Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Leitsatz (amtlich)
Zur Unvereinbarkeit einer Tätigkeit als juristische Geschäftsführerin einer Landesärztekammer mit dem Anwaltsberuf.
Normenkette
BRAO § 7 Nr. 8
Verfahrensgang
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des 2. Senats des Sächsischen Anwaltsgerichtshofs beim Oberlandesgericht Dresden vom 23. Oktober 1998 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen sowie die der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert wird auf 90.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist seit dem 1. Oktober 1993 als juristische Geschäftsführerin der S. Landesärztekammer angestellt. Mit Schreiben vom 5. Mai 1997 hat sie beim Oberlandesgericht D. die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwältin beim Amtsgericht und Landgericht D. beantragt. Das Oberlandesgericht hat bei der Antragsgegnerin gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 BRAO ein Gutachten eingeholt. In dem unter dem 6. August 1997 erstatteten Gutachten hat die Antragsgegnerin den Versagungsgrund des § 7 Nr. 8 BRAO geltend gemacht. Das Oberlandesgericht hat daraufhin den Zulassungsantrag gemäß § 9 Abs. 1 BRAO ausgesetzt. Gegen das Gutachten hat die Antragstellerin gemäß § 9 Abs. 2 BRAO Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, den der Anwaltsgerichtshof durch Beschluß vom 23. Oktober 1998 zurückgewiesen hat. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 BRAO), bleibt jedoch in der Sache erfolglos. Die Tätigkeit der Antragstellerin als Geschäftsführerin einer Landesärztekammer rechtfertigt die Versagung der Zulassung als Rechtsanwältin (§ 7 Nr. 8 BRAO).
1. Nach § 7 Nr. 8 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn der Bewerber eine Tätigkeit ausübt, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege, nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann. Diese Regelung soll die Freiheit und Unabhängigkeit des Anwaltsberufs schützen (BT-Drucks. 12/4993, S. 24).
Die Zulassung von aktiven Angehörigen des öffentlichen Dienstes zur Rechtsanwaltschaft widerspricht diesem Schutzgedanken. Das ergibt sich aus der gesetzgeberischen Wertung der §§ 7 Nr. 11, 14 Abs. 2 Nr. 5, 47 BRAO. Diese Vorschriften werden durch § 7 Nr. 8 BRAO ergänzt (BVerfGE 87, 287, 321 mit Hinweis auf BT-Drucks. III/120, S. 78 zu § 59). Zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels ist eine deutliche Trennung des Rechtsanwaltsberufs von einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst erforderlich, weil die Mittel der Berufsaufsicht Abhängigkeitsverhältnisse nicht zuverlässig ausschließen können oder jedenfalls in den Augen der Öffentlichkeit nicht gleich wirksam sind (BVerfGE 87, 287, 324; BGH, Beschluß vom 13. September 1993 – AnwZ (B) 24/93, BRAK-Mitt. 1994, 42). Für die Betroffenen ist die dadurch zum Ausdruck kommende Beschränkung ihrer Berufsfreiheit allerdings nur dann zumutbar, wenn sie nicht starr gehandhabt wird. Der öffentliche Dienst ist vielgestaltig. Es muß deshalb im Einzelfall geprüft werden, ob die gleichzeitige Ausübung des Anwaltsberufs und eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst die Belange der Rechtspflege gefährden kann (BVerfGE 87, 287, 324; BGHZ 100, 87, 90 f.; BGH, Beschl. v. 13. September 1993 aaO; v. 16. Februar 1998 – AnwZ (B) 74/97, BRAK-Mitt. 1998, 200; v. 16. November 1998 – AnwZ (B) 36/98, NJW-RR 1999, 571). Eine derartige Gefahr ist gegeben, wenn der Rechtsanwalt öffentliche Aufgaben von einer Art wahrnimmt, daß das rechtsuchende Publikum den Eindruck gewinnen kann, die Unabhängigkeit des Anwalts sei durch Bindungen an den Staat beeinträchtigt (BGH, Beschl. v. 13. September 1993 aaO; v. 16. November 1998 aaO). Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Rechtsanwalt in seinem Zweitberuf beamtenähnliche Funktionen ausübt, wenn er hoheitlich tätig wird (BGH, Beschl. v. 16. November 1998 aaO). Die Belange der Rechtspflege sind auch dann gefährdet, wenn bei den Rechtsuchenden die Vorstellung entstehen kann, der Rechtsanwalt könne wegen seiner „Staatsnähe” mehr als andere Rechtsanwälte für sie bewirken, oder – umgekehrt – der Gegner eines solchen Rechtsanwalts den Eindruck der Benachteiligung gewinnen kann (BGH, Beschl. v. 29. März 1982 – AnwZ (B) 4/82, BRAK-Mitt. 1982, 125; v. 13. September 1993 aaO; v. 16. November 1998 aaO). Ob derartige Gefahren gegeben sind, muß anhand der konkreten Ausgestaltung des Angestelltenverhältnisses und der ausgeübten Tätigkeit geprüft werden. Dabei ist sowohl der Aufgabenbereich der Körperschaft, deren Angestellter der Bewerber ist, als auch deren Bedeutung im Bereich der von dem Bewerber geplanten Niederlassung zu berücksichtigen (BVerfGE 87, 287, 323 f; BGHZ 100, 87, 91; BGH, Beschl. v. 13. September 1993 aaO; v. 16. November 1998 aaO).
