Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufung. Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Amtsgerichte. Zuständigkeit. Allgemeiner Gerichtsstand einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Außengesellschaft. Inländischer Verwaltungssitz. Tätigkeitsort der Geschäftsführung. Ausländischer Wohnsitz des Gesellschafters
Leitsatz (amtlich)
a) Die - mit Wirkung zum 1.9.2009 aufgehobene - Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG ist nicht anwendbar, wenn eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts einen allgemeinen Gerichtsstand jedenfalls auch im Inland hat (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 27.6.2007 - XII ZB 114/06, ZIP 2007, 1626).
b) Es fehlt an einer Grundlage für die Annahme, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts habe ausschließlich einen ausländischen und nicht zumindest auch einen inländischen Verwaltungssitz (§ 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO), wenn das zu verwaltende Gesellschaftsvermögen in Deutschland belegen ist, einer der beiden Gesellschafter seinen Wohnsitz in Deutschland hat, die Gesellschaft nach außen unter einer deutschen Adresse auftritt und ihre laufenden Geschäfte durch eine deutsche Hausverwaltung geführt werden, während ihre einzige Verbindung mit dem Ausland in dem ausländischen Wohnsitz ihres anderen Gesellschafters besteht.
Normenkette
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b; ZPO § 17 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 04.09.2007; Aktenzeichen 65 S 214/07) |
AG Berlin-Charlottenburg (Entscheidung vom 20.04.2007; Aktenzeichen 220 C 330/06) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der Zivilkammer 65 des LG Berlin vom 4.9.2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 2.703,08 EUR
Gründe
I.
[1] Die Klägerin nimmt die Beklagten, ihre ehemaligen Mieter, auf Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 2.703,08 EUR in Anspruch. In der Klageschrift hat sich die Klägerin wie folgt bezeichnet:
"Grundstücksgemeinschaft L. straße 43, B., bestehend aus
1. Herrn W. P., P. straße, Ö.-G.,
2. Frau D. K., F. allee, B. D.".
[2] Das AG hat der Klage stattgegeben. Dagegen haben die Beklagten Berufung beim LG eingelegt. Nach entsprechendem Hinweis hat das Berufungsgericht die Berufung gem. § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen, weil sie nicht beim zuständigen Berufungsgericht eingelegt worden sei. Zur Begründung hat es ausgeführt:
[3] Die Klägerin habe keinen inländischen Sitz. Sie sei zwar als Gesellschaft bürgerlichen Rechts durch die Verwendung eines eigenen Namens im Rechtsverkehr wie eine juristische Person aufgetreten. Zutreffend sei auch, dass als Außengesellschaften wie eine juristische Person auftretende Gesellschaften bürgerlichen Rechts im eigenen Namen klagen könnten. Für einen inländischen Sitz der Klägerin gebe es aber keine Anhaltspunkte. Die Klägerin habe weder in der Klageschrift noch im Mietvertrag einen eigenen Sitz im Inland angegeben. Vielmehr sei in der Klageschrift die Klägerin insoweit näher bezeichnet worden, als sie aus den beiden Gesellschaftern mit deren angegebenen Anschriften bestehe.
[4] Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstreben die Beklagten die Zurückverweisung der Sache an das LG B. .
II.
[5] 1. Die kraft Gesetzes statthafte (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint und die Beklagten dadurch in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, das es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss v. 1.3.2006 - VIII ZB 28/05, NJW 2006, 1810, Tz. 2 m.w.N.).
[6] 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das LG hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht mit der Begründung als unzulässig verworfen, gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG sei nicht das LG, sondern das KG für die Entscheidung über das Rechtsmittel zuständig. Nach dieser - durch das FGG-Reformgesetz vom 17.12.2008 (BGBl. I, 2586) mit Wirkung zum 1.9.2009 aufgehobenen - Vorschrift sind die OLG in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel in Streitigkeiten über Ansprüche, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit außerhalb Deutschlands hatte. Das trifft hier entgegen der Meinung des LG nicht zu.
