Leitsatz (amtlich)
a) Ein Rechtsanwalt muss allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Ist er als Einzelanwalt ohne eigenes Personal tätig, muss er ihm zumutbare Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall, z.B. durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen treffen. Durch konkrete Maßnahmen im Einzelfall muss sich der Rechtsanwalt allerdings nur dann vorbereiten, wenn er einen solchen konkreten Ausfall vorhersehen kann.
b) Ein Rechtsanwalt muss, wenn er unvorhergesehen erkrankt, nur das, aber auch alles zur Fristwahrung unternehmen, was ihm dann möglich und zumutbar ist. Die fristwahrenden Maßnahmen eines unvorhergesehen erkrankten Einzelanwalts ohne eigenes Personal können sich darin erschöpfen, die Vertretung, für die er zuvor im Rahmen der ihm obliegenden allgemeinen Vorkehrungen für Verhinderungsfälle Vorsorge zu treffen hatte, zu kontaktieren und um die Beantragung einer Fristverlängerung zu bitten. Für die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags ist deshalb die Darlegung und Glaubhaftmachung notwendig, dass aufgrund der Erkrankung selbst diese Maßnahme nicht möglich oder zumutbar war bzw. - bei pflichtgemäßem Treffen der allgemeinen Vorkehrungen - gewesen wäre.
Normenkette
ZPO §§ 233, 236
Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 09.10.2018; Aktenzeichen 7 U 138/18) |
LG Berlin (Urteil vom 18.06.2018; Aktenzeichen 6 O 116/17) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats des KG vom 9.10.2018 wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.
Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 20.278 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen Eigentumsverletzung in Anspruch. Das LG hat der Klage stattgegeben. Gegen das am 23.7.2018 zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten rechtzeitig Berufung eingelegt. Diese hat er mit am 25.9.2018 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begründet und zugleich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei am Montag, 24.9.2018, dienstunfähig erkrankt gewesen, und dies anwaltlich versichert. Nach gerichtlichem Hinweis hat er dies unter anwaltlicher Versicherung dahingehend konkretisiert, dass er am 24.9.2018 unvorhergesehen mit hohem Fieber ans Bett gefesselt gewesen sei. Vorkehrungen für diesen seit 20 Jahren erstmals eingetretenen Fall seien nicht getroffen worden, zumal solche in einer Einzelkanzlei nicht möglich seien. Die wirksame Beauftragung eines Vertreters habe aufgrund seiner gesundheitlichen Lage ebenso wenig erfolgen können wie die Beantragung einer Fristverlängerung; gesundheitsbedingt sei "gar nichts mehr möglich" gewesen. Am 25.9.2018 habe er einen Arzt aufsuchen können, am Abend desselben Tages sei er wieder körperlich in der Lage gewesen, in die Kanzlei zu gehen, den Wiedereinsetzungsantrag zu stellen und die versäumte Prozesshandlung nachzuholen. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat ein ärztliches Attest nachgereicht, das ihn vom 24. bis einschließlich 28.9.2018 für nicht arbeitsfähig erklärt.
Rz. 2
Mit Beschluss vom 9.10.2018 hat das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe schon nicht ausreichend dargelegt, dass ihm die Einschaltung eines Vertreters oder die Beantragung einer Fristverlängerung nicht möglich gewesen sei. Die bloße Behauptung, mit Fieber an das Bett gefesselt gewesen und zu keinerlei Tätigkeit in der Lage gewesen zu sein, reiche hierfür nicht aus. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, inwiefern der Prozessbevollmächtigte des Beklagten durch seine Krankheit daran gehindert gewesen sei, einen Vertreter zu erreichen, der für ihn einen Fristverlängerungsantrag habe stellen können. Es gehöre zu den Sorgfaltspflichten eines Einzelanwalts, für unvorhergesehene Verhinderungen zumindest die Vorkehrung zu treffen, entweder selbst oder ggf. über eine angestellte Bürokraft einen Kollegen erreichen zu können, der sich zu einer Vertretung bereit erkläre. Hierzu gehöre das Vorhalten von entsprechenden Telekommunikationsmitteln und Kontaktinformationen. Dass dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten auch bei Beachtung dieser Vorkehrungen am 24.9.2018 keinerlei Kommunikation möglich gewesen sei, sei mit Fieber und Bettlägerigkeit nicht ausreichend erklärt. Darüber hinaus habe der Prozessbevollmächtigte des Beklagten auch nicht glaubhaft gemacht, in einem Maße erkrankt gewesen zu sein, dass ihm überhaupt kein Tätigwerden möglich gewesen sei. Das vorgelegte Attest bescheinige lediglich eine Arbeitsunfähigkeit; daraus könne die Art der Erkrankung nicht beurteilt werden.
