Streitigkeiten hat das AG mit Beschluss vom 19.5.2017 die Beteiligte zu 2) "teilweise entlassen", ihren Aufgabenkreis auf die Gesundheitsfürsorge beschränkt und den Beteiligten zu 1) für den gesamten Aufgabenkreis zum Berufsbetreuer bestellt.
Rz. 3
Gegen beide Entscheidungen haben die Beteiligten zu 3) und 4) Beschwerden eingelegt. Das AG hat den Beschwerden nicht abgeholfen und die Akten am 9.6.2017 dem LG zur Entscheidung vorgelegt. Am gleichen Tag hat das AG die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen beschlossen. Das LG hat nach Verbindung der Beschwerdeverfahren die Beteiligten zu 1) und 2) als Betreuer entlassen und die Beteiligte zu 4) unter Aufrechterhaltung des gesamten bisherigen Aufgabenkreises zur Betreuerin bestellt. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 3) mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG zulassungsfrei statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Rechtsbeschwerdebefugnis der Beteiligten zu 3) als Enkelin der Betroffenen ergibt sich aus § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.
Rz. 5
1. Das LG hat zur Begründung seiner Entscheidung folgendes ausgeführt:
Rz. 6
Die amtsgerichtliche Entscheidung, die Beteiligten zu 1) und 2) zu Betreuern zu bestellen, sei deshalb abzuändern, weil die Betroffene bei ihrer Anhörung im Beschwerdeverfahren und auch mehrfach gegenüber dem Beteiligten zu 1) unmissverständlich angegeben habe, dass sie wünsche, die Beteiligte zu 4) solle sich allein um ihre Angelegenheiten kümmern. Dieser Wunsch der Betroffenen entspringe nicht einer momentanen Unstimmigkeit oder einer kurzfristigen Gefühlslage. Deshalb sei dieser Betreuervorschlag, der weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit des Betroffenen erfordere, bei der Auswahl des Betreuers zu beachten. Umstände, die es rechtfertigen würden, diesem Wunsch der über einen freien Willen verfügenden Betroffenen nicht zu entsprechen, lägen nicht vor. Bedenken gegen die Bestellung der Beteiligten zu 4) zur Betreuerin seien, auch nach der eingeholten Stellungnahme des Verfahrenspflegers, nicht ersichtlich.
Rz. 7
2. Das hält rechtlicher Überprüfung stand.
Rz. 8
a) Die Beteiligte zu 3) hat sich mit ihrer Beschwerde nur gegen die Bestellung der Beteiligten zu 1) und 2) zu Betreuern der Betroffenen und nicht gegen die Einrichtung oder den Umfang der Betreuung gewendet.
Rz. 9
Das Rechtsmittel war mithin auf die Betreuerauswahl beschränkt, was eine zulässige Teilanfechtung der die Betreuungserrichtung und die Betreuerbestellung umfassenden Einheitsentscheidung darstellt (BGH, Beschl. v. 25.3.2015 - XII ZB 621/14, FamRZ 2015, 1178 Rz. 10 m.w.N.). Aufgrund dieser wirksamen Beschränkung der Beschwerde hatte das Beschwerdegericht nur über die Rechtmäßigkeit der Betreuerauswahl zu befinden. Zwar tritt das Beschwerdegericht in vollem Umfang an die Stelle des Erstgerichts (§ 68 Abs. 3 FamFG) und entscheidet unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung über die Sache neu. Die Entscheidungskompetenz des Beschwerdegerichts ist jedoch durch den Beschwerdegegenstand begrenzt; das Beschwerdegericht darf nur insoweit über eine Angelegenheit entscheiden, als sie in der Beschwerdeinstanz angefallen ist (BGH v. 16.9.2015 - XII ZB 526/14, FamRZ 2016, 121 Rz. 10 f. m.w.N.; v. 3.12.2014 - XII ZB 355/14, FamRZ 2015, 486 Rz. 24).
