Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhaltsforderungen. Höhe der Pfändungsfreigrenzen § 850f ZPO, Abschn. 2, 4 BSHG. Absetzbare Beträge Einkommen bei Erwerbstätigen. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
Leitsatz (amtlich)
a) Die Vorschrift des § 850 f Abs. 1 ZPO gilt auch bei der Vollstreckung von Unterhaltsforderungen. Was dem Schuldner für sich und weitere Personen, denen er Unterhalt zu gewähren hat, als Freibetrag verbleiben muss, bestimmt sich ausschließlich nach den Abschnitten 2 und 4 des Bundessozialhilfegesetzes (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 18.7.2003 - IXa ZB 151/03, BGHReport 2003, 1237 = MDR 2004, 53 = NJW 2003, 2118).
b) Bei erwerbstätigen Schuldnern hat das Vollstreckungsgericht einen Betrag als pfändungsfrei zu belassen, der dem Absetzungsbetrag gem. § 76 Abs. 2a BSHG entspricht. Bei Ermittlung der angemessenen Höhe dieses Betrages besteht keine Bindung an die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (im Anschluss an BVerwG BVerwGE 115, 331).
Normenkette
ZPO § 850 Abs. 1, § 850d Abs. 1; BSHG § 76 Abs. 2a
Verfahrensgang
LG Dortmund (Beschluss vom 10.06.2003) |
AG Dortmund |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Dortmund v. 10.6.2003 und sein Antrag, ihm für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen, werden zurückgewiesen.
Der Schuldner trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Wert: 2.687,16 Euro
Gründe
I. Die Gläubigerin, geschiedene Ehefrau des Schuldners, betreibt gegen diesen wegen titulierter rückständiger und künftig fälliger Unterhaltsforderungen die Zwangsvollstreckung. Sie erwirkte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der die Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf das gegenwärtige und zukünftige Arbeitseinkommen umfasst. Den pfändungsfreien Betrag setzte das AG auf 650 Euro monatlich fest, den es später auf 765,55 Euro monatlich erhöhte. Den weiteren Antrag des Schuldners, die Pfändungsfreigrenze auf 1.500 Euro monatlich anzuheben, wies es zurück. Die sofortige Beschwerde des Schuldners, die er damit begründete, es müssten bei der Bemessung des pfändungsfreien Betrages zusätzliche Mietaufwendungen, Fahrtkosten zur Arbeitsstätte, Kosten der Betreuung des gemeinsamen Sohnes, Versicherungsbeiträge, Zahnarztkosten und der Zinsdienst für einen Kredit Berücksichtigung finden, hatte teilweise Erfolg. Das LG hat einen Freibetrag von 976,07 Euro monatlich zugebilligt, die Beschwerde wegen des darüber hinausgehenden Betrages jedoch für unbegründet gehalten. Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner das Ziel, den pfändungsfreien Betrag auf 1.200 Euro heraufzusetzen.
II. Das gem. § 574 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2, § 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, der dem Schuldner zu belassende monatliche Freibetrag von 976,07 Euro entspreche seinem notwendigen Bedarf nach dem Bundessozialhilfegesetz. Es hat dazu u. a. ausgeführt, dieser Betrag beinhalte einen Zuschlag für Erwerbstätigkeit i. H. v. 25 % des Regelsatzes (73,25 Euro). Das aus der geschiedenen Ehe mit der Gläubigerin stammende gemeinsame Kind werde von dem Schuldner an acht Tagen im Monat betreut. Es sei daher angemessen, dafür zu Gunsten des Schuldners einen dem tatsächlichen dauernden Aufenthalt entsprechenden anteiligen Sozialhilfesatz des Kindes von 25 % (40,43 Euro) in Ansatz zu bringen. Die geltend gemachten Mietaufwendungen seien i. H. v. 35,79 Euro für die Kosten der Anmietung einer Garage zu kürzen, da es sich dabei um eine Luxusaufwendung handele.