Eine Gefahr für die Rechtspflege durch die Ausübung des Zweitberufs hat die Rechtsprechung bejaht für eine Sachbearbeiterin bei einer Universitätsverwaltung (BVerfGE 87, 287, 324; BGHZ 100, 87, 91), einen Justitiar bei einem bischöflichen Offizialat (BGHZ 66, 283 ff.), die Geschäftsführer einer Kreishandwerkerschaft (BGH, Beschl. v. 13. September 1993 aaO), einer Handwerkskammer (BGH, Beschl. v. 16. November 1998 aaO), einer Handwerksinnung (BGH, Beschl. v. 29. November 1993 – AnwZ (B) 41/93, BRAK-Mitt. 1994, 43), einer Industrie- und Handelskammer (BGHZ 36, 71, 74 f.; 49, 238, 241 f.; 68, 59), einer Landesapothekerkammer (EGH Frankfurt EGE X, 119 ff.) und einer Berufsgenossenschaft (BGH, Beschl. v. 29. März 1982 – AnwZ (B) 4/82, BRAK-Mitt. 1982, 125).
Die vom Anwaltsgerichtshof veranlaßte Umfrage bei den für die Zulassung der Rechtsanwälte zuständigen Stellen hat die Behauptung der Antragstellerin, der bei den Kammern der Heilberufe angestellte Jurist sei heute regelmäßig auch als Rechtsanwalt zugelassen, nicht bestätigt. Vielmehr hat sich umgekehrt die Tendenz herausgestellt, die Geschäftsführer von öffentlich-rechtlichen Körperschaften generell nicht zur Anwaltschaft zuzulassen. Anders verhält es sich nur mit den Geschäftsführern der Rechtsanwaltskammern. Bei diesen öffentlich-rechtlichen Körperschaften sind die Geschäftsführer in großem Umfang als Rechtsanwälte zugelassen, und Zulassungen sind auch nach Aufnahme der Tätigkeit als Geschäftsführer erfolgt. Daraus kann die Antragstellerin aber nichts für ihren Standpunkt herleiten. Die Rechtsanwaltskammern erfüllen im Wege der Selbstverwaltung Aufgaben der Rechtspflege. Als Geschäftsführerin der Landesärztekammer erfüllt die Antragstellerin keine anwaltlichen Aufgaben berufsständischer Natur.
2. Der Arbeitgeber der Antragstellerin ist die öffentliche Berufsvertretung der Ärzte im Freistaat Sachsen (§ 1 Abs. 1 Ziff. 1 Sächsisches Heilberufekammergesetz – SächsHKaG –) und als solche eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SächsHKaG). Ihr gehören alle aufgrund einer Berufserlaubnis oder Approbation zur Berufsausübung berechtigten Ärzte als Pflichtmitglieder an (§ 2 Abs. 1 SächsHKaG). Zu ihren Aufgaben gehört unter anderem, die Erfüllung der berufsrechtlichen und berufsethischen Pflichten der Mitglieder zu überwachen, soweit nicht für die Überwachung der im öffentlichen Dienst tätigen Mitglieder der Dienstherr zuständig ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 SächsHKaG), die Qualität der Berufsausübung zu sichern (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 SächsHKaG), geeignete Maßnahmen zur Gestaltung und Förderung der Fort- und Weiterbildung der Mitglieder zu treffen (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 SächsHKaG), den öffentlichen Gesundheitsdienst bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen (§ 5 Abs. 1 Nr. 8 SächsHKaG) sowie auf Verlangen der zuständigen Behörden zu Gesetz- und Verordnungsentwürfen Stellung zu nehmen, in allen sonstigen die Aufgaben des Berufsstandes betreffenden Fragen Gutachten zu erstatten und Sachverständige zur Erstattung von Gutachten vorzuschlagen (§ 5 Abs. 1 Nr. 10 SächsHKaG). Die Landesärztekammer entscheidet über die Berechtigung zur Führung von Weiterbildungsbezeichnungen (§§ 20 Abs. 1 Satz 2, 26 Abs. 1 Satz 2 SächsHKaG) und die Erteilung der Befugnis zur Weiterbildung (§§ 23 Abs. 1 Satz 2, 24 Abs. 2 Satz 5 SächsHKaG). Darüber hinaus kommt der Landesärztekammer eine maßgebliche Stellung bei der Durchführung berufsrechtlicher Verfahren zu (§§ 40 ff. SächsHKaG). Ist sie der Ansicht, daß ein Kammermitglied eine ihm obliegende Berufspflicht verletzt hat, kann sie entweder ein Rügeverfahren durchführen oder ein berufsgerichtliches Verfahren einleiten (§ 40 Satz 1 SächsHKaG). Die Erteilung der Rüge erfolgt durch Bescheid (§ 41 Abs. 4 Satz 2 SächsHKaG). Wenn die Schuld des Mitglieds nicht gering erscheint, verfolgt die Landesärztekammer die Berufspflichtverletzung durch Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahren (§§ 43 Abs. 1 Satz 1, 44 Abs. 1 Nr. 1 SächsHKaG). Sie ist dann an diesem Verfahren notwendigerweise beteiligt (§ 44 Abs. 3 SächsHKaG) und kann gegen das Urteil des Berufsgerichts Berufung einlegen (§ 58 Abs. 1 SächsHKaG) oder ein Wiederaufnahmeverfahren betreiben (§ 61 SächsHKaG). In sämtlichen genannten Funktionen nimmt die Landesärztekammer als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung hoheitliche Aufgaben wahr.