Rz. 3
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich; insb. verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG NJW 2003, 281 m.w.N.).
Rz. 5
1. Das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gebietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren (st.Rspr., s. nur BGH v. 10.4.2018 - VI ZB 44/16, VersR 2018, 1085 Rz. 5 m.w.N.).
Rz. 6
2. Davon ausgehend ist die Begründung, mit der das Berufungsgericht dem Beklagten die form- und fristgerecht beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt hat, rechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 7
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH muss ein Rechtsanwalt allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Er muss seinem Personal die notwendigen allgemeinen Anweisungen für einen solchen Fall geben. Ist er als Einzelanwalt ohne eigenes Personal tätig, muss er ihm zumutbare Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall, z.B. durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen treffen (BGH v. 10.4.2018 - VI ZB 44/16, VersR 2018, 1085 Rz. 7; vom 24.4.2018 - VI ZB 48/17, VersR 2018, 1212 Rz. 9; v. 6.3.1990 - VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026; BGH, Beschl. v. 26.9.2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rz. 7; v. 18.9.2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rz. 9). Durch konkrete Maßnahmen im Einzelfall muss sich der Rechtsanwalt allerdings nur dann vorbereiten, wenn er einen solchen konkreten Ausfall vorhersehen kann (BGH, Beschl. v. 26.9.2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rz. 7; v. 18.9.2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rz. 9; jeweils m.w.N.).
Rz. 8
b) Dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zum Wiedereinsetzungsgesuch lässt sich nicht entnehmen, dass er allgemeine Vorkehrungen für einen unvorhergesehenen Verhinderungsfall getroffen hätte. Vielmehr hat er sich darauf berufen, dass Vorkehrungen in einer Einzelkanzlei nicht möglich seien. Aus der Rechtsbeschwerdebegründung ergibt sich zudem die rechtsirrige Auffassung der beklagten Partei, ihr Prozessbevollmächtigter habe für unvorhergesehene Krankheitsfälle, anders als das Berufungsgericht meine, allgemeine Vorkehrungen nicht treffen müssen. Soweit sich die Rechtsbeschwerde hierzu auf den Beschluss des BGH v. 22.10.2014 - XII ZB 257/14 (NJW 2015, 171 Rz. 18) beruft, verneint dieser lediglich die Pflicht zur Bestellung eines Vertreters als konkrete Vorsorgemaßnahme für einen krankheitsbedingten Ausfall. Die Pflicht, allgemeine Vorkehrungen für den Krankheitsfall zu treffen, bleibt davon unberührt, was sich auch aus den Verweisungen in diesem Beschluss auf andere Entscheidungen, u.a. auf den Beschluss des BGH v. 18.9.2008 - V ZB 32/08 (NJW 2008, 3571 Rz. 9), ergibt. In dem von der Rechtsbeschwerde ebenfalls herangezogenen Beschluss des BGH v. 11.4.2017 - II ZB 5/16 (juris Rz. 16) heißt es zwar, der Rechtsanwalt sei grundsätzlich nicht gehalten, für den Fall einer unvorhergesehenen Erkrankung vorsorglich einen Vertreter zu bestellen, um Fristwahrungen zu ermöglichen. Selbst wenn damit, trotz der Bezugnahme auf den Beschl. v. 22.10.2014 - XII ZB 257/14, gemeint gewesen sein sollte, dass auch nicht im Rahmen der allgemeinen Vorkehrungen eine Vertretung organisiert werden müsse, wäre dies jedenfalls nicht tragend. Denn nach dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt praktizierte der dortige Prozessbevollmächtigte für den Fall seiner Verhinderung eine ständige Vertreterregelung mit einer Rechtsanwältin (juris Rz. 6), weshalb über die Frage zu entscheiden war, ob der Prozessbevollmächtigte nicht trotz seiner Krankheit in der Lage war, Kontakt zu dieser Rechtsanwältin aufzunehmen (juris Rz. 17 ff.).
Rz. 9
c) Das Versäumnis des Prozessbevollmächtigen des Beklagten, allgemeine Vorkehrungen für eine Vertretung im Krankheitsfall zu treffen, hat sich auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ausgewirkt (vgl. zu diesem Erfordernis BGH v. 6.3.1990 - VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026; BGH, Beschl. v. 26.9.2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rz. 9).
