Leitsatz (amtlich)
Da die Unterschriftenkontrolle, die der Rechtsanwalt zuverlässigen Bürokräften überlassen darf, gerade der Vermeidung eines erfahrungsgemäß nicht gänzlich ausschließbaren Anwaltsversehens bei der Unterschriftsleistung dient, kann auf ein zeitlich vor der unterbliebenen Unterschriftskontrolle liegendes Anwaltsversehen im Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Berufungsschrift regelmäßig nicht zurückgegriffen werden.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, § 233
Verfahrensgang
OLG Zweibrücken (Beschluss vom 05.02.2014; Aktenzeichen 1 U 115/13) |
LG Kaiserslautern (Urteil vom 17.04.2013; Aktenzeichen 4 O 200/10) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1) wird der Beschluss des 1. Zivilsenats des Pfälzischen OLG Zweibrücken vom 5.2.2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 33.042,79 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger begehrt wegen eines Unfalls von den Beklagten Schadensersatz. Das LG hat den Klageanspruch gegenüber der Beklagten zu 1) (künftig: Beklagte) dem Grunde nach i.H.v. 50 % für gerechtfertigt erklärt und gegen den Beklagten zu 2) abgewiesen. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 26.4.2013 zugestellt worden. Am 24.5.2013, einem Freitag, ist beim OLG eine Berufungsschrift aus der Kanzlei der damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten ohne Unterschrift des Rechtsanwalts der Beklagten eingegangen. Am Dienstag, dem 28.5.2013, hat die Bedienstete der Geschäftsstelle das Fehlen der Unterschrift bei der Eintragung der Berufung festgestellt. Mit Verfügung vom 31.5.2013, dem anwaltlichen Vertreter der Beklagten zugestellt am 6.6.2013, hat der Vorsitzende des zuständigen Zivilsenats auf den Mangel hingewiesen. Am 18.6.2013 hat die Beklagte eine unterschriebene Berufungsschrift beim OLG eingereicht und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.
Rz. 2
Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass ihr Prozessbevollmächtigter versäumt habe, die ihm vorgelegte Berufungsschrift zu unterschreiben und - wie geplant - persönlich zum OLG mitzunehmen. Zur Versäumung der Frist sei es gekommen, weil die Rechtsanwaltsfachangestellte B., die bereits seit 25 Jahren in der Kanzlei beschäftigt sei und sich bei der ihr obliegenden Fristenkontrolle stets als zuverlässig erwiesen habe, entgegen der bestehenden allgemeinen Anweisung den Schriftsatz, ohne zu kontrollieren, ob er unterschrieben sei, zur Post gegeben und an das OLG übermittelt habe. Hierbei handle es sich um einen einmaligen Fehler der Angestellten. Dazu hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten eidesstattlich versichert, dass Frau B. seit 25 Jahren in seiner Kanzlei beschäftigt sei und sich in dieser Zeit als kompetente und stets zuverlässige Fachkraft erwiesen habe. Frau B. hat die Angaben unter Versicherung an Eides statt bestätigt.
Rz. 3
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet zurückgewiesen und darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass das Versäumnis des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, den Schriftsatz zu unterschreiben und mitzunehmen, die Fristversäumung verursacht habe. Es sei weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass den Prozessbevollmächtigten daran kein Verschulden treffe. Die organisatorische Anweisung, alle ausgehenden Schriftsätze auf eine vorhandene Unterschrift zu kontrollieren, habe für sich allein nicht sichergestellt, dass trotz eines auf dem Schreibtisch vorhandenen, nicht unterschriebenen Schriftsatzes zur Einlegung der Berufung die Berufungsfrist nicht versäumt werde. Zu sonstigen Anweisungen zur Sicherstellung der Einhaltung von Berufungsfristen sei nichts weiter vorgetragen. Ob die Berufungsfrist bereits gestrichen worden sei, als der Schriftsatz durch die Kanzleimitarbeiterin aufgefunden worden sei, weil der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Berufungsschrift mitnehmen sollte, lasse sich dem Vortrag ebenfalls nicht entnehmen. Die allgemeine Anweisung im Rahmen der Büroorganisation, ausgehende Schriftsätze auf die Unterschrift hin zu kontrollieren, verfolge nicht den Zweck, einen vom Rechtsanwalt im Einzelfall vergessenen Schriftsatz auf den Postweg zu bringen.
