Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 18. Juli 2001 aufgehoben.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung des Kaufpreises für gelieferte Fußbodenauslegeware und weitere Gegenstände. Das Landgericht Berlin hat der Klage durch Urteil vom 19. Januar 2001 stattgegeben. Der damalige Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat gegen das ihm am 2. Februar 2001 zugestellte Urteil am 1. März 2001 Berufung eingelegt. Nachdem auf seinen Antrag die Berufungsbegründungsfrist bis zum 2. Mai 2001 verlängert worden war, hat er mit Schriftsatz vom 27. April 2001, bei Gericht eingegangen am 28. April 2001 zwischen 8.00 Uhr und 12.00 Uhr, die Berufung begründet. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 27. April 2001, bei Gericht ebenfalls eingegangen am 28. April 2001 zwischen 8.00 Uhr und 12.00 Uhr, hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten angezeigt, daß er die Beklagte „nicht mehr vertrete”. Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2001 haben die jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten mitgeteilt, daß sie die Beklagte „weitervertreten”.
Mit Beschluß vom 18. Juli 2001 hat das Kammergericht die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Es ist der Meinung, die Berufung sei nicht innerhalb eines Monats nach deren Einlegung durch einen bei dem Berufungsgericht einzureichenden Schriftsatz begründet worden. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe zwar mit Schriftsatz vom 27. April „namens der Beklagten” eine Berufungsbegründung eingereicht. Er habe aber in dem zweiten Schriftsatz unter demselben Datum erklärt, daß er die Beklagte „nicht mehr vertrete”. Beide Schriftsätze seien am 28. April 2001, 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr, bei dem Berufungsgericht eingegangen und gleichzeitig vorgelegt worden. Zusammengenommen ergäben sie die Erklärung, daß der Prozeßbevollmächtigte namens der Beklagten, die er nicht mehr vertrete, eine Berufungsbegründung vorlege. Wenn dergestalt widersprüchliche Erklärungen gleichzeitig eingingen, könnten sie grundsätzlich keine Rechtswirkung entfalten.
Gegen diesen Beschluß wendet sich die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Die gemäß §§ 519b Abs. 2, 547, 569 Abs. 1, 577 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Berufung der Beklagten müsse wegen fehlender Berufungsbegründung als unzulässig verworfen werden, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Nach der Überzeugung des Senats, der die Auslegung und rechtliche Würdigung der prozessualen Erklärungen der Parteien frei überprüfen kann, sind die von dem damaligen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten eingereichten Schriftsätze dahin zu verstehen, daß dieser bei der Begründung der Berufung in Ausübung seines Mandats handeln wollte, sei es, daß erst nach Anfertigung der Berufungsbegründung das seiner Prozeßvollmacht zugrundeliegende Mandat gekündigt war, sei es, daß er nach Unterrichtung des Gerichts über die Mandatskündigung dieses wieder aufnehmen wollte. Zugunsten der Prozeßparteien ist stets davon auszugehen, daß sie im Zweifel mit ihren Prozeßhandlungen das bezwecken wollen, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und was der recht verstandenen Interessenlage der Prozeßpartei entspricht (BGH, Beschluß vom 22. Mai 1995 – II ZB 2/95, NJW-RR 1995, 1183 unter 2; Senat, Urteil vom 17. Mai 2000 – VIII ZR 210/99, WM 2000, 1512 unter II 1). Der frühere Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat im Eingang seiner Berufungsbegründung sogar ausdrücklich erklärt, „namens der Beklagten und Berufungsklägerin” zu handeln.
Das Berufungsgericht verkennt außerdem, daß die Nichtaufklärbarkeit gerichtsinterner Umstände – hier die Reihenfolge des Eingangs der beiden Schriftsätze vom 27. April 2001 – nicht zu Lasten des Rechtsmittelklägers gehen darf. Solange nicht mit Sicherheit feststeht, daß eine Partei nach den Prozeßordnungsvorschriften das Recht zur Anrufung des Rechtsmittelgerichts verloren hat, gehen Zweifel nicht zu ihren Lasten. Es bleibt vielmehr bei der Zulässigkeit des Rechtsmittels (BGH, Urteil vom 15. Februar 1990 – IX ZR 149/88, NJW 1990, 2687 unter I 2).
Schließlich berücksichtigt das Berufungsgericht nicht, daß der damalige Prozeßbevollmächtigte der Beklagten, selbst wenn das seiner Prozeßvollmacht zugrundeliegende Mandat gekündigt war, gegenüber dem Gegner und dem Gericht noch solange rechtswirksam Prozeßhandlungen für die Beklagte vornehmen konnte, bis sich ein neuer Prozeßbevollmächtigter bestellte, § 87 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1989 – IVb ZB 106/89, VersR 1990, 328 unter II 1). Der Schriftsatz mit der Berufungsbegründung ging am 28. April 2001 bei Gericht ein. Der Schriftsatz, mit dem Rechtsanwältin W. ihre neue Bestellung anzeigte, ging erst danach bei Gericht ein. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten konnte deshalb ungeachtet einer Mandatskündigung die Berufung der Beklagten mit Schriftsatz vom 27. April 2001 wirksam begründen und zugleich die Beendigung des Mandats anzeigen.
III. Da die Berufung nicht nach § 519 Abs. 1 ZPO unzulässig war, ist der Verwerfungsbeschluß des Kammergerichts vom 18. Juli 2001 aufzuheben. Das Berufungsgericht hat nunmehr sachlich über die Berufung zu entscheiden.
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Hübsch, Dr. Leimert, Wiechers, Dr. Wolst
Fundstellen
Haufe-Index 651640 |
BGHR 2002, 125 |
NJOZ 2002, 909 |