Rz. 10
aa) Ein Rechtsanwalt muss zwar, wenn er - wie hier - unvorhergesehen erkrankt, nur das, aber auch alles zur Fristwahrung unternehmen, was ihm dann möglich und zumutbar ist (BGH v. 10.4.2018 - VI ZB 44/16, VersR 2018, 1085 Rz. 7; v. 6.3.1990 - VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026; BGH, Beschl. v. 26.9.2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rz. 10; v. 18.9.2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rz. 9). Die Art und Schwere seiner Erkrankung kann ihn im Einzelfall außerstande setzen, noch irgendwelche fristwahrenden Maßnahmen zu ergreifen (vgl. BGH v. 6.3.1990 - VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026 für den Fall der Einlieferung des Rechtsanwalts durch den Notarzt in ein Krankenhaus und Verlegung auf die Intensivstation; BGH, Beschl. v. 18.9.2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rz. 12). Die fristwahrenden Maßnahmen eines unvorhergesehen erkrankten Einzelanwalts ohne eigenes Personal können sich aber darin erschöpfen, die Vertretung, für die er zuvor im Rahmen der ihm obliegenden allgemeinen Vorkehrungen für Verhinderungsfälle Vorsorge zu treffen hatte, zu kontaktieren und um die Beantragung einer Fristverlängerung zu bitten (vgl. BGH v. 24.4.2018 - VI ZB 48/17, VersR 2018, 1212 Rz. 9; v. 10.4.2018 - VI ZB 44/16, VersR 2018, 1085 Rz. 8; BGH, Beschl. v. 26.9.2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rz. 11). Für die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags ist deshalb die Darlegung und Glaubhaftmachung notwendig, dass aufgrund der Erkrankung selbst diese Maßnahme nicht möglich oder zumutbar war bzw. - bei pflichtgemäßem Treffen der allgemeinen Vorkehrungen - gewesen wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 26.9.2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rz. 11).
Rz. 11
bb) Gemessen daran reichen, wie vom Berufungsgericht zutreffend gesehen, die Darlegungen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags nicht aus. Danach litt der Prozessbevollmächtigte des Beklagten an hohem Fieber und war deshalb an das Bett gefesselt. Damit mag es ihm unmöglich gewesen sein, selbst einen Fristverlängerungsantrag zu stellen oder sich (erst jetzt) auf die Suche nach einem vertretungsbereiten Rechtsanwalt zu machen und diesen mit der Fristverlängerung zu beauftragen. Daraus ergibt sich indes nicht, dass er, hätte er bereits im Rahmen der zu treffenden allgemeinen Vorkehrungen Vorsorge für eine Vertretung getroffen und entsprechende Kontaktdaten bereitgehalten, nicht in der Lage gewesen wäre, den Vertreter zu benachrichtigen und diesen um die Beantragung einer Fristverlängerung zu bitten. Da es sich um die erste Fristverlängerung gehandelt hätte, hätte diese auch nicht aufwendig begründet werden müssen (vgl. BGH v. 20.2.2018 - VI ZB 47/17, VersR 2018, 1277 Rz. 8; BGH, Beschl. v. 26.9.2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rz. 11 m.w.N.). Dem steht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht die Behauptung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten entgegen, ihm sei gesundheitsbedingt "gar nichts mehr möglich" gewesen. Auch hohes Fieber führt gewöhnlich nicht zu absoluter Handlungsunfähigkeit. Es hätte daher nachvollziehbarer Darlegung dazu bedurft, dass es dem Prozessbevollmächtigten nicht einmal möglich und zumutbar gewesen wäre, mit einer Vertretung, hätte er für diese Vorsorge getroffen, zu kommunizieren.
Rz. 12
cc) Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den Vortrag des Prozessbevollmächtigten, es sei ihm "gar nichts mehr möglich" gewesen, nicht als durch das ärztliche Attest glaubhaft gemacht angesehen hat. Ein Attest, das lediglich Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, reicht zur Glaubhaftmachung völliger Handlungsunfähigkeit nicht aus (vgl. BGH, Beschl. v. 22.10.2014 - XII ZB 257/14, NJW 2015, 171 Rz. 21; v. 11.4.2017 - II ZB 5/16, juris Rz. 20 f.; BVerfG NJW-RR 2007, 1717, 1718).
Fundstellen
Haufe-Index 13111708 |
BB 2019, 1025 |
DB 2019, 1087 |
DB 2019, 16 |
DB 2019, 7 |
DStR 2019, 14 |
NJW 2019, 8 |
FamRZ 2019, 1157 |
NJW-RR 2019, 691 |
NVwZ 2019, 7 |
FA 2019, 147 |
IBR 2019, 526 |
ZAP 2019, 612 |
AnwBl 2019, 363 |
JZ 2019, 454 |
MDR 2019, 691 |
MDR 2019, 789 |
VersR 2019, 1037 |
ErbR 2019, 532 |
FF 2019, 263 |
NJW-Spezial 2019, 350 |
Mitt. 2019, 374 |