Entscheidungsstichwort (Thema)
Gehörsrüge nach Wiedereinsetzungsbeschluss. Wiedereinsetzung in Berufungsbegründungsfrist
Leitsatz (amtlich)
a) Gegen die Gewährung der Wiedereinsetzung steht der Gegenpartei die Gehörsrüge zu.
b) Bei der Vorlage der Handakten zur Einlegung der Berufung muss der Prozessbevollmächtigte die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist kontrollieren.
Normenkette
ZPO § 321a Abs. 1 S. 2, § 233
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 17. Zivilsenats des OLG München vom 30.6.2008 wird auf Kosten des Klägers verworfen.
Gründe
[1] I. Mit dem Kläger am 26.3.2008 zugestellten Urteil hat das LG die Klage abgewiesen. Der Kläger hat am 23.4.2008 Berufung eingelegt, die er am 28.5.2008 begründet hat.
[2] Das Berufungsgericht, das den Kläger zunächst in die versäumte Berufungsbegründungsfrist wieder eingesetzt hat, hat auf die Gehörsrüge der Beklagten mit dem angefochtenen Beschluss diese Entscheidung aufgehoben, das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung verworfen.
[3] Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
[4] II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch unzulässig, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BGH erfordern (§ 574 Abs. 2 ZPO).
[5] 1. Die Rechtsbeschwerde wendet sich zu Recht nicht dagegen, dass das Berufungsgericht sich nicht gehindert gesehen hat, auf die Gehörsrüge der Beklagten den Beschluss aufzuheben, durch den dem Kläger Wiedereinsetzung gewährt worden ist.
[6] Zwar findet die Gehörsrüge nach § 321a Abs. 1 Satz 2 ZPO gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung nicht statt. Diese Einschränkung der Anhörungsrüge ist jedoch bei verfassungskonformer Auslegung auf solche Zwischenentscheidungen zu begrenzen, die im Hinblick auf mögliche Gehörsverletzungen im weiteren fachgerichtlichen Verfahren noch überprüft und korrigiert werden können, ohne dass es zur Erlangung des verfassungsrechtlich gebotenen fachgerichtlichen Rechtsschutzes der Erhebung einer Anhörungsrüge bedürfte. Insoweit kann dem gesetzgeberischen Willen, den Anwendungsbereich der Anhörungsrüge zur Vermeidung unerwünschter Verfahrensverzögerungen auf "Endentscheidungen" zu beschränken, Rechnung getragen werden. Der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG steht aber einer Auslegung der Norm entgegen, nach der Entscheidungen, die ein selbständiges Zwischenverfahren abschließen, nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden könnten (BVerfGE 119, 292 Tz. 26). Dies gilt auch für das Verfahren der Wiedereinsetzung, bei dem die gewährte Wiedereinsetzung unanfechtbar ist (§ 238 Abs. 3 ZPO).
[7] 2. Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und seine Berufung verworfen. Der Kläger war nicht ohne sein Verschulden verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO). Die Fristversäumung beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das er sich gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
[8] Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Frist zur Berufungsbegründung schuldhaft versäumt, weil er die gebotene Fristenkontrolle nicht ausgeführt hat, als ihm die Akten zur Unterzeichnung der Berufungsschrift vorgelegt worden sind.
[9] Nach ständiger Rechtsprechung des BGH obliegt einem Rechtsanwalt die Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob eine zu beachtende Frist richtig ermittelt und eingetragen worden ist, wenn ihm die Akten zur Bearbeitung vorgelegt werden (BGH, Beschl. v. 6.7.1994 - VIII ZB 12/94, NJW 1994, 2831, 2832; Beschl. v. 9.3.1999 - VI ZB 3/99, NJW 1999, 2048; Beschl. v. 24.10.2001 - VIII ZB 19/01, VersR 2002, 1391 f.; Beschl. v. 10.6.2008 - VI ZB 2/08, NJW 2008, 3439 Tz. 7).
[10] Die eigenverantwortliche Fristenkontrolle muss zwar nicht bei jeder Vorlage der Handakte, aber dann erfolgen, wenn die Akten dem Rechtsanwalt im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insb. zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. Darauf, ob die Vorlage der Handakte wegen der Berufungsbegründungsfrist oder aus Anlass einer anderen fristgebundenen Prozesshandlung, wie hier der Einlegung der Berufung, erfolgt ist, kommt es nicht an. Denn der Rechtsanwalt muss im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung eigenverantwortlich stets auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Die Berufungsbegründungsfrist beginnt nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils. Ihr Ablauf steht daher im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits fest. Auch wenn Handakten im Zusammenhang mit der Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt werden, beschränkt sich die Kontrollpflicht daher nicht auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist notiert ist; sie erstreckt sich vielmehr auch auf die Erledigung der Notierung der Berufungsbegründungsfrist (BGH, Beschl. v. 21.4.2004 - XII ZB 243/03, FamRZ 2004, 1183 f.). Für die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist gilt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nichts anderes (BGH, Beschl. v. 15.8.2007 - XII ZB 57/07 Tz. 10). Wird ihre Kontrolle zurückgestellt, besteht die Gefahr, dass eine fehlerhafte Berechung - wie im Streitfall - nicht rechtzeitig auffällt. Dieses Risiko einzugehen, ist nicht gerechtfertigt; eine zusätzliche Belastung des Rechtsanwalts ist mit der gebotenen frühzeitigen Kontrolle nicht verbunden.
Fundstellen
Haufe-Index 2118673 |
BGHR 2009, 470 |
EBE/BGH 2009 |
FamRZ 2009, 685 |
FA 2009, 113 |
JurBüro 2009, 278 |
MDR 2009, 520 |
VersR 2010, 646 |
NJW-Spezial 2009, 347 |
MarkenR 2009, 165 |
Mitt. 2009, 142 |