Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung vor dem Erlass von Sicherungsmaßnahmen
Leitsatz (amtlich)
1. Außer im Falle der Haftanordnung ist der Schuldner nicht zwingend vor der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zu hören.
2. Sicherungsmaßnahmen können daher bereits angeordnet werden, bevor die Zulässigkeit des Eröffnungsantrags abschließend geprüft worden ist. Darüber hinaus kann die Gewährung rechtlichen Gehörs auch im Abhilfeverfahren vor dem Insolvenzgericht und im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden.
Normenkette
InsO §§ 4, 21 Abs. 1 S. 2, §§ 6-7; ZPO § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Kosten der Rechtsmittel werden der Schuldnerin auferlegt.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Der weitere Beteiligte zu 1, ein früherer Arbeitnehmer der Schuldnerin, beantragte am 1. März 2011 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen. Er behauptete, den Lohn für die Monate September 2010 bis Januar 2011 überwiegend nicht erhalten zu haben.
Rz. 2
Mit Beschluss vom 2. März 2011 hat das Insolvenzgericht den weiteren Beteiligten zu 2 zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und weitere Sicherungsmaßnahmen angeordnet. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist erfolglos geblieben. Die Schuldnerin hat zunächst Rechtsbeschwerde eingelegt und diese begründet. Sodann ist der angefochtene Beschluss aufgehoben und der Insolvenzantrag mangels Masse abgewiesen worden. Die Schuldnerin hat das Verfahren für erledigt erklärt und beantragt, dem weiteren Beteiligten zu 1 die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
Unter Berücksichtigung des bisherigen Streitstandes entspricht es billigem Ermessen, der Schuldnerin die Verfahrenskosten aufzuerlegen (§ 91a ZPO analog Art. 103 f Satz 1 EGInsO). Die Rechtsbeschwerde war nach § 21 Abs. 1 Satz 2, §§ 6, 7 InsO aF, § 4 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie war jedoch unzulässig. Die Rechtssache hatte keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderte eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde hat sich auf den Zulässigkeitsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung berufen (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) und eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) beanstandet, weil die Schuldnerin vor Erlass des Beschlusses vom 2. März 2011 keine Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hat. Diese Rüge war nicht berechtigt. Vor einer Haftanordnung ist der Schuldner zu hören (§ 21 Abs. 3 Satz 1 InsO). Im Übrigen ist dem Schuldner vor der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen rechtliches Gehör zu gewähren, wenn dadurch der Sicherungszweck nicht gefährdet wird (HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl., § 21 Rn. 52, 54 mwN). Unabhängig davon, ob diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt war, ist das rechtliche Gehör im Abhilfeverfahren vor dem Insolvenzgericht und im Beschwerdeverfahren nachgeholt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2003 – IX ZB 373/02; vom 16. Oktober 2003 – IX ZB 475/02, ZVI 2004, 24, 25 [BGH 16.10.2003 – IX ZB 475/02]; vom 9. Juli 2009 – IX ZB 35/09, NZI 2009, 604 Rn. 11).
Rz. 5
Die Vorschrift des § 14 Abs. 2 InsO, auf welche die Rechtsbeschwerde sich beruft, ändert im Ergebnis nichts. Nach § 14 Abs. 2 InsO hat das Insolvenzgericht den Schuldner zu hören, wenn der Eröffnungsantrag zulässig ist. Das heißt jedoch nicht, dass die Anhörung vor dem Erlass der Sicherungsmaßnahmen zu erfolgen hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Sicherungsmaßnahmen bereits angeordnet werden, bevor die Zulässigkeit des Eröffnungsantrags abschließend geprüft worden ist (BGH, Beschluss vom 22. März 2007 – IX ZB 164/06, NZI 2007, 344 Rn. 9). An dieser Rechtsprechung hat sich das Beschwerdegericht orientiert. Es verstieß auch nicht gegen Verfahrensgrundrechte, den Anspruch des weiteren Beteiligten zu 1 als hinreichend glaubhaft gemacht anzusehen. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Arbeitslohn, insbesondere das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im fraglichen Zeitraum, standen außer Streit. Die Schuldnerin hat demgegenüber ohne nähere Erläuterungen erklärt, der Anspruch bestehe nicht, und hat sich zudem auf weder im Einzelnen dargelegte noch glaubhaft gemachte Gegenansprüche aus Unterschlagung berufen. Die Forderung des weiteren Beteiligten zu 1 bildete nicht zugleich den Insolvenzgrund, so dass sie nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden musste (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2005 – IX ZB 207/04, WM 2006, 492, 493; vom 29. Juni 2006 – IX ZB 245/05, WM 2006, 1632, 1633 [BGH 29.06.2006 – IX ZB 245/05]; vom 29. März 2007 – IX ZB 141/06, NZI 2007, 408 Rn. 7 [BGH 29.03.2007 – IX ZB 141/06]).
Fundstellen
Haufe-Index 3087620 |
KSI 2012, 92 |