Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 223 BRAO
Leitsatz (amtlich)
Das für die in einer Sozietät zusammengeschlossenen Rechtsanwälte geltende Gebot, auf ihren Briefbögen die Namen sämtlicher (deutschen) Gesellschafter aufzuführen, ist wirksam.
Normenkette
BRAO § 59 Abs. 2; BORA § 10 Abs. 1 S. 1
Nachgehend
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 3. November 2000 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr dort entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Gegenstandswert wird auf 50.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller – ein deutscher Staatsangehöriger, der als Rechtsanwalt beim Landgericht D. zugelassen ist und seinen Kanzleisitz in D. hat – ist Mitglied der Partnership englischen Rechts „L.”. Die Partnership mit rund 250 Partnern und ca. 1.000 Rechtsanwälten hat ihren Sitz in London. Haftungsbeschränkungen bestehen nicht. Ausweislich der Fußzeile des vom Antragsteller verwendeten Briefbogens handelt es sich bei der Partnership um den „Zusammenschluß der Anwaltssozietäten L. und B. Rechtsanwälte Solicitors Lawyers (USA) Avocats Advocaten”. Im Briefkopf findet sich lediglich die auffällig herausgestellte Kurzbezeichnung „L.” sowie der Name des Antragstellers; daneben sind keine Sozien namentlich genannt. In der Fußzeile heißt es: „Die Liste der Partner ist bei der oben angegebenen Adresse einsehbar”.
Mit Bescheid vom 26. Juni 2000 gab die Antragsgegnerin unter Berufung auf § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA dem Antragsteller auf, sämtliche Partner, die als Rechtsanwälte bei einem deutschen Gericht zugelassen sind, auf seinem Briefbogen aufzuführen. Der Antragsteller hat die Aufhebung dieses Bescheids beantragt. Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Beschluß vom 3. November 2000 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner – zugelassenen – sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 223 Abs. 3 Satz 1 BRAO); es hat indes keinen Erfolg.
1. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA müssen in einer Sozietät zusammengeschlossene Rechtsanwälte auf ihren Briefbögen auch bei Verwendung einer Kurzbezeichnung (§ 9 BORA) die Namen sämtlicher Gesellschafter mit mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen aufführen. Ein Widerspruch zu § 10 Abs. 1 Satz 3 BORA besteht nicht. In dieser Vorschrift ist bestimmt, daß mindestens eine der Kurzbezeichnung entsprechende Zahl von Gesellschaftern, Angestellten oder freien Mitarbeitern auf dem Briefbogen namentlich aufgeführt werden muß. Damit soll verhindert werden, daß die Anzahl der in der Kurzbezeichnung aufgeführten Personen größer ist als die Zahl der nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA anzugebenden Gesellschafter (Feuerich/Braun, BRAO 5. Aufl. § 10 BORA Rn. 6), nicht aber von dem in der zuletzt genannten Vorschrift enthaltenen Gebot dispensiert werden.
2. § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA verstößt nicht gegen die Verfassung.
a) Entgegen der Ansicht des Antragstellers entbehrt die Vorschrift nicht einer gesetzlichen Ermächtigung. Sie hat ihre Grundlage in § 59 b Abs. 2 Nr. 1 e, 3, 4, 5 a und 8 BRAO.
aa) Gemäß § 59 b Abs. 2 Nr. 1 e BRAO kann das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43 a Abs. 4 BRAO) durch die Berufsordnung näher geregelt werden. Dieses Verbot greift auch dann ein, wenn widerstreitende Interessen von jeweils anderen Sozien vertreten werden (Feuerich/Braun, § 43 a BRAO Rn. 57). Derartige Interessenkonflikte sind auch innerhalb einer Sozietät denkbar; sie können zum Beispiel durch einen Sozietätswechsel verursacht werden und gewinnen mit der Entstehung immer größerer Sozietäten an Bedeutung (BT-Drucks. 12/4993, S. 34 f). Das Gebot, schon auf dem Briefbogen die Zusammensetzung einer Sozietät offenzulegen, dient einer Kontrolle, ob widerstreitende Interessen vertreten werden, und hat deshalb präventive Bedeutung.
