Leitsatz (amtlich)
a) Für die auch konkludent mögliche Hinzuziehung zu einem Betreuungsverfahren ist erforderlich, dass das Gericht dem Beteiligten eine Einflussnahme auf das laufende Verfahren ermöglichen will und dies zum Ausdruck bringt (im Anschluss an BGH v. 17.6.2020 - XII ZB 574/19 FamRZ 2020, 1590; v. 27.3.2019 - XII ZB 417/18 FamRZ 2019, 1091).
b) Allein die Bekanntgabe der erstinstanzlichen Entscheidung bewirkt noch keine Beteiligung i.S.d. §§ 7, 274, 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 18.10.2017 - XII ZB 213/16, FamRZ 2018, 197).
Normenkette
FamFG §§ 7, 274 Abs. 4 Nr. 1, § 303 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 4
Verfahrensgang
LG Hamburg (Beschluss vom 19.03.2019; Aktenzeichen 301 T 76/19) |
AG Hamburg (Beschluss vom 10.01.2019; Aktenzeichen 109 XVII 134/18) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Hamburg vom 19.3.2019 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die 87-jährige Betroffene errichtete im Februar 2017 für einen ihrer beiden Söhne, den Beteiligten zu 2), eine notarielle Vorsorgevollmacht. Diese widerrief sie im November 2017 und erteilte stattdessen ihrem anderen Sohn, dem Beteiligten zu 1), und ihrem getrennt lebenden Ehemann eine notarielle Vorsorgevollmacht mit Einzelvertretungsbefugnis. Im Zuge eines von der Betroffenen gegen den Beteiligten zu 2) geführten Rechtsstreits regte das hiermit befasste LG beim AG an, die Notwendigkeit der Einrichtung einer Betreuung zu prüfen.
Rz. 2
Im darauf eingeleiteten Betreuungsverfahren hat der Beteiligte zu 2) schriftlich Stellung genommen und die Einrichtung einer Betreuung befürwortet, wobei er die Wirksamkeit der im November 2017 errichteten Vollmacht und des Vollmachtwiderrufs bestritten, die ihm zuvor erteilte Vollmacht hingegen als wirksam bezeichnet hat. Zugleich hat er seine Beteiligung am Betreuungsverfahren und die Gewährung von Akteneinsicht beantragt. Das AG hat ihm mitgeteilt, hierüber erst nach Rückkehr der Akten vom beauftragten Sachverständigen zu entscheiden. Nach Vorlage des Gutachtens und Anhörung der Betroffenen hat es sodann die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt, ohne über eine Beteiligung ausdrücklich zu befinden. Das LG hat die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde des Beteiligten zu 2) verworfen. Hiergegen richtet sich dessen Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 2) folgt für das Verfahren der Rechtsbeschwerde bereits daraus, dass seine Erstbeschwerde verworfen worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 8.1.2020 - XII ZB 410/19 FamRZ 2020, 631 Rz. 4 m.w.N.). Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet, weil das LG die Erstbeschwerde gegen den Beschluss des AG zu Recht verworfen hat.
Rz. 4
1. Nach Auffassung des LG ist die Beschwerde des Beteiligten zu 2) mangels Beschwerdebefugnis unzulässig. Zwar gehöre dieser als Sohn der Betroffenen dem gem. § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG privilegierten Personenkreis an. Er sei jedoch im ersten Rechtszug nicht - auch nicht konkludent - hinzugezogen worden. Das AG habe lediglich angekündigt, über seine Anträge auf Beteiligung und Akteneinsicht zu entscheiden. Eine Beteiligung folge weder daraus, dass das AG seine schriftlichen Äußerungen an den Sachverständigen weitergeleitet habe, noch aus seiner Anregung der Einrichtung einer Betreuung oder aus dem Umstand, dass ihm der angegriffene Beschluss bekanntgegeben wurde.
Rz. 5
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand. Zutreffend hat das LG eine Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 2) verneint.
Rz. 6
a) Der Beteiligte zu 2) war mangels erfolgter Beteiligung im ersten Rechtszug nach §§ 7 Abs. 3, 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht als Abkömmling der Betroffenen gem. § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG beschwerdeberechtigt.
Rz. 7
aa) Das Recht der Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung steht nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG im Interesse des Betroffenen u.a. dessen Abkömmlingen unter der Voraussetzung zu, dass sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind. Fehlt es an einer erstinstanzlichen Beteiligung des Angehörigen, ist ein Beschwerderecht unabhängig davon zu verneinen, aus welchen Gründen die Beteiligung unterblieben ist. Die Hinzuziehung eines Beteiligten kann allerdings auch konkludent erfolgen, etwa durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen. Andererseits genügt die bloße Bekanntgabe der die Instanz abschließenden Entscheidung nicht für eine Beteiligung i.S.d. § 7 Abs. 3 FamFG. Denn eine Beteiligung setzt notwendigerweise die Möglichkeit voraus, dass die beteiligte Person auf das Verfahren in derselben Instanz Einfluss nehmen kann. Hierbei kommt es darauf an, ob das Gericht dem Beteiligten eine solche Einflussnahme ermöglichen will und dies zumindest konkludent zum Ausdruck bringt (BGH v. 17.6.2020 - XII ZB 574/19 FamRZ 2020, 1590 Rz. 11 ff. m.w.N.; v. 27.3.2019 - XII ZB 417/18 FamRZ 2019, 1091 Rz. 6 ff. m.w.N.).
