BGH: Vorsorge von Anwälten für den Krankheitsfall

Anwälte, die als Einzelkämpfer ohne Personal arbeiten, müssen geeignete Maßnahmen ergreifen, um Nachteile für ihre Mandantschaft bei plötzlicher Krankheit abzuwenden. Dazu gehören auch geeignete Vorkehrungen zur Fristwahrung.

Der BGH hat sich in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung differenziert mit den Vorsorgeanforderungen an Anwälte zur Abwendung von Nachteilen für ihre Mandanten im Fall einer plötzlichen Erkrankung auseinandergesetzt.

Erneute Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist verweigert

Im konkreten Fall war ein ohne weiteres Personal als Einzelkämpfer tätiger Rechtsanwalt 4 Tage vor Ablauf einer bereits einmal verlängerten Berufungsbegründungsfrist plötzlich an Covid erkrankt. Unter Hinweis auf seine Erkrankung beantragte er am selben Tag eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Das Berufungsgericht lehnte den Antrag ab. Noch innerhalb der Berufungsbegründungsfrist stellte der Anwalt erneut einen Fristverlängerungsantrag, dieses Mal unter Beifügung einer ärztlichen Bescheinigung. Auch diesen Antrag lehnte das Berufungsgericht ab.

Verspätete Berufungsbegründung mit Wiedereinsetzungsantrag

Nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist reichte der Anwalt die Berufungsbegründung ein und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das Gericht verwarf die Berufung als unzulässig und wies den Antrag auf Wiedereinsetzung ab. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hätte der Anwalt zum Zeitpunkt seiner Erkrankung 4 Tage vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist noch einen Vertreter mit der Anfertigung der Berufungsbegründung beauftragen müssen. Zum zweiten hätte er die Bevollmächtigte der Gegnerin um Zustimmung zur beantragten Fristverlängerung bitten können. Mit Zustimmung der Gegnerin wäre die Fristverlängerung gewährt worden.

Einzelanwälte müssen Vorkehrungen für den Krankheitsfall treffen

Der gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts eingelegten Rechtsbeschwerde blieb der Erfolg beim BGH versagt. Allerdings teilte der BGH die Ansicht des Berufungsgerichts zur Sorgfaltspflicht des Anwalts nur teilweise. Der Senat setzte sich ausführlich mit der Frage auseinander, welche allgemeinen Vorkehrungen ein Rechtsanwalt zur Wahrung von Fristen in seiner Kanzlei treffen muss. Hiernach muss ein Einzelanwalt u. a. durch Absprache mit einem zur Vertretung bereiten Kollegen grundsätzlich geeignete Vorkehrungen treffen, dass im Fall einer plötzlichen Erkrankung keine Nachteile für die Mandantschaft entstehen (BGH, Beschluss v. 28.5.2020, IX ZB VIII/18).

Berufungsbegründung durch Vertreter bedarf einer sorgfältigen Einarbeitung

Der BGH betonte aber darüber hinaus, dass einem Mandanten auch durch die Vertretung seitens eines mit dem Mandat bisher nicht vertrauten Kollegen keine Rechtsnachteile entstehen dürfen. Eine Rechtsmittelbegründung bedürfe immer einer sorgfältigen Bearbeitung, d. h. ein Vertreter des mandatierten Anwalts müsse hinreichende Gelegenheit haben, sich sorgfältig in den Sach- und Streitstand einzuarbeiten. Dies könne kritisch sein, wenn nur noch wenige Tage zur Anfertigung einer Berufungsbegründung zur Verfügung stünden.

Angemessenes Zeitfenster für Berufungsbegründung

Nach Auffassung des BGH lässt sich das Zeitfenster, das zur Anfertigung einer Berufungsbegründung erforderlich ist, nicht pauschal festlegen. Wenige Tage genügen zur Anfertigung einer sorgfältigen Berufungsbegründung nach der Entscheidung des BGH aber nur in einfach gelagerten Fällen. Angesichts diverser Klage- und Widerklageanträge und eines insgesamt komplexen Streitgegenstandes reichten im konkreten Fall die zur Verfügung stehenden 2 Arbeitstage plus 2 Wochenendtage zur Anfertigung einer angemessenen Berufungsbegründung nicht aus (BGH, Beschluss v. 8.8.2019, VII ZB 35/17). Der BGH folgte also nicht der Auffassung des Berufungsgerichts, die Berufungsbegründung hätte im konkreten Fall durch einen Vertreter eingereicht werden müssen.

Anwalt hätte Einwilligung der Gegenseite einholen müssen

Nach Auffassung des BGH hatte die Vorinstanz die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags allerdings rechtsfehlerfrei mit der fehlenden Zustimmung zum Verlängerungsgesuch durch die Beklagtenvertreterin begründet. Der Senat verwies auf die Vorschrift des § 520 Abs. 2 Satz 2 u. 3 ZPO, wonach die nochmalige Verlängerung einer bereits gewährten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist der Zustimmung des Gegners bedarf. Bei Fristversäumnis und fehlendem Verschulden komme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei fehlender Einwilligung des Gegners nur dann in Betracht, wenn die Einholung der gegnerischen Einwilligung nicht möglich oder unzumutbar gewesen sei.

Entscheidung des Berufungsgerichts im Ergebnis zutreffend

Der BGH hielt dem Klägervertreter vor, die Einholung der Einwilligung der Beklagtenvertreterin zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht versucht zu haben. Die Beklagtenvertreterin hatte insoweit erklärt, sie wäre mit einer Fristverlängerung unter der Bedingung einverstanden gewesen, dass der Klägervertreter ein ärztliches Attest für seine Erkrankung vorgelegt. Nach Auffassung des BGH wäre es dem Klägervertreter zumutbar gewesen, diese Bedingung zu erfüllen. Aber er hatte gar nicht erst gefragt.

Rechtsbeschwerde zurückgewiesen

Damit war nach der Entscheidung des BGH die Fristversäumnis im Ergebnis nicht unverschuldet. Der Wiedereinsetzungsantrag war daher von der Vorinstanz zu Recht zurückgewiesen worden.

(BGH, Beschluss v. 14.3.2024, V ZB 34/23)