bb) Gemäß § 59 b Abs. 2 Nr. 3 BRAO kann die Berufsordnung die besonderen Berufspflichten im Zusammenhang mit der Werbung näher regeln. Die Gestaltung des Briefbogens ist eine Maßnahme der Außendarstellung und hat somit werbenden Charakter (BGH, Urt. v. 17. April 1997 – I ZR 219/94, NJW 1997, 3236, 3237 m.w.N.).
cc) Gemäß § 59 b Abs. 2 Nr. 4 BRAO kann die Berufsordnung die besonderen Berufspflichten im Zusammenhang mit der Versagung der Berufstätigkeit (§§ 45, 46 Abs. 2 BRAO) näher regeln. Der Rechtsanwalt darf insbesondere nicht tätig werden in Angelegenheiten, mit denen er bereits außerhalb seiner Anwaltstätigkeit beruflich befaßt war. Das gilt auch für seine Sozien (§§ 45 Abs. 3, 46 Abs. 3 BRAO). Das Gebot, schon im Briefkopf die Zusammensetzung einer Sozietät offenzulegen, dient der Überprüfung, ob die Tätigkeitsverbote gemäß §§ 45, 46 Abs. 2 BRAO beachtet werden.
dd) Gemäß § 59 b Abs. 2 Nr. 5 a BRAO kann die Berufsordnung die besonderen Berufspflichten im Zusammenhang mit der Annahme, Wahrnehmung und Beendigung eines Auftrags näher regeln. Mit dem Gebot, schon auf dem Briefbogen die Zusammensetzung der Sozietät offenzulegen, wird dem Mandanten Klarheit über den Vertragspartner verschafft.
ee) Gemäß § 59 b Abs. 2 Nr. 8 BRAO kann die Berufsordnung unter anderem die Pflichten bei beruflicher Zusammenarbeit näher regeln. Dazu gehört auch die Außendarstellung der Zusammenarbeitenden, die wiederum – wie bereits ausgeführt – die Gestaltung des Briefbogens umfaßt.
b) § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA steht auch materiell mit der Verfassung im Einklang.
aa) Das in dieser Vorschrift ausgesprochene Gebot stellt eine Berufsausübungsregelung dar, welche die Berufsfreiheit beeinträchtigt (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG). Solche Eingriffe müssen durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Das gewählte Mittel muß geeignet und erforderlich sein, um die Belange des Gemeinwohls zu wahren. Außerdem darf bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der Gründe, die ihn rechtfertigen sollen, die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschritten werden (BVerfGE 76, 196, 207; 83, 1, 16; 85, 248, 259; 94, 372, 389 f).
bb) Die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA dient gewichtigen Belangen des Gemeinwohls.
Die Aufnahme der Namen der einzelnen Rechtsanwälte der Sozietät trägt zu deren Unabhängigkeit bei, weil jeder Partner auf diesem Weg einen eigenen Goodwill erwerben kann. Dies hat vor allem für jüngere und mit einem geringen Anteil an der Sozietät beteiligte Rechtsanwälte Bedeutung.
Werden sämtliche Gesellschafter auf dem Briefbogen aufgeführt, verdeutlicht dies dem Mandanten, dem Gegner sowie darüber hinaus allen Institutionen, die mit anwaltlichen Leistungen in Berührung kommen, die Mitverantwortung aller Partner für das Auftreten der Sozietät. Dadurch wird der einzelne nach außen in seiner anwaltlichen Rolle herausgestellt und im Innenverhältnis zu Mitverantwortung veranlaßt und zugleich gestärkt. Eine Anonymisierung würde eher dazu beitragen, daß sich nicht alle Partner „in die Pflicht genommen” sehen.
Schließlich dient die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA dem Informationsinteresse der Rechtsuchenden. Wer anwaltliche Leistungen in Anspruch nimmt, möchte ohne komplizierte Nachfrage wissen, wem er die Wahrnehmung seiner rechtlichen Belange anvertraut (vgl. oben a dd) und ob der Beauftragte nicht zugleich widerstreitende Interessen vertritt (vgl. oben a aa) oder auf sonstige Weise in der Gefahr einer Interessenkollision steht (vgl. oben a cc).
cc) Das Gebot, die Mitglieder einer Sozietät auf dem Briefbogen einzeln zu benennen, ist in hohem Maße geeignet, die vorstehend aufgeführten Gemeinwohlinteressen zu wahren.