[7] a) Zutreffend geht das LG davon aus, dass Partei des Rechtsstreits die durch W. P. und D. K. gebildete Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist. Sie ist als Außengesellschaft bürgerlichen Rechts, die durch die Teilnahme am Rechtsverkehr - wie beim Abschluss des Mietvertrags mit den Beklagten - eigene Rechte und Pflichten begründet, aktiv und passiv parteifähig (BGHZ 146, 341, 348 ff.).
[8] b) Für die Frage der Rechtsmittelzuständigkeit nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG ist regelmäßig der im Verfahren vor dem AG unangegriffen gebliebene inländische oder ausländische allgemeine Gerichtsstand einer Partei zugrunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen (Senatsbeschluss vom 1.3.2006, a.a.O., Tz. 4 m.w.N.). Dabei liegen die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG nicht vor, wenn eine Partei neben einem allgemeinen Gerichtsstand im Ausland auch einen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat (BGH, Beschl. v. 27.6.2007 - XII ZB 114/06, ZIP 2007, 1626, Tz. 13 f.). Nach diesen Grundsätzen ergibt sich aus den - hier allein zugrunde zu legenden - Angaben in der Klageschrift entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kein (alleiniger) ausländischer allgemeiner Gerichtsstand der Klägerin.
[9] aa) Der allgemeine Gerichtsstand gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG ist nach den Vorschriften der §§ 12 ff. ZPO und im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) nach Art. 2, 59 f. EuGVVO zu beurteilen (BGHZ 155, 46, 49; BGH, Beschl. v. 27.6.2007, a.a.O., Tz. 9 m.w.N.). Der Anwendungsbereich der EuGVVO ist vorliegend aber nicht eröffnet, weil es im Streitfall nicht auf den allgemeinen Gerichtsstand der beklagten Partei (Art. 2 Abs. 1 EuGVVO), sondern auf den der klagenden Partei ankommt (vgl. auch BGH, Beschl. v. 27.6.2007, a.a.O., Tz. 8).
[10] bb) Der allgemeine Gerichtsstand der Klägerin wird gem. § 17 Abs. 1 ZPO durch ihren Sitz bestimmt. Als Sitz gilt, wenn sich nichts anderes ergibt, der Ort, wo die Verwaltung geführt wird (§ 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Hier kann offen bleiben, ob in der Bezeichnung der Klägerin in der Klageschrift gleichzeitig die Angabe ihres satzungsmäßigen (inländischen) Sitzes gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegt. Denn jedenfalls fehlt es an einer Grundlage für die Annahme, die Klägerin habe ausschließlich einen ausländischen und nicht zumindest auch einen inländischen Verwaltungssitz.
[11] Der Ort, wo die Verwaltung geführt wird, ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden (BGHZ 97, 269, 272; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 17 Rz. 15; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 17 Rz. 10).
[12] Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin jedenfalls auch einen inländischen Verwaltungssitz. Das zu verwaltende Gesellschaftsvermögen ist in Deutschland belegen. Einer der beiden Gesellschafter hat seinen Wohnsitz in Deutschland. Die Klägerin tritt nach außen - wie etwa bei Abschluss des Mietvertrags mit den Beklagten - unter einer deutschen Adresse auf. Ihre laufenden Geschäfte führt eine deutsche Hausverwaltung am Belegenheitsort des Gesellschaftsgrundstücks. Die einzige Verbindung der Klägerin mit dem Ausland besteht dagegen in dem ausländischen Wohnsitz ihres anderen Gesellschafters. Das reicht für die Annahme eines (alleinigen) Verwaltungssitzes im Ausland angesichts der für einen inländischen Verwaltungssitz sprechenden gewichtigen Umstände nicht aus. Die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG liegen mithin nicht vor.
Fundstellen
Haufe-Index 2155712 |
DStR 2009, 1967 |