Leitsatz (amtlich)
a) Maßgeblich für die Beurteilung, ob es Insolvenzgläubigern zuzumuten ist, die Kosten eines vom Insolvenzverwalter geführten Rechtsstreits aufzubringen, ist nicht die voraussichtliche Erhöhung ihrer Befriedigungsquote, sondern das Verhältnis des zu erwartenden Ertrags zu den aufzubringenden Kosten.
b) Insolvenzgläubigern ist es regelmäßig nicht zuzumuten, die Kosten eines vom Insolvenzverwalter geführten Rechtsstreits aufzubringen, wenn sich ihre Befriedigung unter Berücksichtigung des Prozess- und Beibringungsrisikos voraussichtlich um weniger als das Doppelte der aufzubringenden Kosten verbessert.
Normenkette
ZPO § 116 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
OLG Celle (Beschluss vom 18.02.2016; Aktenzeichen 16 W 4/16) |
LG Verden (Aller) (Entscheidung vom 02.12.2015; Aktenzeichen 10 O 27/15) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 16. Zivilsenats des OLG Celle vom 18.2.2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Rz. 1
Das LG hat den Antrag des Insolvenzverwalters, ihm für eine beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegnerin Prozesskostenhilfe zu gewähren, abgelehnt. Das OLG hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
II.
Rz. 2
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
Rz. 3
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO seien nicht gegeben, weil es den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten in Gestalt der Gläubiger zu Nr. 2 und Nr. 3 der Insolvenztabelle zuzumuten sei, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Lege man die eigenen Angaben des Antragstellers zugrunde, könnten die beiden Gläubiger im Falle der Durchführung des Rechtsstreits unter Berücksichtigung eines Vollstreckungsrisikos von 50 vom Hundert etwa das 1,85-fache des von ihnen zu tragenden Kostenanteils erzielen.
Rz. 4
2. Es kann dahinstehen, ob der Beschluss des Beschwerdegerichts nicht mit Gründen versehen und bereits deshalb aufzuheben ist (§ 4 InsO, §§ 576 Abs. 3, 547 Nr. 6, 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Rz. 5
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH müssen Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben. Denn das Rechtsbeschwerdegericht hat grundsätzlich von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Beschwerdegericht festgestellt hat (§§ 577 Abs. 2 Satz 4, 559 ZPO). Fehlen tatsächliche Feststellungen, so ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage. Ausführungen des Beschwerdegerichts, die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne (etwa BGH, Beschl. v. 21.7.2011 - IX ZB 148/10, NZI 2011, 714 Rz. 6; v. 13.1.2016 - XII ZB 605/14, FamRZ 2016, 625 Rz. 6 m.w.N.).
Rz. 6
b) Das Beschwerdegericht hat seinen Rechtsausführungen keinen Sachverhalt vorangestellt. Eine Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung ist nicht erfolgt. Aus den Rechtsausführungen kann der maßgebliche Sachverhalt nur teilweise erschlossen werden.
Rz. 7
3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann jedenfalls deshalb keinen Bestand haben, weil die vorhandenen Feststellungen nicht die Beurteilung tragen, es sei den Gläubigern zu Nr. 2 und Nr. 3 der Insolvenztabelle zuzumuten, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
Rz. 8
a) Mit Recht hat das Beschwerdegericht allerdings nicht maßgeblich darauf abgestellt, um welchen vom-Hundert-Satz sich die zu erwartende Befriedigungsquote der Gläubiger durch die beabsichtigte Prozessführung erhöht. Vorschüsse auf die Prozesskosten sind solchen Beteiligten zuzumuten, die die erforderlichen Mittel unschwer aufbringen können und für die der zu erwartende Nutzen bei vernünftiger, auch das Eigeninteresse sowie das Prozesskostenrisiko angemessen berücksichtigender Betrachtungsweise bei einem Erfolg der Rechtsverfolgung deutlich größer sein wird als die von ihnen als Vorschuss aufzubringenden Kosten. Bei dieser wertenden Abwägung sind insb. eine zu erwartende Quotenverbesserung im Falle des Obsiegens, das Prozess- und Vollstreckungsrisiko und die Gläubigerstruktur zu berücksichtigen (BGH, Beschl. v. 26.4.2018 - IX ZB 29/17, WM 2018, 1137 Rz. 7 m.w.N.; st.Rspr.). Das danach maßgebliche Verhältnis von Nutzen und Kosten wird nicht allein aus der relativen Erhöhung der Befriedigungsquote ersichtlich, sondern nur dann, wenn der im Falle der Durchführung des Rechtsstreits für den Gläubiger bei der Verteilung zusätzlich zu erwartende absolute Betrag in Beziehung zu der Kostenbeteiligung des Gläubigers gesetzt wird.
Rz. 9
b) Rechtsfehlerhaft hat das Beschwerdegericht aber angenommen, die Aufbringung der Kosten der Prozessführung sei den Gläubigern allein deswegen zumutbar, weil sie eine Verbesserung ihrer Befriedigung um das 1,85-fache ihres Kostenbeitrags erwarten könnten. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH ist den Gläubigern ein Vorschuss auf die Prozesskosten nur zumutbar, wenn der zu erwartende Nutzen deutlich größer ist als die aufzubringenden Kosten (BGH, Beschl. v. 3.5.2012 - V ZB 138/11, ZIP 2012, 2275 Rz. 8; v. 19.5.2015 - II ZR 263/14, ZInsO 2015, 1465 Rz. 2; vom 26.4.2018, a.a.O., Rz. 12; st.Rspr.). Eine feste Quote, ab der die Kostenaufbringung stets zumutbar ist, kann insoweit wegen der Unterschiedlichkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse der Insolvenzverfahren nicht festgelegt werden (BGH, Beschl. v. 26.4.2018, a.a.O., Rz. 12). Beträgt der zu erwartende Ertrag aus der Prozessführung aber weniger als das Doppelte des anfallenden Kostenbeitrags, ist den Gläubigern ein Kostenvorschuss bei angemessener Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Interessen regelmäßig nicht zuzumuten (vgl. Steenbuck, MDR 2004, 1155, 1157), wenn nicht zusätzliche Umstände vorliegen, welche die Aufbringung der Kosten den Gläubigern als zumutbar erscheinen lassen.
Rz. 10
4. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann danach keinen Bestand haben. Der Beschluss ist aufzuheben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Eine eigene Entscheidung kann der Senat nicht treffen, weil das Beschwerdegericht die dazu erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat (§ 577 Abs. 5 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 11960962 |
DStR 2018, 2031 |
NJW 2018, 3188 |
NJW 2018, 9 |
NWB 2018, 2678 |
EWiR 2018, 689 |
WM 2018, 1657 |
ZIP 2018, 1699 |
DZWir 2018, 543 |
JZ 2018, 685 |
MDR 2018, 1214 |
NZI 2018, 7 |
NZI 2018, 862 |
ZInsO 2018, 1952 |
InsbürO 2018, 441 |
KSI 2018, 279 |
NJW-Spezial 2018, 629 |
NWB direkt 2018, 915 |
ZVI 2018, 414 |