(1) Allerdings hat der Antragsteller darauf hingewiesen, daß der Mandant einen Briefbogen des Anwalts oft erst erhalten wird, wenn das Mandatsverhältnis bereits begründet ist. Das Informationsinteresse des Mandanten besteht jedoch nicht nur in der Anbahnungsphase, sondern auch später. Dem Mandanten ist beispielsweise daran gelegen zu erfahren, ob während des bereits bestehenden Mandats einer der Gesellschafter die Sozietät verläßt und sich einer anderen Sozietät anschließt, die vielleicht den Gegner vertritt.
(2) Der Briefbogen hat dadurch, daß die elektronischen Medien auch im Verkehr zwischen dem Anwalt und dem Mandanten, Anwälten untereinander sowie zwischen Anwalt und Gericht Einzug gehalten haben, seine Informationsfunktion teilweise eingebüßt. Selbst wenn der Antragsteller, wie er in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, zu 50 % per e-mail korrespondiert, ist der Briefbogen aber noch in der großen Zahl anderer Fälle eine Informationsquelle.
(3) Dem Antragsteller ist zuzugeben, daß das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, sich auf alle – auch die ausländischen – Gesellschafter sowie die angestellten Rechtsanwälte, die in Bürogemeinschaft verbundenen Rechtsanwälte und freien Mitarbeiter bezieht (§ 43 a Abs. 4 BRAO; § 3 Abs. 2 BORA) und daß dem Informationsbedürfnis des rechtsuchenden Publikums in vollem Umfang nur genügt ist, falls der Briefbogen ein taggenaues Verzeichnis aller im Vorstehenden Genannten enthält. Daß der Satzungsgeber in § 10 Abs. 1 BORA ein weniger weit gehendes Gebot ausgesprochen hat und die Antragsgegnerin den Kanzleien bei Veränderungen in der Zusammensetzung der Gesellschafter sogar eine großzügige Frist zur Änderung der Briefbögen einräumt, erscheint vertretbar, weil der dargelegte Zweck der Regelung so immer noch deutlich besser erfüllt wird als durch den Verzicht auf die Information. Beispielsweise ist die Kenntnis der Namen der ausländischen Gesellschafter, die im Inland keine anwaltlichen Dienstleistungen erbringen, hier typischerweise nur von sehr geringem Gewicht. Im übrigen wird dadurch, daß der Satzungsgeber ein eingeschränktes Gebot erlassen hat und die Antragsgegnerin ihren Mitgliedern bei der Durchsetzung des Gebots entgegenkommt, auch dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit Rechnung getragen.
(4) Das Argument des Antragstellers, der Briefbogen trage bei der von der Antragsgegnerin geforderten Gestaltung eher zur Verwirrung bei, weil er nicht alles enthalte, was der Information diene, trifft nicht zu. Im übrigen bleibt es den Sozietäten unbenommen, die Informationsfunktion des Briefbogens über das verlangte Maß hinaus zu erfüllen.
(5) Das Gebot des § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA wäre für die Erreichung der oben angegebenen Zwecke allerdings kein geeignetes Mitteil, wenn es unerfüllbar wäre. Das ist aber nicht der Fall. In diesem Zusammenhang macht der Antragsteller geltend, bei großen Sozietäten mit mehreren hundert Gesellschaftern könnten deren Namen auf dem Briefbogen nicht untergebracht werden, zudem müßte bei der natürlichen Fluktuation innerhalb solcher Sozietäten nahezu täglich neues Briefpapier gedruckt werden. Diese praktischen Schwierigkeiten machen das Gebot jedoch nicht unerfüllbar. § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA schreibt nur vor, die Namen der Gesellschafter „auf den Briefbögen” aufzuführen. Das kann etwa in der Weise geschehen, daß die Namen aller Gesellschafter auf der Rückseite des Kopfbogens, notfalls unter Verwendung eines weiteren Bogens, aufgeführt werden. Nichts anderes hat die Antragsgegnerin vom Antragsteller verlangt, wobei das Raumproblem zudem dadurch entschärft wird, daß der Antragsteller nicht alle, sondern nur die bei einem deutschen Gericht zugelassenen Sozien benennen muß. Lösbar ist auch das Problem, den Gesellschafterwechsel zeitnah zu erfassen. Die Frage, wie das praktisch zu bewerkstelligen ist, kommt auf den Antragsteller auch dann zu, wenn er auf entsprechende Anfrage die Liste der Gesellschafter zur Einsichtnahme vorlegen will, wozu er sich ausdrücklich bereit erklärt hat. Daß der Antragsteller gezwungen ist, den Briefbogen ständig dem veränderten Gesellschafterbestand anzupassen, ist sogar unter dem Gesichtspunkt einer sachgerechten Bevorratung mit Briefpapier nicht unzumutbar. Die Antragsgegnerin gewährt Auslauffristen für überholte Vordrucke. Außerdem können heute gerade die größeren Sozietäten Änderungen ohne weiteres dadurch Rechnung tragen, daß sie Briefbögen zumindest vorübergehend durch Computer gestalten. Etwaige Änderungen können dann unverzüglich beim Ausdruck berücksichtigt werden.