3. Die Antragstellerin ist bei der Wahrnehmung der vorstehend beschriebenen Aufgaben – auch in der Vorstellung des rechtsuchenden Publikums – maßgeblich beteiligt. Sie wirkt nicht lediglich als interne Beraterin des Kammervorstands, sondern tritt auch nach außen in Erscheinung. In dem ihr von dem Arbeitgeber unter dem 11. Oktober 1995 erteilten Zwischenzeugnis heißt es:
„Das Aufgabengebiet von Frau G. umfaßt die Betreuung und Bearbeitung aller Rechtsangelegenheiten, wie sie üblicherweise in einer berufsständischen Selbstverwaltung anfallen. Dazu gehören insbesondere Beratung der Kammermitglieder, des Präsidenten und des Vorstands, der Mitarbeiter und der Leitenden Angestellten, die rechtlichen Be- und Überarbeitung von Rechtsvorschriften der Körperschaft, die Vertretung vor Ämtern und Gerichten im Umfang der erteilten Aufträge und Vollmachten, die Erfassung und rechtliche Begutachtung von Schriftsätzen … Die Leitung des juristischen Geschäftsbereichs umfaßt auch die Verantwortung für das Berufsregister und für die Bearbeitung von Vorgängen nach der ärztlichen Gebührenordnung.”
Da die Antragstellerin – wie sich aus diesem Zwischenzeugnis, aber auch aus ihren Angaben in der Verhandlung vor dem Senat ergibt – die Landesärztekammer vor Ämtern und Gerichten vertritt und den Mitgliedern als Ansprechpartnerin und Beraterin in Rechtsangelegenheiten zur Verfügung steht, wird sie von den Rechtsuchenden als Repräsentantin der Kammer angesehen und geachtet. Das gilt in ganz besonderem Maße in D., wo die Kammer ihren Sitz hat und die Antragstellerin sich als Rechtsanwältin niederlassen will.
Daß diese nicht zeichnungsbefugt ist und die Kammer nur aufgrund jeweils besonders erteilter Vollmacht vertritt, ist unerheblich. Da die Zeichnungsbefugnis nicht zum Status des Beamten gehört, schließt ihr Fehlen eine „beamtenähnliche Funktion” nicht aus.
Nicht entscheidend fällt ferner der Umstand ins Gewicht, daß die Antragstellerin nicht Hauptgeschäftsführerin der Kammer ist. „Beamtenähnliche Funktionen” werden nicht nur auf der obersten Führungsebene wahrgenommen, sondern auch darunter. Die Rechtsprechung hat demgemäß auch bei einem stellvertretenden Geschäftsführer (BGHZ 68, 59 ff.) oder Abteilungsleiter (BGHZ 66, 283 ff.) eine Unvereinbarkeit mit dem Anwaltsberuf angenommen. Immerhin vertritt die Antragstellerin – wie weiterhin aus dem Zwischenzeugnis vom 11. Oktober 1995 hervorgeht – die Hauptgeschäftsführerin „alternierend mit dem ärztlichen Geschäftsführer”.
4. Die Versicherung der Antragstellerin, sie werde keine Mandate übernehmen, welche die Berufsausübung von Kammermitgliedern betreffen, ist unerheblich. Eine solche Versicherung erzeugt keine Rechtsbindung (BGH, Beschl. v. 29. März 1982 aaO).
Unterschriften
Geiß, Fischer, Ganter, Otten, Salditt, Christian, Wüllrich
Fundstellen
NJW 2000, 3004 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2000, 1218 |
NJ 2000, 560 |
AusR 2001, 92 |
BRAK-Mitt. 2001, 44 |