Leitsatz (amtlich)
Stellt ein Verfahrensbeteiligter in einer Familienstreitsache vor Einlegung der Beschwerde einen isolierten Verfahrenskostenhilfeantrag, beginnt die Frist zur Nachholung der versäumten Verfahrenshandlung (hier: Einlegung der Beschwerde) erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung des Beschwerdegerichts über die beantragte Beiordnung eines Rechtsanwalts.
Normenkette
FamFG § 64 Abs. 1, § 113 Abs. 1 S. 2; ZPO §§ 233, 236 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Celle (Beschluss vom 30.08.2012; Aktenzeichen 12 UF 109/12) |
AG Stadthagen (Beschluss vom 26.04.2012; Aktenzeichen 60 F 116/11) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 12. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des OLG Celle vom 30.8.2012 aufgehoben, soweit der Antrag der Antragstellerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zurückgewiesen worden ist.
Der Antragstellerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluss des AG Stadthagen vom 26.4.2012 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Wert: 287 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Antragstellerin begehrt Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist.
Rz. 2
Das AG hat mit dem am 9.5.2012 zugestellten Beschluss den Antrag der Antragstellerin auf nachehelichen Unterhalt teilweise abgewiesen.
Rz. 3
Mit gleichlautenden Schriftsätzen, die am 8.6.2012 beim AG und am 7.6.2012 beim OLG eingegangen sind, hat die Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung ihres erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten beantragt. Mit Beschluss vom 6.8.2012 hat das OLG der Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt, ohne über die beantragte Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten zu entscheiden. Der Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 13.8.2012 zugestellt. Mit weiterem Beschluss vom 13.8.2012 hat das OLG der Antragstellerin ihren erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten für das Beschwerdeverfahren beigeordnet. Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin nur formlos übermittelt und ist in dessen Kanzlei am 20.8.2012 eingegangen. Am 27.8.2012 hat die Antragstellerin beim OLG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist beantragt und zugleich die Beschwerdeeinlegung nachgeholt.
Rz. 4
Das OLG hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Beschwerdeeinlegung und im Übrigen zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
Rz. 6
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Antragstellerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGH v. 23.3.2011 - XII ZB 51/11, FamRZ 2011, 881 Rz. 7; v. 2.4.2008 - XII ZB 189/07, FamRZ 2008, 1338 Rz. 8 m.w.N.).
Rz. 7
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
Rz. 8
a) Das Beschwerdegericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Antragstellerin mit der Begründung zurückgewiesen, diese habe die Beschwerdeschrift beim OLG statt bei dem nach § 64 Abs. 1 FamFG zuständigen AG eingelegt. Da die Beschwerde erst am 27.8.2012 um 12.08 Uhr und damit am letzten Tag der Wiedereinsetzungsfrist beim OLG eingegangen sei, wäre es nicht möglich gewesen, die Beschwerde im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs vor Ablauf der Frist an das AG weiterzuleiten. Die Akten seien von der Geschäftsstelle erst am 28.8.2012 vorgelegt worden.
Rz. 9
Diese Ausführungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 10
b) Der Antragstellerin ist vom Beschwerdegericht zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt worden. Die Beschwerde gegen den Beschluss des AG vom 26.4.2012 ist zwar nicht rechtzeitig innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. §§ 236 Abs. 2 Satz 2, 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO beim AG eingegangen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist die fehlerhafte Einreichung der Beschwerdeschrift beim OLG für die Fristversäumnis jedoch nicht ursächlich geworden.