dd) Das Gebot des § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA ist erforderlich, weil ein anderes, gleich wirksames, aber die Berufsfreiheit weniger fühlbar einschränkendes Mittel fehlt (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfGE 75, 246, 269; 80, 1, 30; 87, 287, 322).
Der Antragsteller verweist auf die – in der Fußzeile des von ihm verwandten Briefbogens auch ausdrücklich angesprochene – Möglichkeit, eine Liste der Partner bei ihm anzufordern oder über Internet abzurufen. Beide Mittel sind jedoch zur Wahrung der Belange der Rechtsuchenden weniger wirksam als die Beachtung des durch § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA ausgesprochenen Gebots. Nach beiden Alternativen muß der Rechtsuchende selbst aktiv werden. Ist schon dies eine zusätzliche Erschwernis bei der Befriedigung des zu schützenden Informationsinteresses, kommt bei der Anforderung noch hinzu, daß er befürchten mag, der Rechtsanwalt werde dies als Mißtrauen verstehen. Beim Abruf über Internet entfällt zwar dieses Bedenken; diese Möglichkeit ist jedoch für denjenigen nicht gangbar, der über keinen Internetanschluß verfügt. Diese Gruppe ist zahlenmäßig auf absehbare Zeit noch nicht so klein, als daß sie schon heute vernachlässigt werden könnte.
ee) Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der Gründe, die ihn rechtfertigen sollen, wird die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschritten.
(1) Zunächst darf nicht übersehen werden, daß der durch das Gebot des § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA bewirkte Eingriff in die Berufsfreiheit von nur geringer Intensität ist. Die Beachtung des Gebots erfordert – wie im Vorstehenden dargelegt – keinen größeren, den Rechtsanwalt über Gebühr belastenden Aufwand.
(2) Demgegenüber haben die Gründe, die das Gebot des § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA rechtfertigen, entgegen der Meinung des Antragstellers erhebliches Gewicht. Der Antragsteller ist der Ansicht, jenes Gebot sei letztlich auf Kanzleistrukturen des 19. und 20. Jahrhunderts zugeschnitten, nicht aber auf die heutigen Verhältnisse. In der Vergangenheit habe der Typ der Kleinkanzlei mit nur einem Rechtsanwalt oder wenigen Sozien vorgeherrscht; diese Kanzleien seien „provinziell” ausgerichtet gewesen auf die Besorgung der Rechtsangelegenheiten eines Klientels der näheren Umgebung. Inzwischen sei nicht nur das Lokalisationsgebot entfallen; es hätten sich auch mehr und mehr überörtliche Sozietäten gebildet, zudem bestehe ein „massiver Trend” zu größeren Zusammenschlüssen, und mit der verstärkten Verflechtung der Weltwirtschaft gehe die Bildung internationaler Sozietäten einher. Dies trägt aber nicht die vom Antragsteller gezogene Folgerung, das Gebot des § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA sei überholt. Das Informationsinteresse des Rechtsuchenden (oben bb) und der anderen Beteiligten ist um so gewichtiger, je unübersichtlicher die Verhältnisse sind. Dies ist weit mehr der Fall, wenn der Rechtsuchende sich einer überörtlichen Großkanzlei mit mehreren hundert, im gesamten Inland tätigen Sozien gegenübersieht, als wenn er es nur mit einer in seinem Landgerichtsbezirk tätigen Kleinsozietät zu tun hat. Im übrigen könnte ein Gebot, das gegenüber überörtlich tätigen Großsozietäten unanwendbar wäre, auch gegenüber nur lokal tätigen Kleinsozietäten nicht mehr durchgesetzt werden. Schließlich darf nicht verkannt werden, daß diejenigen, die keinen Internet-Anschluß besitzen und den Rechtsanwalt auch nicht ausdrücklich nach seinen Mitgesellschaftern fragen wollen, typischerweise dem weniger gewandten Teil der Bevölkerung angehören werden. Gerade diesen Personenkreis gilt es zu schützen.
