Anwaltsinsolvenz und Verlust der Zulassung bedingen sich oft gegenseitig


Anwaltsinsolvenz und Verlust der Zulassung

Wer als Anwalt finanziell ins Trudeln kommt, verliert nicht nur schnell seine mühsam aufgebaute Praxis, ihm wird zugleich meist die Chance genommen, seinen erlernten Beruf auszuüben, um wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen.

Der in der Praxis mit Abstand häufigste Fall für den Widerruf der Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer ist seit Jahrzehnten der „Vermögensverfall“. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückzunehmen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass durch den Vermögensverfall die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall ist anzunehmen,

  • wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann (BGH, Beschluss v. 21.4.2016, AnwZ 1/16)
  • und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (BGH, Beschluss v. 15.12.2017, AnwZ 11/17).

Der Vermögensverfall wird gesetzlich vermutet, wenn gemäß § 27 InsO ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet oder der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO, § 882b ZPO) eingetragen ist.

Zeitlich ist fürdie Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Widerrufs nach demseit 1.9. 2009 geltenden Verfahrensrecht auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens abzustellen oder - falls ein Vorverfahren ausnahmsweise entbehrlich ist -  auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung (BGH, Beschluss v. 12.12.2018, AnwZ 60/17; BGH, Beschluss v. 20.12.2022, AnwZ 22/22). Danach eingetretene Entwicklungen bleiben der Beurteilung in einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten. 

Widerlegung des Vermögensverfalls im Insolvenzverfahren

Der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Nr. 7, 2. Halbsatz BRAO setzt keine Rechtskraft des Insolvenzeröffnungsbeschlusses voraus, seine Wirkung entfällt aber, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Insolvenzeröffnung zum Zeitpunkt des Widerrufs der Zulassung nicht gegeben waren (BGH, Beschluss v. 20.2.2020, AnwZ 65/19).

Die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls kann dadurch widerlegt werden, dass das Insolvenzgericht bestätigt, dass ein Insolvenzplan gemäß § 248 InsO oder ein Schuldenbereinigungsplan gemäß § 308 InsO vorliegt, bei dessen Erfüllung der Schuldner von seinen übrigen Forderungen gegenüber den Gläubigern befreit wird (BGH, Beschluss v. 19.4.2022, AmwZ 39/21).

Ohne Erwerbsquelle ist Restschuldbefreiung fast utopisch

Die Problematik, nach Geldschwierigkeiten wieder festen Grund unter die Füße zu bekommen, beruht auf dem Teufelskreis, wonach betroffenen Anwälten nahezuzwangsläufig die Zulassung zur Anwaltschaft und damit die Existenzgrundlage entzogen wird. Die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis ist in der Praxis keine Seltenheit und kommt mittlerweile regelmäßig vor. Hinfallen ist leicht, aufzustehen eher schwer . Wie soll die Rückkehr in den Beruf möglich sein, wenn die bisherige Einkunftsquelle wegen des Zulassungswiderrufs austrocknet ist und die Betroffenen bis zur Restschuldbefreiung den Anschluss an den Beruf verpassen?

 Widerruf der Zulassung wegen Vermögensverfall verstößt nicht gegen die Verfassung

Der Widerruf der Zulassung wegen Vermögensverfalls beeinträchtigt nach der seit Jahrzehnten unveränderten Rechtsprechung des BGH nicht in unangemessener Weise die gemäß Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit. Im Fall des Vermögensverfalls erfordere der Schutz der Rechtsuchenden und deren Interesse an einer angemessenen anwaltlichen Vertretung sowie der Schutz vor einem möglichen Zugriff der Gläubiger des Anwalts auf eingehende Fremdgelder als höherrangige Rechtsgüter den Widerruf der Zulassung (BGH, Beschluss v. 14.10.2022, AnwZ 17/22). Der Widerruf setze daher kein kriminelles Verhalten des Anwalts voraus und sei im Fall des Vermögensverfalls angemessen und verhältnismäßig (BGH, Beschluss v. 20.12.2022, AnwZ 22/22).