Rz. 11
aa) Gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO setzt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand u.a. voraus, dass der Antragsteller die versäumte Verfahrenshandlung innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO nachholt. Diese Frist beginnt nach § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG i.V.m. § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Das ist in Fällen wie dem vorliegenden, in denen ein Verfahrensbeteiligter vorab um Verfahrenskostenhilfe für ein beabsichtigtes Rechtsmittel nachsucht, spätestens der Zeitpunkt der Zustellung des Verfahrenskostenhilfebeschlusses (vgl. BGH v. 19.11.2008 - XII ZB 102/08, FamRZ 2009, 217 Rz. 10 ff.). Wird die beantragte Verfahrenskostenhilfe bewilligt, ist regelmäßig der Grund, der einen mittellosen Verfahrensbeteiligten bisher daran gehindert hat, die beabsichtigte Verfahrenshandlung vorzunehmen, entfallen. Besteht für die Verfahrenshandlung allerdings Anwaltszwang, genügt die bloße Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht, um das Hindernis zu beheben. Die notwendige Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts kann der mittellose Verfahrensbeteiligte nur dann vornehmen, wenn ihm im Wege der Verfahrenskostenhilfe ein Rechtsanwalt beigeordnet wird. Nur dann ist er wirtschaftlich in der Lage, die erforderliche anwaltliche Vertretung in dem Verfahren zu erreichen. Deshalb beginnt die Wiedereinsetzungsfrist in Verfahren, in denen sich der Beteiligte durch einen Anwalt vertreten lassen muss, erst mit der Bekanntgabe des Beschlusses, mit dem ein Rechtsanwalt beigeordnet wird (vgl. BGH Beschl. v. 17.6.2004 - IX ZB 208/03, NJW 2004, 2902, 2903 und Urt. v. 22.3.2001 - IX ZR 407/98, NJW 2001, 2545, 2546 f.).
Rz. 12
bb) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts begann danach im vorliegenden Fall die Wiedereinsetzungsfrist nicht bereits mit der Zustellung des die Verfahrenskostenhilfe bewilligenden Beschlusses zu laufen, sondern erst mit der nachgeholten Entscheidung über die beantragte Anwaltsbeiordnung, von der der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin mangels Zustellung dieser Entscheidung erst am 20.8.2012 Kenntnis erlangte. Gemäß § 114 Abs. 1 FamFG musste sich die Antragstellerin in dem vorliegenden Unterhaltsverfahren als einer Familienstreitsache (§ 112 Nr. 1 FamFG) auch im Beschwerdeverfahren vor dem OLG durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl., § 114 Rz. 4). Die beabsichtigte Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung konnte daher von ihr erst nach der Beiordnung eines Rechtsanwalts eingelegt werden. Damit ist das Hindernis, das einer früheren Einlegung des Rechtsmittels entgegenstand, nicht schon mit der am 13.8.2012 zugestellten Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, sondern erst mit der nachträglichen Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Anwaltsbeiordnung entfallen. Die zweiwöchige Frist zur Nachholung der Beschwerdeeinlegung als versäumter Verfahrenshandlung (§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. §§ 234 Abs. 1 Satz 1, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) endete folglich nicht - wie vom Beschwerdegericht angenommen - bereits am 27.8.2012, sondern erst am 3.9.2012.
Rz. 13
cc) Zwar hat der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin entgegen § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG die Beschwerdeschrift beim unzuständigen Beschwerdegericht eingereicht und damit die versäumte Verfahrenshandlung nicht rechtzeitig nachgeholt (§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Die unterlassene Weiterleitung der Beschwerde an das zuständige AG verstößt jedoch gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und lässt daher die Kausalität der schuldhaften Pflichtverletzung für die Fristversäumung entfallen.
Rz. 14
(1) Wird in einer Familienstreitsache die Beschwerde anstatt bei dem gem. § 64 Abs. 1 FamFG für ihre Entgegennahme zuständigen AG beim Beschwerdegericht eingelegt, hat das angerufene Gericht die Beschwerdeschrift im ordentlichen Geschäftsgang an das AG weiterzuleiten, wenn ohne Weiteres die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts erkennbar und - damit regelmäßig - die Bestimmung des zuständigen Gerichts möglich ist (BGH v. 27.2.2013 - XII ZB 6/13, FamRZ 2013, 779 Rz. 11; v. 17.8.2011 - XII ZB 50/11, FamRZ 2011, 1649 Rz. 23 m.w.N.). Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Geht der Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das AG im ordentlichen Geschäftsgang ohne Weiteres erwartet werden kann, darf ein Verfahrensbeteiligter darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig dort eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, wirkt sich das Verschulden des Verfahrensbeteiligten oder seines Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (BGH v. 23.5.2012 - XII ZB 375/11, FamRZ 2012, 1205 Rz. 26 m.w.N.).