(3) Gleichwohl wäre die Beachtung des Gebots für den Antragsteller möglicherweise unzumutbar, wenn es auch sonst – wie der Antragsteller geltend macht – nur „auf dem Papier” stünde, d.h. überwiegend mißachtet würde, ohne daß die Aufsichtsbehörden dagegen vorgehen. Dies kann jedoch nicht festgestellt werden.
Es ist nicht zutreffend, daß der sogenannte „Stempelanwalt” bei Schriftsätzen, die vom Korrespondenzanwalt vorbereitet wurden, häufig einen unvollständigen Kanzleistempel aufsetzt, wie der Antragsteller meint. Vielmehr ist gerichtsbekannt, daß die Prozeßbevollmächtigten insbesondere dann, wenn es sich bei ihnen um eine große Sozietät handelt, vielfach den Kopfbogen austauschen, anstatt nur ihren Kanzleistempel aufzudrücken. Außerdem hat die Bedeutung des „Stempelanwalts” wegen des vom Antragsteller selbst angesprochenen Wegfalls des Lokalisationsgebots seit dem 1. Januar 2000 und der Bildung überörtlicher Sozietäten erheblich an praktischer Bedeutung verloren.
Nicht belegt ist die Behauptung des Antragstellers, bei überörtlichen Sozietäten würden vielfach allenfalls die Sozien eines Kanzleiortes aufgeführt. Wegen der werbenden Wirkung der Benennung sämtlicher Sozien an allen Kanzleiorten liegt das Gegenteil nahe.
Soweit der Antragsteller aus der gebräuchlichen Handhabung des § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA bei Großkanzleien und internationalen Sozietäten ableitet, hier werde nur noch der „Schein der Beachtung des Normideals” gewahrt, kann dem nicht gefolgt werden. Dies gilt zunächst für die Ansicht, daß die – bei Großkanzleien übliche – Benennung der Sozien nur auf der Rückseite der Briefbögen dem Normtext nicht entspreche. § 10 BORA schreibt nicht vor, daß Briefpapier nur einseitig beschriftet werden darf, und selbst wenn dies anders wäre, müßte die in Rede stehende Handhabung bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift als zulässig angesehen werden.
Allerdings kommt es bei der Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax vor, daß nicht der vollständige Gesellschafterbestand angegeben wird, und zwar insbesondere dann, wenn die Rückseite des Briefbogens nicht mit kopiert wird. Das ist aber in aller Regel auf ein Versehen zurückzuführen, weil die großen Sozietäten auch bei dieser Übermittlungsart nicht auf die werbende Wirkung der Benennung aller ihrer Gesellschafter zu verzichten pflegen. Letzteres gilt auch bei der Übermittlung per e-Mail, die im übrigen nicht als die allgemein vorherrschende Übermittlungsart angesehen werden kann.
Soweit der Antragsteller darauf hinweist, es würden „massenhaft Namen von Rechtsanwälten eingegeben, welche über keinen Gesellschafterstatus verfügen, sondern nur Angestellte und freie Mitarbeiter sind”, kann daraus kein Einwand gegen die Geltung von § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA hergeleitet werden. Solche „Außensozien” müssen sich wie Gesellschafter behandeln lassen.