Die Rechtsbeschwerde ist demgegenüber der Auffassung, dem Schuldner müsse auf Grund seiner Erwerbstätigkeit ein sog. Besserstellungszuschlag von 50 % des Sozialhilferegelsatzes zugebilligt werden. Dies rechtfertige sich daraus, dass der Schuldner als Kundenbetreuer auf Weisung seiner Arbeitgeberin im Dienst Anzug, Oberhemd und Krawatte tragen müsse und dadurch einen monatlichen Kleidungsmehrbedarf von 75 Euro habe. Weiter übernehme der Schuldner 36 % der Betreuungszeit, die für das gemeinsame Kind erforderlich sei. Er stelle die Verpflegung sicher, sorge für entsprechende Kleidung und habe Fahrkosten und Eintrittsgelder zu bezahlen. Der dafür aufzubringende Betrag habe sich an dem Mindestunterhalt der Düsseldorfer Tabelle (Barunterhalt und Naturalunterhalt i. H. v. jeweils 249 Euro) zu orientieren, was mindestens 150 Euro monatlich ausmache. Die Anmietung der Garage diene der Unterstellung eines Fahrzeuges, das er für die Ausübung seines Berufes brauche.
2. Das Beschwerdegericht hat richtig entschieden.
a) Nach § 850 f Abs. 1 ZPO kann das Vollstreckungsgericht dem Schuldner auf Antrag von dem nach den Bestimmungen der §§ 850c, 850d und 850i ZPO pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens einen Teil belassen, wenn er nachweist, dass bei Anwendung der Pfändungsfreigrenzen, wie sie sich aus der Tabelle in der Anlage zu § 850c ergeben, der notwendige Lebensunterhalt für sich und für die Personen, denen er Unterhalt zu gewähren hat, i. S. d. Abschnitte 2 und 4 des Bundessozialhilfegesetzes nicht gedeckt ist (Buchst. a), oder sonstige besondere Bedürfnisse aus persönlichen oder beruflichen Gründen es erfordern, die Pfändungsfreigrenze heraufzusetzen (Buchst. b). Schon nach dem Wortlaut des Gesetzes gilt dies uneingeschränkt auch für die Vollstreckung von Unterhalt. Die Bestimmung des § 850 f Abs. 1 ZPO steht im Zusammenhang mit der des § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO und geht der Regelung in § 850d Abs. 1 S. 3 ZPO vor (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 850 f. Rz. 3; Stöber, Forderungspfändung, 13. Aufl., Rz. 1176k; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 850 f. ZPO Rz. 5; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 850 f. Rz. 1; Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 850d Rz. 10). Die Vorschrift soll im Interesse des Schuldners sicherstellen, dass diesem nach Durchführung der Pfändungsmaßnahme das Existenzminimum verbleibt, und im Interesse der Allgemeinheit, die die Mittel für ergänzende Sozialhilfeleistungen aufzubringen hat, verhindern, dass der Gläubiger zu ihren Lasten befriedigt wird. Reicht der aus § 850c ZPO i.V. mit der dazu gehörigen Tabelle zu ermittelnde pfändungsfreie Teil des Arbeitseinkommens nicht aus, um den individuellen Lebensbedarf des Schuldners zu decken, und sind seine Bedürfnisse bei Bemessung des notwendigen Unterhalts nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht hinreichend berücksichtigt worden, kann dies über § 850 f Abs. 1 ZPO ausgeglichen werden. Es ist dann der Schuldner, der - etwa durch Bescheinigung des für ihn zuständigen Sozialhilfeträgers - den Beweis zu erbringen hat, dass die ihm belassenen Mittel das Existenzminimum unterschreiten (vgl. BGH, Beschl. v. 18.7.2003 - IXa ZB 151/03, BGHReport 2003, 1237 = MDR 2004, 53 = NJW 2003, 2918 unter III 1; OLG Frankfurt v. 17.8.2000 - 26 W 16/00, RPfleger 2001, 38; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 850 f. ZPO Rz. 6; Musielak/Becker, ZPO, 3. Aufl., § 850 f. Rz. 2; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 850 f. Rz. 2).
b) Ein solcher Nachweis ist dem Schuldner über den ihm vom Beschwerdegericht zugebilligten erhöhten vollstreckungsrechtlichen Selbstbehalt hinaus nicht gelungen.