II.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Rz. 5
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss verletzt die Beklagte in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. BVerfGE 79, 372 [376 f.]; BVerfG NJW-RR 2002, 1004).
Rz. 6
a) Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Beklagte die bis zum Montag, dem 27.5.2013, laufende Berufungsfrist versäumt hat. Der am 24.5.2013 eingegangene Schriftsatz vom 22.5.2013 genügte den Anforderungen der §§ 519 Abs. 4, 130 Nr. 6 ZPO nicht, weil er nicht von einem - beim Berufungsgericht postulationsfähigen - Rechtsanwalt unterschrieben war. Da auch die Beglaubigungsvermerke auf den beigefügten Abschriften nicht unterschrieben waren, kommt eine Ersetzung der fehlenden Unterschrift auf der Urschrift nicht in Betracht (vgl. Senatsbeschluss v. 5.3.1954 - VI ZB 21/53, LM § 519 ZPO Nr. 14; BGH, Beschl. v. 12.12.1984 - IVb ZB 103/84, VersR 1985, 285 [286]).
Rz. 7
b) Der Beklagten ist jedoch auf den fristgerecht gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren, wenn sie letztlich ohne ein ihr zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Frist gehindert war (§ 233 ZPO).
Rz. 8
aa) Zwar trifft, wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt, den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ein Verschulden an der unterbliebenen Unterzeichnung der Berufungsschrift vom 22.5.2013, wenn er den Schriftsatz ohne Unterschrift auf dem Schreibtisch zurückgelassen hat, anstatt ihn zu unterzeichnen und beim Berufungsgericht einzureichen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten musste nach Vorlage der Berufungsschrift Vorkehrungen dagegen treffen, dass diese vor Unterzeichnung irrtümlicherweise in den Postausgang geraten und ohne Unterschrift bei Gericht eingereicht würde.
Rz. 9
bb) Das Verschulden einer Partei oder ihres Vertreters ist jedoch, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, dann nicht rechtlich erheblich, wenn die Partei oder ihr Vertreter alle erforderlichen Schritte unternommen hat, die bei normalem Ablauf der Dinge mit Sicherheit dazu führen würden, dass die Frist gewahrt werden kann. Wird die Frist dennoch versäumt, ist nicht mehr das Verschulden der Partei oder ihres Vertreters als ursächlich für die Versäumung der Frist anzusehen, sondern das von der Partei nicht verschuldete Hindernis, das sich der Fristwahrung entgegengestellt hat (BGH, Beschl. v. 28.11.1957 - IV ZB 197/57, VersR 1958, 62; v. 29.5.1974 - IV ZB 6/74, VersR 1974, 1001 [1002]). In der Rechtsprechung ist deshalb anerkannt, dass bei fehlender Unterzeichnung der bei Gericht fristgerecht eingereichten Rechtsmittel-(Begründungs-)schrift Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann, wenn der Prozessbevollmächtigte sein Büropersonal allgemein angewiesen hatte, sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein der Unterschrift zu überprüfen (vgl. BGH v. 14.10.2008 - VI ZB 37/08, VersR 2009, 699 Rz. 7; BGH, Urt. v. 6.12.1995 - VIII ZR 12/95, VersR 1996, 910 [911]; BGH, Beschl. v. 30.10.1974 - VIII ZR 30/74, VersR 1975, 135 unter II 1; v. 12.12.1984 - IVb ZB 103/84, VersR 1985, 285 [286]; v. 23.10.1986 - VII ZB 8/86, VersR 1987, 383 [384]; vom 27.9.1994 - XI ZB 9/94, VersR 1995, 479 [480]; v. 15.2.2006 - XII ZB 215/05, VersR 2007, 375 Rz. 9; v. 1.6.2006 - III ZB 134/05, VersR 2007, 1101; BAG, NJW 1966, 799; BAG, AP, § 233 ZPO Nr. 66; s. auch Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 233 Rz. 22). Da die Unterschriftenkontrolle - die der Rechtsanwalt zuverlässigen Bürokräften überlassen darf (vgl. BGH, Beschl. v. 23.11.1988 - VIII ZB 31/88, VersR 1989, 209 m.w.N.) - gerade der Vermeidung eines erfahrungsgemäß nicht gänzlich ausschließbaren Anwaltsversehens bei der Unterschriftsleistung dient, ist bei einem Versagen dieser Kontrolle ein Rückgriff auf ein Anwaltsversehen im Zusammenhang mit der Unterzeichnung ausgeschlossen (vgl. BGH, Urt. v. 6.12.1995 - VIII ZR 12/95, a.a.O.).