Rz. 8
bb) Nach diesem Maßstab ist der Beteiligte zu 2) im ersten Rechtszug nicht beteiligt worden. Weder hat ihn das AG auf seinen Antrag in ausdrücklicher Form beteiligt, noch hat es ihn nach den aufgeführten Grundsätzen konkludent hinzugezogen.
Rz. 9
(1) Eine solche Hinzuziehung liegt nicht darin, dass das AG seine Endentscheidung auch dem Beteiligten zu 2) mittels einer Abschlussverfügung bekanntgegeben hat, in der dieser als "sonstiger Beteiligter" bezeichnet ist. Denn zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der die Instanz abschließenden Entscheidung ist ein Einfluss auf das Verfahren derselben Instanz nicht mehr möglich (vgl. BGH, Beschl. v. 18.10.2017 - XII ZB 213/16, FamRZ 2018, 197 Rz. 11 m.w.N.).
Rz. 10
(2) Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde darauf, dass der Beteiligte zu 2) in mehreren Schreiben an das AG die Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene angeregt und zum Verfahren inhaltlich Stellung genommen hat, worauf das AG diese Schreiben ohne erläuternde Bemerkung dem beauftragten Sachverständigen zugesandt hat. Wie der Senat bereits entschieden hat, führt allein der Wunsch, sich auch inhaltlich am Verfahren zu beteiligen, nicht zu einer Beteiligung i.S.d. § 7 FamFG. Selbst eine (inhaltliche) Anregung, für einen Dritten eine Betreuung einzurichten, begründet für sich gesehen keine Beteiligtenstellung des Anregenden (BGH, Beschl. v. 27.3.2019 - XII ZB 417/18 FamRZ 2019, 1091 Rz. 15 m.w.N.). Es genügt nicht, wenn dessen Tätigkeit - wie im vorliegenden Fall - lediglich auf seine Eigeninitiative, nicht aber auf einen nach außen hervorgetretenen Hinzuziehungswillen des Gerichts zurückgeht. Fehlt es hieran, lässt allein der Umstand, dass das Gericht neben dem weiteren Akteninhalt die Schreiben des Anregenden dem Sachverständigen zuleitet, für sich betrachtet ebenfalls nicht auf einen Willen des Gerichts schließen, ihm eine Einflussnahme auf das Verfahren zu ermöglichen. Gegen eine konkludente Beteiligung am Verfahren spricht vielmehr, dass das AG sich eine Entscheidung darüber zunächst ausdrücklich vorbehalten hat.
Rz. 11
(3) Weitere Anhaltspunkte, die auf eine Hinzuziehung des Beteiligten zu 2) zum Verfahren hindeuten könnten, werden von der Rechtsbeschwerde nicht dargelegt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Das AG hat ihm weder das eingeholte psychiatrische Gutachten noch die Berichte der Betreuungsbehörde oder andere Schriftstücke aus dem Verfahren zur Kenntnis- oder Stellungnahme zukommen lassen. Auch hat es ihn zu keinem der beiden Anhörungstermine geladen, ihn hiervon benachrichtigt oder ihn sonst in irgendeiner Form hinzugezogen, bevor es den angefochtenen Beschluss erlassen hat.
Rz. 12
b) Eine Beschwerdeberechtigung des Beteiligten zu 2) folgt auch nicht aus dem Umstand, dass das AG entgegen der Vorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 1 FamFG über den Antrag des Beteiligten zu 2) auf Hinzuziehung nicht ausdrücklich entschieden hat.
Rz. 13
Es kann hier dahinstehen, ob in einer Sachentscheidung des Gerichts zugleich die konkludente Ablehnung eines bis dahin rechtzeitig gestellten, aber noch nicht beschiedenen Beteiligungsantrags zu sehen ist (dafür Prütting/Helms/Fröschle FamFG 5. Aufl., § 303 Rz. 20a m.w.N.). Denn der Angehörige würde die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 FamFG gegen die betreuungsrechtliche Entscheidung ohnehin erst erhalten, wenn mit dem gegen die Ablehnung vorgesehenen Rechtsmittel die Verfahrensbeteiligung erreicht ist (BGH, Beschl. v. 30.3.2011 - XII ZB 692/10 FamRZ 2011, 966 Rz. 9). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben.
Rz. 14
Von der Möglichkeit nach § 303 Abs. 4 FamFG (vgl. BGH v. 21.8.2019 - XII ZB 156/19 FamRZ 2019, 1890 Rz. 11 m.w.N.; v. 25.4.2018 - XII ZB 282/17 FamRZ 2018, 1251 Rz. 21) hat der Beteiligte zu 2) keinen Gebrauch gemacht.
Rz. 15
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen
Haufe-Index 14467403 |
NJW 2021, 8 |
FuR 2021, 3 |
FuR 2021, 493 |
NJW-RR 2021, 937 |
ZAP 2021, 637 |
BtPrax 2021, 158 |
JZ 2021, 349 |
MDR 2021, 1026 |
MDR 2021, 171 |
FF 2021, 263 |
FamRB 2021, 5 |
NZFam 2021, 571 |