Rz. 15
Eine weitergehende Verpflichtung, etwa eine beschleunigte Weiterleitung an das zuständige Gericht oder eine Verpflichtung, den Beteiligten oder dessen Verfahrensbevollmächtigten durch Telefonat oder Telefax von der Einreichung des Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht zu unterrichten, ergibt sich von Verfassungs wegen jedoch nicht. Denn sonst würde dem Beteiligten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Schriftsätze vollständig abgenommen und dem nicht empfangszuständigen Gericht übertragen (BVerfG FamRZ 2001, 827; ständige Rechtsprechung, vgl. BGH v. 27.2.2013 - XII ZB 6/13, FamRZ 2013, 779 Rz. 12; v. 15.6.2011 - XII ZB 468/10, FamRZ 2011, 1389 Rz. 12; v. 17.8.2011 - XII ZB 50/11, FamRZ 2011, 1649 Rz. 22).
Rz. 16
Unterbleibt die gebotene Weiterleitung der Beschwerdeschrift an das AG, ist weitere Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung, dass die bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang verbleibende Zeit für die Fristwahrung ausreichend gewesen wäre (BGH v. 17.8.2011 - XII ZB 50/11, FamRZ 2011, 1649 Rz. 27). Dies hat grundsätzlich der die Wiedereinsetzung begehrende Beteiligte darzulegen und glaubhaft zu machen (vgl. BGH v. 23.5.2012 - XII ZB 375/11, FamRZ 2012, 1205 Rz. 29 m.w.N.).
Rz. 17
(2) Gemessen hieran war das Beschwerdegericht gehalten, die Beschwerdeschrift an das AG weiterzuleiten.
Rz. 18
Die Beschwerde ging zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag am 27.8.2012 beim Beschwerdegericht ein. In der angegriffenen Entscheidung ist ausgeführt, dass die Verfahrensakten bereits am Dienstag, dem 28.8.2012, von der Geschäftsstelle vorgelegt wurden. Da aus dem Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ersichtlich war, dass gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die Beschwerdeeinlegung nachgeholt werden sollte, wäre das Beschwerdegericht bereits an diesem Tag gehalten gewesen, die Beschwerdeschrift an das AG weiterzuleiten. Wäre das Beschwerdegericht dieser Verpflichtung nachgekommen, wäre zu erwarten gewesen, dass die Beschwerde im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs bis zum Ablauf der Frist der §§ 236 Abs. 2 Satz 2, 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO am Montag, dem 3.9.2012, noch beim AG eingegangen wäre, so dass sich das Verschulden der Bevollmächtigten der Antragstellerin im Ergebnis nicht auswirkt.
III.
Rz. 19
Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 2 und 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben. Soweit es die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anbelangt, kann der Senat selbst abschließend entscheiden (vgl. § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO), weil die hierfür erforderlichen Feststellungen getroffen sind und die Frage der Ursächlichkeit des Verschuldens lediglich auf einer rechtlichen Bewertung beruht.
Fundstellen
Haufe-Index 6471046 |
NJW 2014, 6 |
EBE/BGH 2014 |
FamRZ 2014, 550 |
FuR 2014, 293 |
NJW-RR 2014, 699 |
JurBüro 2014, 558 |
JZ 2014, 247 |
MDR 2014, 363 |
NJ 2014, 8 |
FF 2014, 129 |
FamRB 2014, 257 |