Leitsatz (amtlich)

In dem Verfahren der Abschiebungshaft darf das Gericht dem Betroffenen nicht von sich aus nahe legen, seine Beschwerde gegen die Haftanordnung zurückzunehmen. Will der nicht anwaltlich vertretene Betroffene die Beschwerde gegen die Anordnung der Abschiebungshaft zurücknehmen, muss das Gericht ihn nicht nur darüber belehren, dass er weiter inhaftiert bleibt, sondern auch darüber, dass er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft nicht mehr erreichen kann und ein ggf. bereits gestellter Feststellungsantrag gegenstandslos wird. Die Belehrung muss für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar dokumentiert werden (Fortführung von BGH, Beschl. v. 1.12.2011 - V ZB 73/11, NVwZ 2012, 319).

 

Normenkette

FamFG § 67 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Beschluss vom 27.12.2017; Aktenzeichen 2 T 772/17)

AG Sinzig (Beschluss vom 04.10.2017; Aktenzeichen 2.4 XIV 2/17 B)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Koblenz vom 27.12.2017 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des AG Sinzig vom 4.10.2017 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Kreis Ahrweiler auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Betroffene, ein tunesischer Staatsangehöriger, reiste zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel in das Bundesgebiet ein und stellte im Oktober 2017 einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 19.10.2017 als offensichtlich unbegründet ablehnte. Am 3.10.2017 wurde er festgenommen. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das AG mit Beschluss vom 4.10.2017 Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von längstens drei Monaten angeordnet. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt und die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft beantragt. Das LG hat ihn angehört und in dem Protokoll vom 4.12.2017 vermerkt, der Betroffene habe die Beschwerde zurückgenommen. Den nach seiner Abschiebung am 12.12.2017 erneut gestellten Antrag vom 13.12.2017 auf Feststellung, dass die Haftanordnung ihn in seinen Rechten verletzt hat, hat das LG unter Hinweis auf die Rücknahme der Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

Rz. 2

Das Beschwerdegericht meint, der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung sei unbegründet. Der Betroffene habe seine Beschwerde im Anhörungstermin nach Besprechung der Sache und seines Beschwerdeziels zurückgenommen. Damit sei das Beschwerdeverfahren wirksam beendet und könne nicht mehr fortgesetzt werden. Der Protokollierung der Belehrung des Betroffenen über die Folgen seiner Rücknahmeerklärung habe es nicht bedurft. Die vom BGH aufgestellten Grundsätze über die erforderliche Belehrung eines anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen über die Folgen eines Rechtsmittelverzichts seien auf die Beschwerderücknahme nicht anwendbar. Hier sei zum Zeitpunkt der Abschiebung schon ein Teil der angeordneten Haft vollzogen gewesen, der geplante Abschiebetermin habe festgestanden und die Sache sei mit dem Betroffenen besprochen worden. An der Feststellung der Rechtswidrigkeit habe dieser kein persönliches Interesse mehr gehabt.

III.

Rz. 3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Rz. 4

1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist mit dem gestellten Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG zulässig. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Betroffene die Rücknahme der Beschwerde erklärt hat.

Rz. 5

a) Allerdings kann die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Haft nicht unabhängig von einem Beschwerde- oder Haftaufhebungsverfahren, sondern nur in dessen Rahmen beantragt werden. Die formelle Rechtskraft darf mit einem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG nicht durchbrochen werden (BGH, Beschl. v. 28.4.2011 - V ZB 292/10, FGPrax 2011, 200 Rz. 17; Beschl. v. 6.10.2011 - V ZB 314/10, FGPrax 2012, 44 Rz. 7). Ein solcher (isolierter) Feststellungsantrag wäre mangels Feststellungsinteresses unzulässig und nicht, wie das Beschwerdegericht meint, unbegründet (vgl. BGH, Beschl. v. 20.1.2011 - V ZB 116/10, FGPrax 2011, 143 Rz. 5-8; Beschl. v. 24.9.2015 - V ZB 3/15, InfAuslR 2016, 56 Rz. 11; Beschl. v. 18.2.2016 - V ZB 74/15, InfAuslR 2016, 240 Rz. 10). So verhält es sich hier jedoch nicht.

Rz. 6

b) Der Betroffene hat die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung in dem laufenden Beschwerdeverfahren beantragt. Die Haftanordnung ist nicht rechtskräftig geworden; denn die Beschwerderücknahme (§ 67 Abs. 4 FamFG) ist unwirksam.

