Leitsatz (amtlich)
a) Die Nebenintervention kann bereits im Mahnverfahren erfolgen.
b) Bei der Nebenintervention beschränkt sich die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Zulässigkeit auf die persönlichen Prozesshandlungsvoraussetzungen des Nebenintervenienten. Die besonderen Voraussetzungen der Nebenintervention sind lediglich auf Antrag einer Hauptpartei und nur im Verfahren nach § 71 ZPO zu prüfen; dies gilt insb. für die Frage, ob der Nebenintervenient ein rechtliches Interesse am Obsiegen einer Partei hat.
c) Solange es an einer wirksamen Zurückweisung der Nebenintervention fehlt, hat der Beigetretene die Stellung und die Befugnisse eines Nebenintervenienten.
Normenkette
ZPO §§ 66, 71
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Nebenintervenienten werden der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 11.8.2005 und der Beschluss des AG Stuttgart - Mahnabteilung - vom 19.1.2005 aufgehoben.
Der Beschwerdewert wird auf 14.526,71 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin, eine Leasinggesellschaft, hat beim AG Stuttgart den Erlass eines Mahnbescheides gegen die Antragsgegnerin, eine GmbH, erwirkt. Der Mahnbescheid ist der Antragsgegnerin am 24.11.2004 zugestellt worden. Am 7.12.2004 hat der Nebenintervenient (im eigenen Namen) Widerspruch gegen den Mahnbescheid eingelegt; zugleich ist er als Nebenintervenient dem Rechtsstreit auf der Seite der Antragsgegnerin beigetreten. Als Interventionsgrund hat er angegeben, er sei bis Juni 2003 Geschäftsführer der Antragsgegnerin gewesen; aus diesem Grund sei ihm von der die Post empfangenden Stelle der Mahnbescheid zugeleitet worden. Möglicherweise sei er aus einer dem seinerzeitigen Dienstverhältnis nachwirkenden Treuepflicht heraus gehalten, den Eintritt der Rechtskraft zu verhindern. Eine Unterlassung könne ihn unter Umständen regresspflichtig machen. Er habe daher ein eigenes rechtliches Interesse daran, dass die Antragsgegnerin in dem Rechtsstreit nicht unterliege.
Das AG hat den Beitritt des Nebenintervenienten mit der Begründung zurückgewiesen, im Mahnverfahren finde eine Nebenintervention nicht statt, weil sie mit dem Wesen des Verfahrens nicht vereinbar sei. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das LG zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Nebenintervenient seinen Antrag auf Zulassung der Nebenintervention weiter.
II.
1. Das LG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Zwar sei die Nebenintervention auch bereits im Mahnverfahren zulässig, weil nur hierdurch gewährleistet werde, dass ein am Streitverfahren nicht beteiligter Dritter seine rechtlichen Interessen am Ausgang des Rechtsstreits wahren könne. In einem späteren Streitverfahren sei dies - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - dem Dritten nicht mehr möglich, wenn der Antragsgegner keinen Widerspruch gegen den Mahnbescheid oder Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid einlege. Im vorliegenden Fall fehle es jedoch ganz offensichtlich an einem Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers; dies sei als allgemeine Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen und zu beachten. Der Beschwerdeführer sei nicht mehr Geschäftsführer der Antragsgegnerin; die Verhinderung eines die Gesellschaft belastenden Urteils gehöre unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu den Aufgaben eines ehemaligen Organs der Gesellschaft. Die vom Beschwerdeführer angeführte nachwirkende Treuepflicht könne allenfalls Hinweis- und Informationspflichten ggü. der Gesellschaft begründen. Der Beitritt des Nebenintervenienten zum Mahnverfahren sei überdies rechtsmissbräuchlich, da die Möglichkeit einer Regresspflicht so fern liege, dass es dem Nebenintervenienten nur um eine für die Antragstellerin kostenträchtige Verzögerung des Verfahrens gehen könne.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht in vollem Umfang stand.
2. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde (§§ 574 Abs. 1 Nr. 2, 575 ZPO) ist begründet.
a) Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die Nebenintervention auch bereits im Mahnverfahren zulässig ist (h.M., z.B. Musielak/Weth, ZPO, 4. Aufl., § 66 Rz. 3; Schilken in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 66 Rz. 2; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 66 Rz. 2; ebenso wohl Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., § 66 Rz. 2; vgl. für die Streitverkündung BGH v. 4.10.1984 - VII ZR 342/83, BGHZ 92, 251 = MDR 1985, 222; a.A. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 66 Rz. 10; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 66 Rz. 6c).
