Leitsatz (amtlich)
a) Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 10.6.2020 - XII ZB 25/20 FamRZ 2020, 1588 Rz. 9 m.w.N.).
b) Für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge muss eine konkrete Gefahr des Vermögens des Betroffenen durch sein aktives Tun festgestellt werden, indem er etwa vermögenserhaltende und -schützende Maßnahmen des Betreuers konterkariert oder andere vermögensschädigende Maßnahmen trifft (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 15.8.2018 - XII ZB 10/18 FamRZ 2018, 1770).
Normenkette
BGB § 1896 Abs. 2 S. 1, § 1903
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Beschluss vom 02.12.2020; Aktenzeichen 3 T 447/20) |
AG Freiberg (Entscheidung vom 19.10.2020; Aktenzeichen 2 XVII 615/12) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Chemnitz vom 2.12.2020 in der berichtigten Fassung vom 14.12.2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Betroffene wendet sich gegen die Verlängerung der für ihn eingerichteten Betreuung.
Rz. 2
Nach den Feststellungen der Instanzgerichte leidet er an einem hirnorganischen Psychosyndrom mit Hirnleistungsdefiziten, einer organischen Wesensänderung und wahnhafter Erlebnisverarbeitung bei einem Zustand nach einem Schädel-Hirn-Trauma und einem zerebralen Insult. Für den Betroffenen wurde erstmals im Jahr 2013 ein Betreuer eingesetzt. Gegenwärtig erstreckt sich die Betreuung auf die Aufgabenbereiche Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt, Gesundheitssorge und Vertretung vor Ämtern und Behörden, Aufenthaltsbestimmung und Postverkehr.
Rz. 3
Das AG hat die Betreuung verlängert und entschieden, dass spätestens bis zum 18.8.2027 über eine Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung zu beschließen sei. Das LG hat die hiergegen von dem Betroffenen eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet er sich mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 5
1. Das LG hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Rz. 6
Das Sachverständigengutachten habe die Kammer in der mündlichen Anhörung bestätigt gefunden. Aufgrund seiner Erkrankung sei der Betroffene nicht mehr in der Lage, in dem übertragenen Aufgabenkreis eigenverantwortlich zu handeln. Insoweit habe sich das Krankheitsbild in den letzten Jahren nicht geändert. Auch ein Betreuerwechsel komme nicht in Betracht. Die Schwierigkeiten des Betroffenen lägen nicht in der Person des Betreuers, sondern in der Einrichtung der Betreuung. Die Beschwerde des Betroffenen sei daher als unbegründet zurückzuweisen.
Rz. 7
2. Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 8
a) Entgegen der Rechtsauffassung der Rechtsbeschwerde genügen die Feststellungen zum fehlenden freien Willen allerdings den Anforderungen des § 1896 Abs. 1a BGB.
Rz. 9
Der Sachverständige hat festgestellt, der Betroffene sei hinsichtlich der Einrichtung der Betreuung zu einer freien Willensbildung nicht ausreichend in der Lage. Ergänzend hierzu hat er ausgeführt, dass der Betroffene nicht in der Lage sei, Vor- und Nachteile in diesem Zusammenhang adäquat gegeneinander abzuwägen. Zudem hat der Sachverständige festgestellt, dass der Betroffene keine Krankheitseinsicht habe. Das genügt für die Feststellung eines fehlenden freien Willens. Denn ohne Krankheitseinsicht ist der Betroffene nicht in der Lage, die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte abzuwägen, und kann daher auch keinen freien Willen i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB bilden (BGH, Beschl. v. 6.5.2020 - XII ZB 504/19 FamRZ 2020, 1219 Rz. 18 m.w.N.).
Rz. 10
b) Jedoch fehlt es der äußerst knappen Begründung des LG an den erforderlichen Feststellungen zur Notwendigkeit der einzelnen Aufgabenbereiche i.S.v. § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB.