Rz. 7

aa) Nach der Rechtsprechung des Senats sind in dem Verfahren der Abschiebungshaft an einen Rechtsmittelverzicht (§ 67 Abs. 1 FamFG) strenge Anforderungen zu stellen. Der Betroffene muss zum einen klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, sich mit der Entscheidung ohne Vorbehalt abfinden und das prozessuale Recht, die Entscheidung in der übergeordneten Instanz überprüfen zu lassen, endgültig aufgeben zu wollen. Das Gericht darf einen Verzicht nicht von sich aus nahe legen, weil er dem Interesse des Betroffenen regelmäßig nicht entspricht und weil das Verfahren der Freiheitsentziehung wegen des schwerwiegenden Eingriffs in das Grundrecht auf Freiheit der Person gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG besondere Sorgfalt und Fairness verlangt. Das Gericht muss zum anderen einem anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen im Interesse einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung eine von der Rechtsmittelbelehrung unabhängige Belehrung über die Folgen des Verzichts erteilen und diese auch für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar dokumentieren. Fehlt es daran, ist der Rechtsmittelverzicht unwirksam (vgl. BGH, Beschluss vom 1.12.2011 - V ZB 73/11, NVwZ 2012, 319 Rz. 6 f.; Beschl. v. 17.1.2013 - V ZB 193/12, juris Rz. 6; Beschl. v. 4.12.2014 - V ZB 87/14, InfAuslR 2015, 146 Rz. 3, 4).

Rz. 8

bb) Diese Grundsätze gelten auch für die Rücknahme einer Beschwerde im Abschiebungshaftverfahren durch den nicht anwaltlich vertretenen Betroffenen.

Rz. 9

(1) Für den Betroffenen macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob er auf die Einlegung der Beschwerde gegen die Haftanordnung verzichtet oder ob die bereits eingelegte Beschwerde zurücknimmt (§ 67 Abs. 4 FamFG). Die Freiheitsentziehung dauert in beiden Fällen fort, und der Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Person gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist gleich schwer. Nimmt der Betroffene die Beschwerde zurück, kann er zudem nicht mehr die Feststellung von deren Rechtswidrigkeit beantragen und ein bereits gestellter Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft wird gegenstandslos. Solange die Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 oder Abs. 2 FamFG noch nicht abgelaufen ist, kann der Betroffene zwar die zurückgenommene Beschwerde wieder einlegen und auch den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft nach § 62 FamFG (erneut) stellen; denn die Rücknahme der Beschwerde gegen die Haftanordnung führt, anders als der Verzicht, nicht zu einem endgültigen Verbrauch des Rechtsmittels (vgl. Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 12. Aufl., § 67 Rz. 9; Keidel/Sternal, FamFG, 19. Aufl., § 67 Rz. 20; Prütting/Helms/Abramenko, FamFG, 4. Aufl., § 67 Rz. 37). Die theoretische Möglichkeit der Wiedereinlegung der Beschwerde läuft aber wegen der Kürze der Beschwerdefrist (§ 63 FamFG) regelmäßig ins Leere. Sie besteht von vorneherein nicht, wenn der Betroffene - wie hier - die Beschwerde nach Ablauf der Beschwerdefrist zurücknimmt. Dann führt die Rücknahme zum Eintritt der Rechtskraft und steht ihren Wirkungen einem Rechtsmittelverzicht gleich.

Rz. 10

(2) Wie die Entscheidung über den Rechtsmittelverzicht, kann der nicht anwaltlich vertretene Betroffene die Entscheidung über die Rücknahme der Beschwerde sinnvoll nur treffen, wenn er zuvor umfassend über die Folgen belehrt wird. Will er die Beschwerde gegen die Anordnung der Abschiebungshaft zurücknehmen, muss das Gericht ihn deshalb nicht nur darüber belehren, dass er weiter inhaftiert bleibt, sondern auch darüber, dass er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft nicht mehr erreichen kann und ein ggf. bereits gestellter Feststellungsantrag gegenstandslos wird. Die Belehrung muss für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar dokumentiert werden. Die Dokumentation kann in dem Vermerk über die Anhörung enthalten sein oder im Anschluss gefertigt werden, da die Formstrenge des Verfahrens nach der Zivilprozessordnung in § 28 Abs. 4 FamFG nicht übernommen worden ist (vgl. Senat, Beschl. v. 4.12.2014 - V ZB 87/14, InfAuslR 2015, 146 Rz. 3). Trifft das Beschwerdegericht, weil Streit über die Wirksamkeit der Beschwerderücknahme entsteht, eine Entscheidung über die Beschwerde oder - wie hier - über den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit, kann in dieser dokumentiert werden, dass die Belehrung erfolgt war. Nach Abschluss der Instanz kann die Dokumentation dagegen nicht mehr nachgeholt werden (Senat, Beschl. v. 4.12.2014 - V ZB 87/14, InfAuslR 2015, 146 Rz. 3).

