Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerden der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der Rechtsbeschwerdeführerinnen wird der Musterentscheid des Oberlandesgerichts Köln vom 27. August 2020 (18 Kap 3/17), berichtigt durch Beschluss vom 4. Mai 2021, aufgehoben, soweit das Oberlandesgericht die mit den Feststellungszielen 1d, 2d aa, 2d bb, 2e aa, 2e bb und 3 geltend gemachten Prospektfehler festgestellt hat.
Die Vorlagebeschlüsse des Landgerichts Dortmund vom 29. März 2017 (3 O 136/16 und 3 O 160/16), berichtigt mit Beschlüssen vom 10. Mai 2017, sind hinsichtlich der Feststellungsziele 1d, 2d aa, 2d bb, 2e aa, 2e bb und 3 gegenstandslos.
Im Übrigen werden die Rechtsbeschwerden zurückgewiesen.
Die Musterklägerin trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 1.352.362,75 €.
Der Gegenstandswert für die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird für die Prozessbevollmächtigten der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der Rechtsbeschwerdeführerinnen auf 1.352.362,75 € sowie für die Prozessbevollmächtigten der Musterklägerin auf 52.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) darüber, ob der bei der Emission des Fonds "D. " (im Folgenden: Fonds) am 29. März 2006 aufgestellte Prospekt (im Folgenden: Prospekt) fehlerhaft ist. Das Fondskonzept sah die mittelbare Beteiligung von Anlegern als Treugeber über die Musterbeklagte zu 2 oder - auf ausdrücklichen Wunsch - die unmittelbare Beteiligung von Anlegern an der D. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Fondsgesellschaft) vor. Die Fondsgesellschaft hatte den Erwerb und den Betrieb eines Vollcontainerschiffs der Post-Panamax-Klasse zum Gegenstand, das bis Februar 2011 fest verchartert war. Die Beteiligung der Anleger erfolgte dabei entweder in Form des Dynamik-Kapitals, das ein sukzessives Ansteigen der prognostizierten Auszahlungen vorsah, oder in Form des Garant-Kapitals, bei dem gleichbleibende, aber gegenüber dem Dynamik-Kapital vorrangig zu bedienende Auszahlungen erfolgen sollten.
Rz. 2
Die Musterbeklagte zu 1 ist Initiatorin und Anbieterin des Beteiligungsangebots. Sie ist Prospektverantwortliche sowie Gründungskommanditistin der Fondsgesellschaft mit einer Pflichteinlage von 20.000 € und hat eine Platzierungsgarantie übernommen. Die Musterbeklagten zu 2 und 3 waren schon vor der Prospektaufstellung Kommanditistinnen der Fondsgesellschaft mit Einlagen von 1.000 € bzw. 20.000 €. Außerdem waren sie jeweils einhundertprozentige Tochtergesellschaften der am 9. Dezember 2005 aus der Fondsgesellschaft ausgeschiedenen Gründungsgesellschafterin D. P. GmbH & Co. KG, die fortan als Geschäftsbesorgerin fungierte. Die Musterbeklagte zu 2 war ferner Treuhänderin und die Musterbeklagte zu 3 Vertragsreederin.
Rz. 3
Das Landgericht hat mit zwei inhaltsgleichen Beschlüssen vom 29. März 2017 dem Oberlandesgericht Feststellungsziele zum Zwecke der Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt, mit denen verschiedene Prospektfehler geltend gemacht werden. Diese beziehen sich - soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Interesse - auf die Sensitivitätsanalysen im Prospekt und die dabei für das Dynamik- und das Garant-Kapital zugrunde gelegten Zahlen. Das Oberlandesgericht hat nach Verbindung der beiden Musterverfahren mit Musterentscheid vom 27. August 2020, berichtigt durch Beschluss vom 4. Mai 2021, die mit den Feststellungszielen 1d, 2d aa, 2d bb, 2e aa, 2e bb und 3 geltend gemachten Prospektfehler festgestellt und den weitergehenden Antrag der Musterklägerin zurückgewiesen.
Rz. 4
Gegen den Musterentscheid haben die Musterbeklagten Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der sie eine Zurückweisung sämtlicher Feststellungsziele anstreben.
Rz. 5
Mit Senatsbeschluss vom 16. Februar 2021 ist die Musterbeklagte zu 1 zur Musterrechtsbeschwerdeführerin bestimmt worden.
II.
Rz. 6
Die zulässigen Rechtsbeschwerden der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der Rechtsbeschwerdeführerinnen führen zur Aufhebung des Musterentscheids hinsichtlich der vom Oberlandesgericht festgestellten Prospektfehler und zur Gegenstandslosigkeit der Vorlagebeschlüsse in Bezug auf die Feststellungsziele 1d, 2d aa, 2d bb, 2e aa, 2e bb und 3. Im Übrigen sind die Rechtsbeschwerden zurückzuweisen.
Rz. 7
1. Die Rechtsbeschwerden sind zulässig. Sie sind rechtzeitig eingelegt und begründet worden (§ 20 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 575 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerden formulieren auch einen ordnungsgemäßen Rechtsbeschwerdeantrag (§ 20 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 575 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).
Rz. 8
2. Die Rechtsbeschwerden haben insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung der vom Oberlandesgericht festgestellten Feststellungsziele und zu dem Ausspruch führen, dass der Vorlagebeschluss hinsichtlich dieser Feststellungsziele gegenstandslos ist.
Rz. 9
a) Das Oberlandesgericht hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - die Feststellungsziele 1d, 2d aa, 2d bb, 2e aa, 2e bb und 3 als begründet angesehen.
