Leitsatz (amtlich)
a) Wird die Handakte eines Rechtsanwalts allein elektronisch geführt, muss sie ihrem Inhalt nach der herkömmlich geführten entsprechen. Sie muss insb. zu Rechtsmittelfristen und deren Notierung ebenso wie diese verlässlich Auskunft geben können und darf keine geringere Überprüfungssicherheit bieten als ihr analoges Pendant.
b) Der Rechtsanwalt, der im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung - hier der Einlegung der Beschwerde - mit einer Sache befasst wird, hat dies zum Anlass zu nehmen, die Fristvermerke in der Handakte zu überprüfen. Auf welche Weise (herkömmlich oder elektronisch) die Handakte geführt wird, ist hierfür ohne Belang.
Normenkette
ZPO § 233 Sätze 1-2, § 85 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Beschluss vom 21.11.2013; Aktenzeichen 10 UF 1361/13) |
AG Regensburg (Urteil vom 06.08.2013; Aktenzeichen 202 F 1984/08) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 10. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des OLG Nürnberg vom 21.11.2013 wird auf Kosten der Antragstellerin verworfen.
Wert: 14.132 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Antragstellerin nimmt den Antragsgegner, ihren Ehemann, im Scheidungsverbund noch auf Zugewinnausgleich i.H.v. 35.000 EUR in Anspruch. Mit Schluss- und Endurteil vom 6.8.2013, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt und am Folgetag zugestellt wurde, hat das AG den Antragsgegner zur Zahlung von 20.868,32 EUR verurteilt. Im Übrigen hat es den Antrag abgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin am 9.9.2013 (einem Montag) durch einen von ihrem Verfahrensbevollmächtigten unterzeichneten Schriftsatz Beschwerde beim AG eingelegt.
Rz. 2
Das OLG hat die Antragstellerin am 17.10.2013 darauf hingewiesen, dass eine Beschwerdebegründung nicht eingegangen war. Am 25.10.2013 hat die Antragstellerin die Beschwerdebegründung eingereicht und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt, wobei sie zur Begründung u.a. Folgendes ausgeführt hat: In der Kanzlei ihrer Verfahrensbevollmächtigten würden Handakten ausschließlich als elektronische Akten geführt und sämtliche Fristen von einer hierfür besonders geschulten und eingewiesenen Kanzleiangestellten, deren Arbeit nie Anlass zu Beanstandungen gegeben habe, sowohl in der EDV als auch in einem Fristenkalender in Papierform notiert. Sobald feststehe, dass ein Rechtsmittel einzulegen sei, werde in der EDV eine neue Akte angelegt, wobei die Fristen nach Eingang des anzufechtenden Urteils oder Beschlusses bereits zur Ursprungsakte eingetragen würden. Bei Anlage der neuen Rechtsmittelakte prüfe die Mitarbeiterin nochmals, ob alle Fristen notiert seien, und übertrage diese auf die neue Akte. Im Ergebnis erfolge mithin eine dreifache Fristnotierung in den elektronischen Akten und im Fristenkalender. Die Fristversäumung im vorliegenden Fall beruhe darauf, dass versehentlich zwar die Beschwerde-, nicht aber die Beschwerdebegründungsfrist notiert und zusätzlich bei Anlage der Rechtsmittelakte Überprüfung und Übertragung vergessen worden seien.
Rz. 3
Das OLG hat die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Beschwerde der Antragstellerin verworfen. Hiergegen wendet sich diese mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die maßgeblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des BGH geklärt sind und die Antragstellerin auch nicht aufzuzeigen vermag, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre (§ 574 Abs. 2 ZPO).
Rz. 5
1. Das OLG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Beschwerde sei fristgemäß beim AG eingelegt worden. Dieses habe nämlich zu Unrecht altes Verfahrensrecht angewandt, so dass nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung die Entscheidung mit dem Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form erlassenen Entscheidung statthaft wäre, anfechtbar sei. Die Antragstellerin habe jedoch die Begründungsfrist nicht eingehalten und sei daran auch nicht ohne ihr Verschulden gehindert gewesen, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden könne. Etwas anderes ergebe sich nicht daraus, dass die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben sei. Bei einem - wie hier - anwaltlich vertretenen Beteiligten entfalle die Kausalität zwischen dem Belehrungsmangel und der Fristversäumung im Regelfall, da im Hinblick auf die bei einem Anwalt vorauszusetzenden Grundkenntnisse von Verfahrensrecht und Rechtsmittelsystem davon auszugehen sei, dass der Beteiligte keiner Unterstützung durch eine Rechtsbehelfsbelehrung bedürfe. Dies gelte in Anbetracht der eindeutigen Regelung zur Dauer der Rechtsmittelbegründungsfrist auch im vorliegenden Fall. Die Fristversäumung beruhe nicht ausschließlich auf einem Büroversehen in der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin. Denn von diesen habe bei Vorlage der Akten zur Wahrung der Beschwerdefrist überprüft werden müssen, ob die Beschwerdebegründungsfrist in den Akten zutreffend vermerkt sei. Dies sei hier ersichtlich nicht erfolgt.
Rz. 6
2. Rechtlich beanstandungsfrei hat das OLG erkannt, dass im vorliegenden Verfahren gem. Art. 111 Abs. 5 FGG-RG die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden sind und das AG somit gem. § 116 Abs. 1 FamFG durch Beschluss hätte entscheiden müssen. Nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung stand der Antragstellerin daher gegen das Schluss- und Endurteil die Beschwerde nach § 59 Abs. 1 FamFG offen, die sie gem. § 64 Abs. 1 FamFG fristwahrend beim AG einlegen konnte (BGH v. 29.5.2013 - XII ZB 374/11, FamRZ 2013, 1215 Rz. 7 m.w.N.).