(1) Ein monatlicher Kleidungsmehrbedarf von 75 Euro hat schon deshalb außer Betracht zu bleiben, weil dieses - unter § 850 f Abs. 1 Buchst. b ZPO einzuordnende - Bedürfnis erstmals in der Rechtsbeschwerdeinstanz vorgebracht worden ist. Im Verfahren vor dem AG und LG sind erhöhte Aufwendungen für die Anschaffung von Anzügen, Oberhemden und Krawatten nicht geltend gemacht worden. Ebenso fehlt es an einer für § 850 f Abs. 1 Buchst. b ZPO ausreichenden Darlegung des Schuldners, dass für die Unterstellung des beruflich genutzten Kraftfahrzeuges die Anmietung einer Garage für 35 monatlich zwingend erforderlich ist, etwa weil anderweitige Parkflächen nicht zur Verfügung stehen oder das Abstellen des Kraftfahrzeuges im öffentlichen Verkehrsraum aus sonstigen Gründen nicht zumutbar wäre.
(2) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind die Betreuungskosten, die das Beschwerdegericht in Ansatz gebracht hat, nicht entsprechend dem Mindestunterhalt nach der "Düsseldorfer Tabelle" zu bemessen. Der Senat hat für die Vorschrift des § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO entschieden, dass die im materiellen Unterhaltsrecht für den Selbstbehalt des Schuldners maßgeblichen Grundsätze für das Vollstreckungsrecht nicht heranzuziehen sind. Vielmehr beurteilt sich das, was dem Schuldner trotz Zwangsvollstreckung als notwendiger Lebensunterhalt verbleiben muss, ausschließlich nach den Regelungen der Abschnitte 2 und 4 des Bundessozialhilfegesetzes (vgl. BGH, Beschl. v. 18.7.2003 - IXa ZB 151/03, BGHReport 2003, 1237 = MDR 2004, 53 = NJW 2003, 2918 unter III 2; Beschl. v. 10.10.2003 - IXa ZB 170/03, unter II 1 zur Veröffentlichung bestimmt). Bei § 850 f Abs. 1 ZPO kommt dies bereits in der Bestimmung selbst zum Ausdruck. Das gilt für den Schuldner der Zwangsvollstreckung ebenso wie für die Personen, denen er Unterhalt zu gewähren hat. Belässt das Vollstreckungsgericht dem Schuldner im Hinblick auf eine unterhaltsberechtigte Person einen weiteren Teil seines Arbeitseinkommens, kann zur Ermittlung des zusätzlichen Bedarfs, der sich für den Schuldner aus der Erfüllung seiner Unterhaltspflicht ergibt, der - über den Sozialhilfesätzen liegende - Mindestunterhalt gemäß der Düsseldorfer Tabelle nicht herangezogen werden.
Dass das Beschwerdegericht einen Betreuungsaufwand von 25 % der monatlich erforderlich werdenden Betreuungszeit zum Ausgangspunkt genommen hat, beruht auf einer Bewertung der Umstände des Einzelfalles, die einer Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren weitgehend entzogen ist. Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass das Beschwerdegericht bei seiner Bewertung rechtsfehlerhaft einen wesentlichen Umstand außer Betracht gelassen hat.
(3) Ebenso ist nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht dem - von ihm um 10 % erhöhten - Regelsatz für einen Haushaltsvorstand weitere 25 % zum Ausgleich für die vom Schuldner ausgeübte Erwerbstätigkeit zugeschlagen und dazu auf Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes verwiesen hat.