Nach § 66 Abs. 1 ZPO kann ein Dritter, der ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit die eine Partei obsiege, dieser Partei zum Zwecke ihrer Unterstützung beitreten. Dabei ist der Begriff des Rechtsstreits nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift weit auszulegen; denn die Nebenintervention soll, wie das Beschwerdegericht zu Recht hervorgehoben hat, dem Dritten die Möglichkeit geben, seine Rechte, die durch ein Streitverfahren zwischen anderen Personen berührt sein können, umfassend wahrzunehmen. Das schließt die Möglichkeit ein, durch die Einlegung eines Rechtsmittels - für den Rechtsbehelf des Widerspruchs kann nichts anderes gelten - die Schaffung eines rechtskräftigen Titels gegen die von ihm unterstützte Partei zu verhindern; die Interessen der unterstützten Partei bleiben dadurch gewahrt, dass die Erklärungen und Handlungen des Nebenintervenienten nicht in Widerspruch zu denjenigen der Hauptpartei stehen dürfen (§ 67 2. Halbs. ZPO). Untätigkeit der Hauptpartei stellt kein Hindernis für eigene Prozesshandlungen des Nebenintervenienten dar; deshalb darf der Nebenintervenient Prozesshandlungen so lange vornehmen, wie sich ein - ausdrücklich erklärter oder aus dem Gesamtverhalten im Prozess zu entnehmender - entgegenstehender Wille der Hauptpartei nicht feststellen lässt (Musielak/Weth, ZPO, 4. Aufl., § 67 Rz. 9). Demgegenüber muss das Interesse der Antragstellerin, im Mahnverfahren schnell und kostengünstig einen Titel zu erlangen, zurücktreten. Von einer Unvereinbarkeit der Nebenintervention mit dem Wesen des Mahnverfahrens kann daher nicht gesprochen werden (entgegen Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 66 Rz. 6c).
b) Dem Beschwerdegericht kann jedoch nicht gefolgt werden, soweit es meint, die Zulässigkeit der Nebenintervention hänge auch von dem Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses ab, was als allgemeine Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen sei. Bei der Nebenintervention beschränkt sich die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung vielmehr auf die persönlichen Prozesshandlungsvoraussetzungen, also darauf, ob Partei-, Prozess- und Postulationsfähigkeit gegeben sind; insoweit bestehen hier keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Nebenintervention. Die allgemeinen Prozessvoraussetzungen, die sich auf den Prozessgegenstand beziehen, sind dagegen nicht von Amts wegen zu prüfen, weil der Nebenintervenient lediglich in einen fremden Prozess eintritt und seine etwaigen Ansprüche nicht rechtshängig und nicht entschieden werden (Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 66 Rz. 25). Die besonderen Voraussetzungen der Nebenintervention werden nur auf Antrag einer Hauptpartei und nur im Verfahren nach § 71 ZPO - nach mündlicher Verhandlung - geprüft (Hk-ZPO/Kayser, § 66 Rz. 12, 13; Musielak/Weth, ZPO, 4. Aufl., § 67 Rz. 13; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 66 Rz. 5, 17, 25; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., § 66 Rz. 10, 11; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 66 Rz. 14).
Soweit es um die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses geht, auf die das Beschwerdegericht entscheidend abgestellt hat, tritt bei der Nebenintervention an dessen Stelle die spezielle Voraussetzung des rechtlichen Interesses des Nebenintervenienten am Obsiegen der einen Hauptpartei (§ 66 ZPO). Diese Voraussetzung ist jedoch, was das Beschwerdegericht verkannt hat, ausschließlich auf Antrag einer Partei und im Verfahren nach § 71 ZPO zu prüfen; das gilt auch für die unmittelbar damit zusammenhängende Frage, ob die von einem Dritten erklärte Nebenintervention rechtsmissbräuchlich ist, was das Beschwerdegericht für den vorliegenden Fall angenommen hat. Die Durchführung eines Zwischenstreits über die Nebenintervention hat bislang aber keine der Parteien beantragt. Auch der Stellungnahme der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren lässt sich ein Antrag auf Prüfung des rechtlichen Interesses des Nebenintervenienten oder auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht entnehmen; sie beschränkt sich auf kurze Ausführungen zur vermeintlichen Unvereinbarkeit der Nebenintervention mit dem Mahnverfahren.
III.
Nach alledem sind auf die Rechtsmittel des Nebenintervenienten die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben. Solange es an einer wirksamen Zurückweisung der Nebenintervention fehlt, hat der Beschwerdeführer gem. § 71 Abs. 3 ZPO die Stellung und die Befugnisse eines Nebenintervenienten (Musielak/Weth, ZPO, 4. Aufl., § 71 Rz. 8).
Fundstellen
Haufe-Index 1480292 |
BGHZ 2006, 358 |
BB 2006, 465 |