Rz. 10
b) Es kann dahingestellt bleiben, ob das Oberlandesgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Prospekt fehlerhaft ist. Denn die Rechtsbeschwerden haben bereits aus einem anderen Grund Erfolg. Die mit den Feststellungszielen behaupteten Prospektfehler sind ausschließlich als anspruchsbegründende Tatsachen eines Anspruchs wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch Verwenden eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung geltend gemacht worden. Wegen des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung fehlt es für die Frage, ob Prospektfehler vorliegen, jedoch am Sachentscheidungsinteresse, so dass der Vorlagebeschluss hinsichtlich der mit den Rechtsbeschwerden weiterverfolgten Feststellungsziele gegenstandslos ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Februar 2022 - XI ZB 32/20, BGHZ 233, 47 Rn. 13 ff.).
Rz. 11
In den Vorlagebeschlüssen ist ausgeführt, dass die Kläger Schadensersatzansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne gemäß den § 311 Abs. 2 und Abs. 3, § 241 Abs. 2 BGB im Zusammenhang mit der Zeichnung ihrer Beteiligung geltend machten und dass der Prospekt die Entscheidungsgrundlage für den Beitritt dargestellt habe.
Rz. 12
c) Eine Haftung der Musterbeklagten als Gründungsgesellschafterinnen bzw. Gesellschafterinnen der Fondsgesellschaft zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB kann nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird - was der Senat in gefestigter Rechtsprechung entscheidet (Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2021 - XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 22 ff., vom 14. Juni 2022 - XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 7 f. mwN in der Fassung des Beschlusses vom 5. September 2022, WM 2022, 1908 und vom 26. Juli 2022 - XI ZB 23/20, WM 2022, 2137 Rn. 50 ff. mwN) - vielmehr durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt.
Rz. 13
Auf den am 29. März 2006 aufgestellten Prospekt findet die Regelung des § 8g VerkProspG in der vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) in Verbindung mit § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich des § 13 VerkProspG in der vom 1. November 2005 bis zum 30. Dezember 2006 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) und der §§ 44 ff. BörsG in der vom 1. Juli 2002 bis zum 31. Oktober 2007 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) eröffnet.
Rz. 14
Die Musterbeklagte zu 1 ist Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BörsG aF, weil sie die Verantwortung für den Prospekt ausdrücklich übernommen hat (Seite 3 des Prospekts). Sie ist zudem als Gründungskommanditistin Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF (vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 12. Oktober 2021 - XI ZB 26/19, WM 2021, 2386 Rn. 24, vom 26. April 2022 - XI ZB 32/19, WM 2022, 1277 Rn. 39 und vom 14. Juni 2022 - XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 12 in der Fassung des Beschlusses vom 5. September 2022, WM 2022, 1908).
Rz. 15
Die Musterbeklagten zu 2 und 3 sind zwar keine Gründungsgesellschafterinnen der Fondsgesellschaft, haben aber eine vergleichbare Stellung, so dass auch sie als Personen anzusehen sind, von denen die wirtschaftliche Initiative ausgeht und die hinter dem Prospekt stehen und seine eigentlichen Urheber sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Januar 2022 - XI ZB 11/20, BKR 2022, 395 Rn. 22 f. und vom 15. März 2022 - XI ZB 31/20, WM 2022, 921 Rn. 22 f.). Sie waren bereits vor der Aufstellung des Prospekts Kommanditistinnen der Fondsgesellschaft. Die Fondsgesellschaft war am 19. Januar 2005 als Vorratsgesellschaft gegründet worden und war erst seit dem 9. Dezember 2005 unter ihrer Firma im Handelsregister eingetragen. Zu diesem Zeitpunkt traten zwei Gründungsgesellschafterinnen aus und nachfolgend beteiligten sich die Musterbeklagten zu 2 und 3, welche zusammen mit der Musterbeklagten zu 1 auch den im Prospekt abgedruckten Gesellschaftsvertrag vom 27. März 2006 unterzeichneten.
Rz. 16
Die Musterbeklagten hafteten mithin für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF. Neben dieser ist eine Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausgeschlossen.
Rz. 17
d) Durch den Beschluss des II. Zivilsenats vom 25. Oktober 2022 (II ZR 22/22) ist der erkennende Senat nicht an einer Entscheidung gehindert. Bei der vom II. Zivilsenat geäußerten (abweichenden) Rechtsauffassung handelt es sich lediglich um ein obiter dictum, das für dessen Entscheidung nicht tragend ist.
Rz. 18
e) Somit ist der Vorlagebeschluss hinsichtlich der Feststellungsziele 1d, 2d aa, 2d bb, 2e aa, 2e bb und 3 gegenstandslos (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Februar 2022 - XI ZB 32/20, BGHZ 233, 47 Rn. 20).
III.
Rz. 19
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens folgt aus § 26 Abs. 3 KapMuG i.V.m. §§ 97, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entsprechend (vgl. Riedel in Vorwerk/Wolf, KapMuG, 2. Aufl., § 26 Rn. 1). Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts für die Gerichtskosten folgt aus § 51a Abs. 2 GKG. Der Gesamtwert der in sämtlichen ausgesetzten Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche beträgt vorliegend 1.352.362,75 €. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die außergerichtlichen Kosten richtet sich nach § 23b RVG. Danach ist der Gegenstandswert für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten des Prozessbevollmächtigten der Musterbeklagten auf 1.352.362,75 € und für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten der Prozessbevollmächtigten der Musterklägerin auf 52.000 € festzusetzen.
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Fundstellen
Dokument-Index HI15568084 |