Rz. 11
aa) Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (BGH, Beschl. v. 10.6.2020 - XII ZB 25/20 FamRZ 2020, 1588 Rz. 9 m.w.N.).
Rz. 12
bb) Diesen Anforderungen ist das LG mit seiner Entscheidung nicht gerecht geworden. Weder der Beschluss des LG noch der - von ihm in Bezug genommene - Beschluss des AG enthalten hierzu eigene Feststellungen.
Rz. 13
Das LG lässt insoweit jede Begründung vermissen. Zwar erwähnt der Sachverständige, dessen Gutachten vom LG ebenfalls in Bezug genommen worden ist, dass der Betroffene in den Bereichen Gesundheitssorge, Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt, Wohnungsangelegenheiten, Behörden- und Rechtsangelegenheiten, Postangelegenheiten sowie Antragstellung auf Leistung aller Art seine rechtlichen Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen könne. Eine Begründung enthält das Gutachten insoweit allerdings nicht. Vielmehr beschränkt sich der Sachverständige auf die Erklärung, dass der Betroffene aufgrund des psychischen Krankheitsbildes auch weiterhin seine rechtlichen Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen könne. Hinzu kommt, dass der Sachverständige den Aufgabenbereich Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht einmal erwähnt hat. Auch lässt sich dem Sachverständigengutachten nicht entnehmen, inwieweit in diesen Bereichen jederzeit ein Handlungsbedarf auftreten kann.
Rz. 14
c) Erst recht hat das LG die Erforderlichkeit des Einwilligungsvorbehalts nicht hinreichend begründet.
Rz. 15
aa) Nach § 1903 Abs. 1 BGB ordnet das Betreuungsgericht an, dass der Betreute zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf, soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist (Einwilligungsvorbehalt). Der Einwilligungsvorbehalt schützt den Betroffenen vor Vermögensgefährdungen durch eigenes, aktives Tun. Für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge muss daher eine konkrete Gefährdung des Vermögens des Betroffenen durch sein aktives Tun festgestellt werden, indem er etwa vermögenserhaltende und -schützende Maßnahmen des Betreuers konterkariert oder andere vermögensschädigende Maßnahmen trifft (BGH, Beschl. v. 15.8.2018 - XII ZB 10/18 FamRZ 2018, 1770 Rz. 25 m.w.N.).
Rz. 16
bb) An solchen Feststellungen fehlt es. In dem vom LG in Bezug genommenen Sachverständigengutachten ist lediglich ausgeführt, der Betroffene sei mit der Verwaltung seiner Finanzen sowie der Geldeinteilung überfordert. Zwar ergibt sich aus der Anhörung vor dem AG, dass der Betroffene bei Beginn der Betreuung im Jahr 2013 Schulden i.H.v. rund 300.000 EUR angehäuft hatte. Insoweit lässt sich dem Beschluss des AG Chemnitz vom 18.2.2020 entnehmen, dass das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Keine Feststellungen enthält die angefochtene Entscheidung allerdings zu der Frage, woraus die Schulden resultierten. Ferner ergibt sich aus der Anhörung, dass der Betreuer dem Betroffenen die ihm im Monat zustehenden 200 EUR in wöchentlichen Raten zu je 50 EUR zuteilt. Wie der Betroffene bei dieser Sachlage sein Vermögen konkret gefährden könnte, wird vom LG aber nicht ansatzweise ausgeführt. Ebenso wenig ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung, dass es in letzter Zeit zu Vermögensgefährdungen gekommen ist.
Rz. 17
3. Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, weil das LG noch weitere Feststellungen zu treffen haben wird. Deshalb ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das LG zurückzuverweisen, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG.
Fundstellen
Haufe-Index 14693507 |
FGPrax 2021, 271 |
ZEV 2021, 775 |
BtPrax 2021, 239 |
JZ 2021, 573 |
MDR 2021, 1269 |
Rpfleger 2021, 640 |
ErbR 2021, 953 |
FF 2021, 466 |
FamRB 2021, 8 |
NZFam 2021, 934 |