Für die Fristwahrung ist ausschließlich Eingang bei Gericht entscheidend
Bereits mehrfach hat der BGH sich in der Vergangenheit mit Fällen befasst, in denen Gerichte Berufungen wegen Fristversäumnis als unzulässig verworfen haben, weil der Berufungsschriftsatz oder die Berufungsbegründung nicht rechtzeitig zur Gerichtsakte gelangt ist, obwohl der betreffende Schriftsatz nachweislich rechtzeitig bei Gericht eingegangen war.
Frist ist mit rechtzeitigem Eingang bei Gericht gewahrt
In einer aktuellen Entscheidung hat der BGH erneut klargestellt, dass es für die Rechtzeitigkeit des Eingangs einer Berufungsbegründungsschrift ausschließlich darauf ankommt, dass der betreffende Schriftsatz vor Ablauf der Frist an das zur Entscheidung berufene Gericht gelangt ist. Im entschiedenen Fall hatte das Berufungsgericht eine am letzten Tag der verlängerten Berufungsbegründungsfrist bei Gericht eingegangene, von dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten über das beA ordnungsgemäß eingereichte Berufungsbegründungsschrift, nicht zur Kenntnis genommen.
Berufungsbegründungsschrift nicht zur Gerichtsakte gelangt
Am Tag der Entscheidung über die Berufung hatte sich die Berufungsbegründungsschrift nicht in der Gerichtsakte befunden. Das Berufungsgericht verwarf daher die Berufung als unzulässig. Hiergegen wandte sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde und verwies zur Begründung auf den elektronischen Prüfvermerk, der den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründungsschrift beim Berufungsgericht bestätigte.
Anspruch auf Berücksichtigung rechtzeitig eingegangener Schriftsätze
Vor diesem Hintergrund gab der BGH der Rechtsbeschwerde des Beklagten statt. Der angefochtene Verwerfungsbeschluss beruhe auf einem Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Ein solcher Verstoß liege immer dann vor, wenn das Gericht einen ordnungsgemäß bei Gericht eingegangenen Schriftsatz nicht berücksichtigt.
Gericht ist für die Einhaltung des rechtlichen Gehörs verantwortlich
Das angerufene Gericht - nicht nur der zur Entscheidung berufene Spruchkörper - sei insgesamt für die Einhaltung des rechtlichen Gehörs verantwortlich. Deshalb könnten gerichtsinterne, fehlerhafte Abläufe grundsätzlich nicht zulasten einer Prozesspartei gehen (BGH, Beschluss v. 19.5.2022, V ZB 66/21). Darauf, ob der Schriftsatz dem Richter nach Eingang bei Gericht nur nicht vorgelegt wurde oder er nicht zur Verfahrensakte gelangt ist, komme es nicht an (BGH Beschluss v. 4.7.2018, XII ZB 240/17). Dass das elektronische Dokument, das die Berufungsbegründung enthielt - vermutlich infolge eines gerichtsinternen Versehens - erst einen Monat später zur Gerichtsakte gelangt war, ist für die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsbegründung nach der Entscheidung des BGH ohne Bedeutung.
Berufungsbegründungsfrist war gewahrt
Im Ergebnis hatte der Beklagte nach der Entscheidung des Senats damit die Berufungsbegründungsfrist gewahrt, da der Berufungsbegründungsschriftsatz innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen war.
Verwerfungsbeschluss aufgehoben
Da die Verwerfung der Berufungsbegründung auf einem Gehörsverstoß beruhte, hat der BGH die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Zulässigkeit und gegebenenfalls Begründetheit der Berufung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
(BGH, Beschluss v. 8.11.2023, VIII ZB 59/23)
Hintergrund:
Die Entscheidung des BGH entspricht seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach technische Probleme in der Sphäre des Gerichts grundsätzlich nicht den Prozessparteien angelastet werden können. So konnte in einem vom BGH entschiedenen Fall ein Dokument wegen darin verwendeter Sonderzeichen von gerichtsinternen Intermediär-Server nicht heruntergeladen werden. Deshalb war der rechtzeitig bei Gericht eingegangene, fristwahrende Schriftsatz weder vom Client-Rechner des Berufungsgerichts abgeholt noch ausgedruckt worden. Auch diesen Umstand hat der BGH allein der internen Gerichtssphäre zugerechnet und den Eingang des Schriftsatzes als rechtzeitig bewertet (BGH, Beschluss v. 28.5.2020, I ZR 214/19). An der Rechtzeitigkeit ändert es nach der Rechtsprechung des BGH auch nichts, wenn die betroffene Prozesspartei sich Zeit lässt und erst nach Ablauf einiger Wochen hierauf hinweist (BGH, Beschluss v. 25.8.2020, VI ZB 79/19).
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