(4) An der Vereinbarkeit des § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA mit innerstaatlichem Verfassungsrecht ändert es nichts, daß die Standesregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Gemeinschaft (CCBE) in der Fassung vom 28. Oktober 1998 keine entsprechende Regelung enthalten. Jene Standesregeln gelten nur bei grenzüberschreitender Tätigkeit eines deutschen Rechtsanwalts innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und der EWR-Staaten (Nr. 1.4 CCBE-Standesrecht). Daran fehlt es hier. Trotz der Mitgliedschaft in der englischen partnership und der Registrierung als Foreign Lawyer bei der Law Society in England bleibt die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat des Antragstellers.
(5) Ob die partnership englischen Rechts, welcher der Antragsteller angehört, einer Partnerschaftsgesellschaft deutschen Rechts entspricht, kann offen bleiben. Das Recht der partnership, eine Firma zu führen, steht nicht im Streit (vgl. § 2 PartGG i.V.m. § 18 Abs. 2 HGB). Das Recht zur Firmierung und die Pflicht, auf den Geschäftsbriefen bestimmte Angaben zu machen, haben nichts miteinander zu tun. § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA verhält sich zu § 9 BORA wie § 125a HGB zu § 17 HGB.
(6) Falls die partnership englischen Rechts auch im Inland rechtsfähig sein sollte (vgl. zur Rechtsfähigkeit der Partnerschaftsgesellschaft deutschen Rechts § 7 Abs. 2 PartGG i.V.m. § 124 HGB, der BGB-Gesellschaft BGH, Urt. v. 29. Januar 2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056 ff, z.V.b. in BGHZ), wird das Interesse der Beteiligten, die Namen zumindest der deutschen „partner” zu kennen, dadurch nicht geschmälert. Inzwischen hat der Bundesgerichtshof anerkannt, daß die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts sogar Kommanditistin einer Kommanditgesellschaft sein kann. Um die Publizität der Gesellschafter und damit der Haftungssituation zu gewährleisten, hat er jedoch die Eintragung aller BGB-Gesellschafter in das Handelsregister (entsprechend §§ 162 Abs. 3, 106 Abs. 2 HGB) verlangt, und zwar nicht nur bei Ersteintragung des Beitritts zur BGB-Gesellschaft, sondern auch bei jedem Gesellschafterwechsel innerhalb der BGB-Gesellschaft (BGH, Beschl. v. 16. Juli 2001 – II ZB 23/00, NJW 2001, 3121).
3. Der angefochtene Bescheid verstößt gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft schon deshalb nicht, weil dem Fall jeglicher Auslandsbezug fehlt. Da der Antragsteller in keinem anderen Staat der Gemeinschaft ansässig ist als die Empfänger seiner Leistungen, ist die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV) nicht berührt. Um das Niederlassungsrecht (Art. 43 EGV) geht es ebenfalls nicht. Der Antragsteller ist deutscher Staatsangehöriger und in Deutschland niedergelassen. Die Anordnung der Antragsgegnerin gilt aber nur, soweit der Antragsteller mit Rechtsuchenden in Deutschland in Kontakt tritt, und bezieht sich nur auf die deutschen Sozien. Falls man es für den Auslandsbezug ausreichen ließe, daß der Antragsteller Mitglied einer englischen partnership ist, läge eine nicht diskriminierende Ausübungsregelung vor (vgl. EuGH NJW 1996, 579, 581 – Fall Gebhard). Die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA ist von jedem, der von einem Berufsdomizil in Deutschland aus anwaltlich tätig ist, zu beachten. Die Zugehörigkeit des Antragstellers zu der ausländischen partnership wird nicht erschwert. Entsprechendes gilt für die Möglichkeit des Antragstellers als Mitglied dieser partnership, sich in Deutschland niederzulassen und zu betätigen.
Unterschriften
Deppert, Basdorf, Ganter, Schlick, Salditt, Kieserling, Hauger
Fundstellen
Haufe-Index 713504 |
BB 2002, 1120 |
WPg 2002, 468 |
NJW 2002, 1419 |
NWB 2002, 1686 |
BGHR 2002, 438 |
BGHR |
EWiR 2002, 337 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2002, 1081 |
AnwBl 2002, 363 |
MDR 2002, 667 |
VersR 2002, 1536 |
BRAK-Mitt. 2002, 136 |
KammerForum 2002, 173 |
KammerForum 2002, 184 |
Mitt. 2002, 253 |
WPK-Mitt. 2002, 262 |