Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses
Leitsatz (amtlich)
Hat das ArbG mit der Begründung, mit der Klage würden in die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts fallende Einwendungen nach § 89 Abs. 2 InsO geltend gemacht, die Vollstreckungsgegenklage fehlerhaft an das AG verwiesen, so ist die unanfechtbar gewordene Verweisung hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts wird hierdurch jedoch nicht begründet.
Normenkette
GVG § 17a Abs. 2; InsO § 89 Abs. 2-3
Verfahrensgang
AG Reinbek (Beschluss vom 25.03.2011; Aktenzeichen 8 IN 142/10) |
ArbG Hamburg |
Tenor
Zuständiges Gericht ist das AG Reinbek.
Gründe
Rz. 1
I. Die Beklagte hat gegen den Insolvenzschuldner Jacek G. eine durch Vollstreckungsbescheid rechtskräftig titulierte Forderung. Auf der Grundlage dieses Titels wurden mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG Reinbek die gesamten gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche des Schuldners gegen den Kläger, seinen Arbeitgeber, gepfändet. Der Kläger verweigerte die Zahlung. Daraufhin erhob die Beklagte Klage beim ArbG Hamburg, das den Kläger zur Zahlung verurteilte. Die dagegen gerichtete Berufung wurde zurückgewiesen.
Rz. 2
Der Kläger hat daraufhin vor dem ArbG Hamburg Vollstreckungsgegenklage erhoben, mit der er inhaltlich Einwände gem. § 89 InsO geltend macht. Das ArbG hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit durch unangefochten gebliebenen Beschluss an das AG Hamburg verwiesen. Dieses hat sich für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das AG Reinbek verwiesen, bei dem das Insolvenzverfahren anhängig ist. Das AG Reinbek - Insolvenzgericht - hält sich für sachlich unzuständig und hat das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem BGH zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Es vertritt den Standpunkt, der rechtskräftige Verweisungsbeschluss des ArbG Hamburg entfalte ausnahmsweise keine Bindungswirkung. Er stelle eine krasse Rechtsverletzung dar. Eine Entscheidung des Insolvenzgerichts als Zwangsvollstreckungsgericht über die Vollstreckungsgegenklage müsste gem. § 18 RPflG zum einen durch den Rechtspfleger erfolgen. Zum anderen sei verfahrensrechtlich eine Entscheidung nur durch Beschluss möglich. Vollstreckungsgegenklagen seien hingegen von einem Richter in Urteilsform zu entscheiden.
Rz. 3
II. Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts ist zulässig.
Rz. 4
1. Der BGH ist für die Entscheidung zuständig. Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (BGH, Beschl. v. 26.7.2001 - X ARZ 69/01, NJW 2001, 3631, 3632; Beschl. v. 30.7.2009 - Xa ARZ 167/09, NJW-RR 2010, 209 Rz. 6).
Rz. 5
2. Der Antrag ist statthaft.
Rz. 6
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige entsprechend anwendbar (BGH, a.a.O.).
Rz. 7
Ein nach § 17a Abs. 2 GVG ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Wenn sich das Gericht, an das die Sache verwiesen wurde, jedoch an den Verweisungsbeschluss nicht für gebunden hält, kommt eine Zuständigkeitsbestimmung analog § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO grundsätzlich in Betracht.
Rz. 8
III. Als zuständiges Gericht ist das AG Reinbek zu bestimmen.
Rz. 9
1. Die Zuständigkeit des AG Reinbek ergibt sich aus der Bindungswirkung des Beschlusses des ArbG Hamburg gem. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG. Die Voraussetzungen, unter denen ein Verweisungsbeschluss, der nicht mit dem zulässigen Rechtsmittel angefochten worden ist, ausnahmsweise nicht bindend wirkt, liegen nicht vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung der Rechtswegverweisung allenfalls bei "extremen Verstößen" denkbar (BGH, Beschl. v. 13.11.2001 - X ARZ 266/01, NJW-RR 2002, 713; Beschl. v. 8.7.2003 - X ARZ 138/03, NJW 2003, 2990, 2991), etwa wenn sich die Verweisungsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist, d.h. wenn sie unverständlich und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 29, 45, 49; BGH, Beschl. v. 24.2.2000 - III ZB 33/99, BGHZ 144, 21, 25; Beschl. v. 5.10.1982 - X ZB 4/82, BGHZ 85, 116, 118 f.; BAG, Beschluss vom 9.2.2006, 5 AS 1/06, NJW 2006, 1371).
Rz. 10
Das ArbG hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass mit der Klage Einwendungen gem. § 89 InsO geltend gemacht werden. Dies trifft zu. Ob die Vollstreckungsgegenklage hierfür die richtige Klageart ist oder wie die Einwendungen ansonsten geltend gemacht werden können, ist zwar, wie das AG Reinbek insoweit zutreffend gesehen hat, für die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts unmaßgeblich. Die Entscheidung des ArbG Hamburg ist indessen nicht schlechthin unhaltbar oder gar willkürlich. Denn die Begründung der Vollstreckungsgegenklage ist auf insolvenzrechtliche Einwendungen gestützt, über die die Zivilgerichte zu entscheiden haben. Ob die Begründung, die das ArbG seiner Entscheidung beigegeben hat, inhaltlich richtig ist, ist nicht zu entscheiden. Die Erwägungen des ArbG können jedenfalls nicht als völlig sachfremd oder gar willkürlich angesehen werden mit der Folge, dass die Rechtswegverweisung trotz der inzwischen eingetretenen Unanfechtbarkeit als unwirksam anzusehen wäre.
Rz. 11
Die Unhaltbarkeit der Entscheidung des ArbG ergibt sich auch nicht daraus, dass über die Vollstreckungsgegenklage der Richter durch Urteil zu entscheiden hat, während die Entscheidung über Einwendungen nach § 89 InsO dem Rechtspfleger übertragen ist und durch Beschluss erfolgt. Denn da die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts für die Vollstreckungsgegenklage nicht begründet ist, hat das AG über diese durch eine Zivilabteilung zu entscheiden. Das ArbG hat bindend nur über den Rechtsweg entschieden (§ 17a Abs. 2 Satz 3 GVG) und den Rechtsstreit an das AG Hamburg verwiesen. Eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts wird hierdurch nicht begründet.
Fundstellen
Haufe-Index 2707781 |
DB 2011, 7 |
EBE/BGH 2011 |
NJW-RR 2011, 1497 |
FA 2011, 242 |
WM 2011, 1281 |
ZIP 2011, 1283 |
ZIP 2011, 5 |
EzA-SD 2011, 15 |
EzA 2011 |
MDR 2011, 1134 |
NZI 2011, 552 |
ZInsO 2011, 1223 |
FMP 2011, 129 |