Entscheidungsstichwort (Thema)
Pfändung der Forderung auf Zahlung von Arbeitslosengeld. Arbeitslosengeld II. Passivlegitimation des Drittschuldners
Leitsatz (amtlich)
Die Pfändung einer angeblichen Forderung darf wegen fehlender Passivlegitimation des Drittschuldners nur dann abgelehnt werden, wenn sie dem Schuldner gegenüber diesem Drittschuldner nach keiner vertretbaren Rechtsansicht zustehen kann.
Normenkette
ZPO § 829
Verfahrensgang
LG Potsdam (Beschluss vom 16.10.2006; Aktenzeichen 5 T 448/06) |
AG Potsdam (Beschluss vom 31.05.2006; Aktenzeichen 49 M 1711/06) |
Tenor
Dem Gläubiger wird wegen Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Potsdam vom 16.10.2006 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
[1] Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen rückständigen Unterhalts. Er hat beim AG beantragt, "die Forderung des Schuldners auf Zahlung von Arbeitslosengeld" zu pfänden und ihm zur Einziehung zu überweisen. Als Drittschuldner hat er die Agentur für Arbeit P. angegeben. Außerdem hat der Gläubiger beantragt, den pfandfreien Betrag für den notwendigen Unterhalt des Schuldners auf 331 EUR festzusetzen.
[2] Das AG hat den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, jedoch den pfandfreien Betrag auf 600 EUR festgesetzt. Mit der sofortigen Beschwerde hat der Gläubiger seinen Antrag weiterverfolgt. Er hat hierzu vorgetragen, der Schuldner lebe im Haushalt seiner Mutter, so dass davon auszugehen sei, dass er keine eigenen Wohnkosten zu tragen habe. Außerdem hat der Gläubiger beantragt klarzustellen, dass der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auch den Anspruch des Schuldners auf Zahlung von Arbeitslosengeld II gem. § 19 SGB II erfasst habe.
[3] Der Schuldner hat eine Bescheinigung der M. Arbeitsgemeinschaft zur Integration in Arbeit (im Folgenden: Arbeitsgemeinschaft M.) vorgelegt, nach der er für Juni 2006 Leistungen i.H.v. 491 EUR und ab dem 1.7.2006i.H.v. 505 EUR erhält. Das AG hat der sofortigen Beschwerde teilweise abgeholfen und den pfandfreien Betrag des Schuldners ab Juni 2006 auf 491 EUR und ab dem 1.7.2006 auf 505 EUR festgesetzt.
[4] Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde des Gläubigers zurückgewiesen. Der Senat hat dem Gläubiger für die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 28.3.2007 Prozesskostenhilfe gewährt und ihm am 4.5.2007 Rechtsanwalt Dr. K. zu seiner Vertretung beigeordnet. Mit der daraufhin am 8.5.2007 eingelegten und am 16.5.2007 begründeten Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger unter Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages wegen Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde sein Begehren weiter.
II.
[5] 1. Dem fristgerecht gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war gem. § 233 ZPO zu entsprechen. Der Gläubiger war aus finanziellen Gründen erst nach Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines beim BGH zugelassenen Rechtsanwalts zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde in der Lage. Die Versäumung der Fristen war damit unverschuldet.
[6] 2. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
[7] a) Das Beschwerdegericht führt aus, die sofortige Beschwerde sei unbegründet, weil die begehrte Pfändung ins Leere gegangen sei. Im Zeitpunkt des Erlasses des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses habe keine Forderung des Schuldners gegen die Agentur für Arbeit P. bestanden. Der Schuldner beziehe Arbeitslosengeld II. Leistungsträger hierfür sei gem. § 44b Abs. 2 SGB II die Arbeitsgemeinschaft M.
[8] b) Das hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Beschwerdegericht hätte die Beschwerde des Gläubigers nicht mit der Begründung zurückweisen dürfen, die Pfändung sei ins Leere gegangen. Nach den für eine solche Prüfung im Zwangsvollstreckungsverfahren geltenden Maßstäben kann nicht ausgeschlossen werden, dass die verfahrensgegenständliche Forderung besteht; daher kann sie zum Gegenstand eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gemacht werden.