Rz. 10
Prüfungsgegenstand im Beschwerdeverfahren war somit nicht, ob die Voraussetzungen einer Betreuerbestellung vorgelegen haben, sondern ausschließlich die Frage der Person des Betreuers. Irgendwelche Ermittlungen zum Betreuungsbedarf i.S.d. § 1896 Abs. 1 BGB oder zur Erforderlichkeit der Betreuung nach § 1896 Abs. 2 BGB waren daher nicht veranlasst. Die hierauf bezogene Verfahrensrüge der Rechtsbeschwerde geht deshalb ins Leere (vgl. BGH v. 3.2.2016 - XII ZB 493/15, FamRZ 2016, 626 Rz. 10).
Rz. 11
b) Die vom LG getroffene Entscheidung, die Beteiligte zu 4) zur Betreuerin zu bestellen, ist frei von Rechtsfehlern.
Rz. 12
aa) Gemäß § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB ist die Person zum Betreuer zu bestellen, die der Betroffene wünscht. Ein solcher Vorschlag erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Auch die Motivation des Betroffenen ist für die Frage, ob ein betreuungsrechtlich beachtlicher Vorschlag vorliegt, ohne Bedeutung (BGH, Beschl. v. 19.7.2017 - XII ZB 57/17, FamRZ 2017, 1612 Rz. 17 m.w.N.).
Rz. 13
Die Vorschrift des § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB räumt dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen ein. Der Wille des Betroffenen darf nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will. Die Annahme einer solchen konkreten Gefahr beruht auf einer Prognoseentscheidung des Gerichts, für die dieses sich naturgemäß auf Erkenntnisse stützen muss, die in der - näheren oder auch weiter zurückliegenden - Vergangenheit wurzeln. Soweit es um die Eignung der vorgeschlagenen Person geht, müssen diese Erkenntnisse geeignet sein, einen das Wohl des Betroffenen gefährdenden Eignungsmangel auch für die Zukunft und bezogen auf den von der Betreuung umfassten Aufgabenkreis zu begründen (BGH, Beschl. v. 18.10.2017 - XII ZB 222/17, FamRZ 2018, 55 Rz. 11 m.w.N.).
Rz. 14
Die vom Tatrichter vorgenommene Beurteilung der Eignung einer Person als Betreuer kann gem. § 72 Abs. 1 Satz 1 FamFG im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Rechtsfehler überprüft werden. Sie ist rechtlich fehlerhaft, wenn der Tatrichter den unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung verkennt, relevante Umstände in unvertretbarer Weise bewertet oder bei der Subsumtion wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt (BGH, Beschl. v. 8.11.2017 - XII ZB 90/17, FamRZ 2018, 206 Rz. 13 m.w.N.).
Rz. 15
bb) Gemessen hieran ist die vom LG getroffene Entscheidung nicht zu beanstanden.
Rz. 16
Nach den getroffenen Feststellungen hat die Betroffene bei ihrer Anhörung im Beschwerdeverfahren und auch gegenüber dem bisherigen Betreuer mehrfach den Wunsch geäußert, dass sich ihre Tochter, die Beteiligte zu 4), um alles kümmern solle. Dass das LG diese Äußerungen der Betroffenen als einen nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB bindenden Vorschlag zur Person des Betreuers gewertet hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Auch die Rechtsbeschwerde erinnert hiergegen nichts.
Rz. 17
Umstände, aus denen sich schließen ließe, dass die Bestellung der Beteiligten zu 4) zur Betreuerin dem Wohl der Betroffenen zuwiderliefe, ergeben sich aus den getroffenen Feststellungen nicht. Solche werden auch von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt. Allein die Tatsache, dass die Tochter der Betroffenen und ihre Enkelinnen zerstritten sind, begründet noch nicht die konkrete Gefahr, die Beteiligte zu 4) werde die Betreuung der Betroffenen nicht zu deren Wohl ausüben.
Rz. 18
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen
Haufe-Index 11795276 |
FamRZ 2018, 1192 |
FuR 2018, 482 |
NJW-RR 2018, 1029 |
FGPrax 2018, 222 |
ZAP 2018, 770 |
BtPrax 2018, 200 |
JZ 2018, 496 |
MDR 2018, 869 |
Rpfleger 2018, 544 |
FF 2018, 332 |
FK 2018, 129 |
SR-aktuell 2018, 163 |