Im Jahre 1993 ist allerdings an die Stelle des früheren Mehrbedarfes wegen Erwerbsarbeit, der im zweiten Abschnitt des Bundessozialhilfegesetzes (§ 23 Abs. 4 Nr. 1, § 24) geregelt war, ein Abzug vom Einkommen getreten, den der Gesetzgeber in den vierten Abschnitt des Bundessozialhilfegesetzes (§ 76 Abs. 2a) aufgenommen hat. Bei erwerbstätigen Personen, die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten, sind - über die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben hinaus (§ 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG) - Beträge in angemessener Höhe vom Einkommen abzusetzen. Die angemessene Höhe richtet sich nach den im konkreten Einzelfall maßgeblichen Umständen, wie Art und Umfang der Tätigkeit, und den individuellen Verhältnissen des Hilfeempfängers, insbesondere seinem Alter und Leistungsvermögen. Sie ist, solange die Bundesregierung von der Ermächtigung in § 76 Abs. 4 BSHG zum Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung keinen Gebrauch gemacht hat, durch den zuständigen Sozialhilfeträger entsprechend den mit der Absetzungsregelung verfolgten Zwecken zu bestimmen, neben der Verschonung des Existenzminimums die Teilnahme des Hilfebedürftigen am Erwerbsleben durch finanzielle Vergünstigung zu fördern und damit die öffentlichen Kassen durch Erzielung eigenen Einkommens zu entlasten (vgl. Hohm in Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 17. Aufl., § 76 Rz. 42 f., 49; Kunz in Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG, § 76 Rz. 41; Fichtner/Wenzel, BSHG, 2. Aufl., § 76 Rz. 31; BVerwG BVerwGE 115, 331 [335]).
Bereits zur früheren Regelung des § 23 Abs. 4 Nr. 1a BSHG a. F. hat der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge im Jahre 1976 (Kleinere Schriften, Heft 55) für den Inhalt und die Bemessung des gesetzlichen Mehrbedarfs die Empfehlung ausgesprochen, dem Hilfeempfänger einen "Besserstellungszuschlag" zuzubilligen, der 25 % des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes zzgl. weiterer 15 % des diesen Betrag übersteigenden, zuvor nach § 76 Abs. 2 BSHG bereinigten Einkommens umfasst, wobei Grundbetrag und Erhöhungsbetrag zusammen nicht mehr als 50 % des Regelsatzes ergeben dürften (Hohm, in Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 17. Aufl., § 76 Rz. 49; Kruse/Reinhard/Winkler, BSHG, § 76 Rz. 34; Fichtner/Wenzel, BSHG, 2. Aufl., § 76 Rz. 31; OLG Frankfurt v. 17.8.2000 - 26 W 16/00, RPfleger 2001, 38 [39]). Daran orientiert sich die Rechtsbeschwerde. Sie übersieht indes, dass diese Empfehlungen keinen bindenden Charakter haben. Der zuständige Sozialhilfeträger - und auch das Vollstreckungsgericht - bleiben berechtigt, die Beträge, die zur Abgeltung des durch die Erwerbstätigkeit bedingten höheren Lebensaufwandes erforderlich sind, abweichend festzusetzen (vgl. BVerwG BVerwGE 115, 331 [334, 338]). Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum steuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimum keine Bedenken gehabt, für den Mehrbedarf bei Erwerbstätigen, der über die erwerbsdienlichen Aufwendungen des § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG hinaus zu berücksichtigen ist, als geringst üblichen Betrag 25 % des Regelsatzes zu veranschlagen (BVerfG v. 25.9.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, FR 1992, 810 = NJW 1992, 3153 [3154]). Von einem solchen prozentualen Anteil ist das Beschwerdegericht ausgegangen. Der Schuldner hat weder dargelegt, dass der prozentuale Anteil wegen der Besonderheiten des Einzelfalles auf 50 % aufzustocken gewesen wäre, noch vorgetragen, dass der zuständige Sozialhilfeträger generell Absetzungen vom Einkommen gem. § 76 Abs. 2a BSHG in der geltend gemachten Höhe vornimmt.
3. Aus den gleichen Gründen kann der Prozesskostenhilfeantrag keinen Erfolg haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1111933 |
BGHR 2004, 627 |
FamRZ 2004, 620 |
FPR 2004, 404 |
FPR 2005, 473 |
FPR 2006, 112 |
InVo 2004, 373 |
MDR 2004, 711 |
Rpfleger 2004, 297 |
FamRB 2004, 254 |
NJW-Spezial 2004, 57 |
ZFE 2004, 121 |
JWO-FamR 2004, 68 |