Rz. 11

cc) Daran gemessen ist die Beschwerderücknahme unwirksam, weil der Betroffene, der bei der Anhörung nicht anwaltlich vertreten war, vor Erklärung der Beschwerderücknahme nicht ausreichend belehrt worden ist.

Rz. 12

Das Beschwerdegericht hat in der angefochtenen Entscheidung über den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit zwar ausgeführt, der Betroffene sei darauf hingewiesen worden, dass im Fall einer Beschwerderücknahme der Beschluss des AG vom 4.10.2017 bestandskräftig werde und alles "so bleibt wie es auf der Grundlage der amtsgerichtlichen Haftanordnung vom 04.10.2017 ist i.V. mit der für den 11.12.2017 vorbereiteten Abschiebung". Damit ist nachvollziehbar dokumentiert, dass der Betroffene darüber belehrt worden ist, bei Rücknahme der Beschwerde weiter in Haft zu bleiben. Nicht belehrt worden ist er aber darüber, dass sein mit der Beschwerde verbundener Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gegenstandslos wird und er mit Eintritt der Rechtskraft die Feststellung der Rechtswidrigkeit nicht mehr erreichen kann.

Rz. 13

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Haftanordnung hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt. Es fehlt bereits an einem zulässigen Haftantrag.

Rz. 14

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st.Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 18.12.2014 - V ZB 192/13, juris Rz. 6 m.w.N.; Beschl. v. 15.9.2016 - V ZB 30/16, juris Rz. 5; Beschl. v. 30.3.2017 - V ZB 128/16, NVwZ 2017, 1231 Rz. 6; Beschl. v. 25.10.2018 - V ZB 83/18, juris Rz. 6).

Rz. 15

b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag der beteiligten Behörde vom 4.10.2017 nicht gerecht. Zur Dauer der beantragten Haft führt die beteiligte Behörde darin lediglich aus, dass eine Abschiebung innerhalb von drei Monaten möglich sei. Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 1 AufenthG; vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 19.5.2002 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rz. 20; Beschl. v. 31.1.2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rz. 15), unzureichend. Die Behörde hätte jedenfalls - auf den konkreten Fall bezogen (vgl. Senat, Beschl. v. 20.9.2018 - V ZB 4/17, juris Rz. 11) - knapp erläutern müssen, welche organisatorischen Verfahrensschritte den beantragten Zeitraum von drei Monaten erforderlich machten und warum eine frühere Flugbuchung nicht erfolgen konnte. Daran fehlt es.

Rz. 16

c) Der Mangel des Haftantrages ist auch nicht nachträglich geheilt worden. Die Behörde hat zwar im Beschwerdeverfahren mitgeteilt, dass für den 11.12.2017 ein Flug nach Tunesien gebucht sei. Das Beschwerdegericht hat den Betroffenen auch angehört. Das hat aber nicht zur Behebung des Mangels geführt.

Rz. 17

Eine Heilung im Beschwerdeverfahren setzt grundsätzlich voraus, dass das Beschwerdegericht eigenständig prüft, ob die Haftanordnung angesichts der vervollständigten Entscheidungsgrundlage und des Ergebnisses der Anhörung (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 13.7.2017 - V ZB 69/17, InfAuslR 2017, 454 Rz. 10) aufrechterhalten werden kann oder ob sie der Abänderung oder Aufhebung bedarf. Erst mit dieser Entscheidung tritt die Heilung mit Wirkung für die Zukunft ein (vgl. BGH, Beschl. v. 25.1.2018 - V ZB 71/17, FGPrax 2018, 136 Rz. 6 u. 9; Beschl. v. 20.9.2018 - V ZB 102/16, juris Rz. 12). An einer solchen Entscheidung fehlt es hier. Das Beschwerdegericht stützt sich allein auf die Beschwerderücknahme und hat zu den Voraussetzungen, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung keine Feststellungen getroffen.

IV.

Rz. 18

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2, 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 13291485

NVwZ 2019, 1694

NVwZ 2019, 9

InfAuslR 2019, 387

JZ 2019, 621

ZAR 2019, 43

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