Rz. 7
Insoweit erinnert die Rechtsbeschwerde ebenso wenig etwas wie dagegen, dass die Beschwerdebegründung erst am 25.10.2013 und damit nach Ablauf der am 7.10.2013 endenden Frist zur Begründung der Beschwerde bei dem OLG eingegangen ist.
Rz. 8
3. Das OLG hat die Beschwerde der Antragstellerin zu Recht als unzulässig verworfen, weil die Begründungsfrist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG versäumt ist.
Rz. 9
Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor, denn die Antragstellerin hat die Beschwerdebegründungsfrist nicht unverschuldet i.S.d. §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 1 ZPO versäumt. Wie das OLG zutreffend ausführt, beruht das Versäumnis auf einem Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten, welches sich die Antragstellerin nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
Rz. 10
a) Die Auffassung des OLG, das Unterbleiben der Rechtsbehelfsbelehrung sei trotz des auch in Familienstreitsachen bis Ende 2013 (seit 1.1.2014: §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 2 ZPO) entsprechend anwendbaren § 17 Abs. 2 FamFG nicht kausal für die Fristversäumung der anwaltlich vertretenen Antragstellerin geworden, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (BGH v. 18.12.2013 - XII ZB 38/13, FamRZ 2014, 643 Rz. 19; v. 27.2.2013 - XII ZB 6/13, FamRZ 2013, 779 Rz. 7; v. 13.6.2012 - XII ZB 592/11, FamRZ 2012, 1287 Rz. 7 f.) und wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen.
Rz. 11
b) Entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Ansicht kann sich die Antragstellerin nicht durch die Ausführungen zur Kanzleiorganisation ihrer Verfahrensbevollmächtigten entlasten.
Rz. 12
aa) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insb., dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in alle geführten Fristenkalender eingetragen worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich dann grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf (BGH v. 27.11.2013 - XII ZB 116/13, FamRZ 2014, 284 Rz. 7 m.w.N.). Diese anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte nicht zugleich zur Bearbeitung mit vorgelegt worden ist, so dass der Rechtsanwalt in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen hat (BGH Beschlüsse v. 20.12.2012 - III ZB 47/12 - juris Rz. 7; v. 22.9.2011 - III ZB 25/11 - juris Rz. 8; v. 8.2.2010 - II ZB 10/09, MDR 2010, 533 Rz. 7 m.w.N.).
Rz. 13
bb) Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob die Handakte des Rechtsanwalts in herkömmlicher Form als Papierakte oder aber als elektronische Akte geführt wird. Wie die Vorschrift des § 50 Abs. 5 BRAO zeigt, kann sich ein Rechtsanwalt zum Führen der Handakten der elektronischen Datenverarbeitung bedienen. Entscheidet er sich hierfür, muss die elektronische Handakte jedoch ihrem Inhalt nach der herkömmlichen entsprechen und insb. zu Rechtsmittelfristen und deren Notierung ebenso wie diese verlässlich Auskunft geben können. Wie die elektronische Fristenkalenderführung gegenüber dem herkömmlichen Fristenkalender darf auch die elektronische Handakte grundsätzlich keine geringere Überprüfungssicherheit bieten als ihr analoges Pendant (vgl. BGH Beschl. v. 17.4.2012 - VI ZB 55/11, FamRZ 2012, 1133 Rz. 8; Jungk AnwBl. 2014, 84).
Rz. 14
Der Rechtsanwalt, der im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung - hier der Einlegung der Beschwerde - mit einer Sache befasst wird, hat dies zum Anlass zu nehmen, die Fristvermerke in der Handakte zu überprüfen. Auf welche Weise (herkömmlich oder elektronisch) die Handakte geführt wird, ist hierfür ohne Belang. Der Rechtsanwalt muss die erforderliche Einsicht in die Handakte nehmen, indem er sich entweder die Papierakte vorlegen lässt oder das digitale Aktenstück am Bildschirm einsieht. Dass die Handakte ausschließlich elektronisch geführt wird, kann jedenfalls nicht dazu führen, dass den Rechtsanwalt im Ergebnis geringere Überprüfungspflichten als bei herkömmlicher Aktenführung treffen.
Rz. 15
cc) Nach den Ausführungen der Antragstellerin zur Kanzleiorganisation ihrer Verfahrensbevollmächtigten war wegen eines doppelten Versehens des Kanzleipersonals die Notierung der Rechtsmittelbegründungsfrist sowohl im Fristenkalender als auch in der elektronischen Handakte unterblieben. Dies hätten die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin bei der gebotenen Kontrolle der elektronischen Handakte anlässlich der Beschwerdeeinlegung ebenso bemerken müssen wie bei herkömmlicher Aktenführung.
Fundstellen
Haufe-Index 7183591 |
DB 2014, 7 |
HFR 2014, 1023 |
NJW 2014, 3102 |
NJW 2014, 6 |
EBE/BGH 2014 |
FamRZ 2014, 1624 |
FuR 2014, 663 |
WM 2015, 257 |
AnwBl 2014, 1058 |
AnwBl 2014, 864 |
JZ 2014, 596 |
MDR 2014, 1042 |
NJ 2014, 5 |
RDV 2014, 328 |
BerlAnwBl 2014, 320 |
FF 2014, 423 |
FamRB 2014, 378 |
K&R 2014, 670 |
NJW-Spezial 2014, 575 |
VRR 2014, 381 |
Mitt. 2014, 522 |
NZFam 2014, 863 |
PAK 2014, 196 |
RENO 2014, 11 |