Entscheidungsstichwort (Thema)
Richteramt. Richter. Ablehnung. Befangenheit. Anwaltstätigkeit. Mandatsverhältnis
Leitsatz (redaktionell)
Es ist im Allgemeinen nicht zu besorgen, dass ein Richter, der früher Rechtsanwalt war, nur wegen der aus einem früheren Mandatsverhältnis herrührenden Bekanntschaft mit einer Partei die streitige Rechtsfrage nicht offen und unbefngen beurteilen wird.
Normenkette
ZPO § 41 Nr. 4, § 42 Abs. 2, § 1036
Tenor
Auf die Anzeige des Richters Dr. K… gemäß § 48 ZPO wird festgestellt, daß keine Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt ist.
Gründe
I. Der Richter Dr. K… hat angezeigt:
“Die L… ist und war ein großer Mandant meiner früheren Kanzlei F… …, insbesondere in den Bereichen Vergaberecht, öffentliches Recht und Vertragsrecht. Selbst bin ich von ca. 1995 bis etwa 2001 in erheblichem Umfang für die L… vergaberechtlich tätig gewesen, danach noch gelegentlich in diesem Rechtsgebiet. Zumindest im Jahre 2004 war ich allerdings nicht mehr in Mandaten der L… tätig. Soweit ich erkennen kann, war F… … in der jetzt terminierten Sache in den Vorinstanzen nicht beauftragt.”
Den Parteien ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Die Klägerin hat erklärt, aus ihrer Sicht sei kein Grund zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gegeben. Die Beklagte hat sich nicht geäußert.
II. Es besteht keine Besorgnis der Befangenheit.
1. Die Besorgnis der Befangenheit setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Sie ist mit anderen Worten gegeben, “wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen lassen” (§ 1036 ZPO). Es muß sich um objektive Gründe handeln, die vom Standpunkt einer Partei aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber; rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen der Partei scheiden aus. Entscheidend ist, ob ein Prozeßbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln (BGH, Urt. v. 14.03.2003 – IXa ZB 27/03, NJW-RR 2003, 1220).
2. Bei Anlegung dieses Maßstabs ist eine Befangenheit des Richters Dr. K… nicht zu besorgen. Es liegen keine Umstände vor, die auch nur den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit begründen.
Herr Dr. K… war mit der vorliegenden Sache nicht vorab befaßt. Während der Zeit seiner Anwaltstätigkeit war er in dieser Sache weder zum Prozeßbevollmächtigten der Klägerin bestellt – in welchem Falle er schon von Gesetzes wegen von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen wäre (§ 41 Nr. 4 ZPO) –, noch hat er die Klägerin in dieser Sache beraten. Er hat die Klägerin überhaupt nur im Vergaberecht betreut, das hier keine Rolle spielt. Er kann deshalb der rechtlichen Problematik des Falles unbefangen gegenübertreten.
Herr Dr. K… steht auch nicht in nahen geschäftlichen oder persönlichen Beziehungen zu der Klägerin. Geschäftliche Beziehungen haben in Gestalt des früheren Mandatsverhältnisses bestanden, sind aber inzwischen endgültig gelöst. Sie haben auch nicht etwa zu nahen persönlichen Beziehungen geführt, die gegebenenfalls das Ende der geschäftlichen Beziehung überdauert haben könnten. Von dem früheren Mandatsverhältnis ist vielmehr allenfalls eine bloße Bekanntschaft mit leitenden Angestellten der Klägerin verblieben, die keine Besorgnis der Befangenheit begründen kann (Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 42 Rdn. 4 mit Rechtsprechungsnachweisen; vgl. demgegenüber zu einer nahen persönlichen Beziehung als Ablehnungsgrund – Ehe mit einer Führungskraft – BGH, Urt. v. 15.12.1994 – I ZR 121/92, NJW 1995, 1677, 1679).
Unter solchen Umständen besteht bei vernünftiger Betrachtung in der Regel kein Anlaß zu der Befürchtung, daß ein Richter, der früher Rechtsanwalt war, seine Amtspflicht zur unparteilichen Entscheidung nicht erfüllen kann oder will. Es ist im allgemeinen nicht zu besorgen, daß ein Richter und ehemaliger Rechtsanwalt nur wegen der aus einem früheren Mandatsverhältnis herrührenden Bekanntschaft mit einer Partei die streitige Rechtsfrage nicht offen und unbefangen beurteilen wird. Besondere Umstände, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
Unterschriften
Melullis, Keukenschrijver, Ambrosius, Meier-Beck, Asendorf
Fundstellen
Inf 2005, 530 |
www.judicialis.de 2005 |