[9] aa) Ob eine zu pfändende Forderung besteht, wird im Zwangsvollstreckungsverfahren nur in engem Maße überprüft. Eine Pfändung muss immer dann erfolgen, wenn dem Schuldner die Forderung nach irgendeiner vertretbaren Rechtsansicht zustehen kann (Stöber, Forderungspfändung, 14. Aufl., Rz. 485a m.w.N). Der Pfändungsantrag darf nur ausnahmsweise abgelehnt werden, wenn dem Schuldner der Anspruch aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen offenbar nicht zustehen kann oder ersichtlich unpfändbar ist (BGH, Beschl. v. 19.3.2004 - IXa ZB 229/03, NJW 2004, 2096, 2097).
[10] Diese Maßstäbe gelten auch hinsichtlich der Frage, ob eine Forderung des Schuldners sich gegen den in dem Pfändungsantrag bezeichneten Drittschuldner richtet. Die Frage, gegen welchen von mehreren in Betracht kommenden Drittschuldnern sich ein zu pfändender Anspruch richtet, ist grundsätzlich nicht Gegenstand des Vollstreckungsverfahrens. Eine Entscheidung dieser Frage im Vollstreckungsverfahren würde die möglichen Drittschuldner nicht binden; eine solche Wirkung kann erst im Rahmen der Einziehungsklage herbeigeführt werden. Daher muss es dem Gläubiger möglich sein, einen Anspruch gegen sämtliche in Betracht kommende Drittschuldner zum Gegenstand eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zu machen. Eine Einschränkung kann nur insoweit erfolgen, als ein Anspruch sich offenbar, d.h. nach keiner vertretbaren Rechtsauffassung, nicht gegen den angeblichen Drittschuldner richten kann.
[11] bb) Nach diesen Maßstäben kann die verfahrensgegenständliche Forderung zum Gegenstand eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gemacht werden. Es ist jedenfalls rechtlich nicht unvertretbar anzunehmen, dass die Agentur für Arbeit P. Schuldner der im Pfändungsantrag bezeichneten Forderung ist. Die Rechtslage ist bisher nicht hinreichend geklärt (vgl. zu den rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Errichtung von Arbeitsgemeinschaften gem. § 44b SGB II u.a. Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 44b Rz. 5; Quaas, SGb 2004, 723 ff.; Strobel, NVwZ 2004, 1195 ff.). Daher kommen als Drittschuldner neben der Arbeitsgemeinschaft gem. § 44b SGB II sowohl die Bundesagentur für Arbeit als auch die örtlichen Agenturen für Arbeit in Betracht. Eine Klärung dieser Frage kann im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht erfolgen. Vielmehr kann eine Pfändung des angeblichen Anspruchs gegenüber jedem dieser in Frage kommenden Drittschuldner erfolgen, da gegenüber keinem von ihnen eine Pfändung als rechtlich unvertretbar zu erachten ist.
[12] c) Bei seiner erneuten Entscheidung wird das Beschwerdegericht folgendes zu berücksichtigen haben:
[13] aa) Der unpfändbare notwendige Unterhalt gem. § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO entspricht grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne der Kapitel 3 und 11 des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuches (vgl. BGH, Beschl. v. 18.7.2003 - IXa ZB 151/03, BGHZ 156, 30, 34). Für eine Änderung dieser Rechtsprechung besteht auch im Hinblick auf die Änderung des § 850 f Abs. 1a) ZPO durch das nach dieser Entscheidung in Kraft getretene Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BGBl. I 2003, 2954) kein Anlass. Den Regelungen des 2. Abschnitts des 3. Kapitels des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches kommt im Hinblick auf § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO keine Bedeutung zu (ebenso Zöller/Stöber, ZPO, 26. Aufl., § 850d Rz. 7; a.A. Neugebauer, MDR 2005, 911, 912).
[14] bb) Das Beschwerdegericht wird schließlich über den Antrag des Gläubigers auf Klarstellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zu entscheiden haben. Dabei wird es davon auszugehen haben, dass die Pfändung von "Arbeitslosengeld" die Pfändung von "Arbeitslosengeld II" umfasst.
Fundstellen
Haufe-Index 1950334 |
BGHR 2008, 570 |
EBE/BGH 2008 |
FamRZ 2008, 877 |
NJW-RR 2008, 733 |
NVwZ 2008, 592 |
JurBüro 2008, 549 |
WM 2008, 649 |
WuB 2008, 557 |
ZAP 2008, 474 |
JA 2008, 647 |
MDR 2008, 530 |
Rpfleger 2008, 318 |
FamRB 2008, 271 |
FamRB 2008, 272 |
FoVo 2008, 160 |
RENOpraxis 2008, 110 |