Rz. 10
cc) Dass eine solche ausreichende Unterschriftskontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten besteht, hat die Beklagte dargelegt. Danach sind in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten alle Angestellten angewiesen, einen Schriftsatz erst dann auf den Postweg zu geben, wenn er auf das Vorhandensein einer Unterschrift kontrolliert worden ist. Auch hat der Rechtsanwalt der Beklagten die Zuverlässigkeit seines Personals in der Befolgung von Anweisungen der eidesstattlichen Versicherung der Angestellten B. zufolge stichprobenartig überwacht. Eine darüber hinausgehende Überwachung ist nicht gefordert, wenn der Anwalt von der Zuverlässigkeit der Mitarbeiterin ausgehen durfte. Für Umstände, die gegen die Zuverlässigkeit der Angestellten B. sprechen könnten, sind Anhaltspunkte nicht gegeben.
Rz. 11
Mit den Erwägungen des Berufungsgerichts lässt sich mithin ein der Beklagten gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes, für die Fristversäumnis ursächliches Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht begründen.
Rz. 12
c) Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. An einer Entscheidung in der Sache gem. § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO ist der Senat gehindert. Es fehlt an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Beschluss. Ihm lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, ob das Berufungsgericht den auf den Wiedereinsetzungsantrag bezogenen Sachvortrag des Klägers für glaubhaft gemacht hält oder ob es ihn lediglich als wahr unterstellt, was von seinem - allerdings unzutreffenden - Rechtsstandpunkt aus gesehen, ausreichend wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 12.11.2013 - VI ZB 4/13, NJW 2014, 700 Rz. 16).
Rz. 13
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der angegriffene Beschluss im Hinblick auf die lückenhafte Darstellung des maßgeblichen Sachverhalts rechtlichen Bedenken begegnet. Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge der Parteien in beiden Instanzen erkennen lassen; andernfalls sind sie nicht mit den nach dem Gesetz erforderlichen Gründen versehen (§§ 576 Abs. 3, 547 Nr. 6 ZPO). Das Rechtsbeschwerdegericht kann grundsätzlich nur von demjenigen Sachverhalt ausgehen, den das Berufungsgericht festgestellt hat (§§ 577 Abs. 2 Sätze 1 und 4, 559 ZPO). Fehlen tatsächliche Feststellungen im angefochtenen Beschluss, ist es zu einer abschließenden rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage (vgl. BGH, Beschl. v. 12.7.2004 - II ZB 3/03, NJW-RR 2005, 78; v. 20.6.2002 - IX ZB 56/01, NJW 2002, 2648 [2649]).
Fundstellen
Haufe-Index 7191739 |
BB 2014, 2050 |
DB 2014, 2046 |
DB 2014, 8 |
DStR 2014, 14 |