Entscheidungsstichwort (Thema)
Erster Rechtszug. Nicht hinzugezogene Angehörige. Einlegung einer Beschwerde. Betreuungsentscheidung. Keine Überprüfung der getroffenen Sachentscheidung. Geschwister. Angehöriger aus dem privilegierten Personenkreis. Konkludente Hinzuziehung eines Beteiligten. Übersendung von Schriftstücken. Ladung zum Termin
Leitsatz (amtlich)
Der im ersten Rechtszug nicht hinzugezogene Angehörige kann durch Einlegung einer Beschwerde gegen die getroffene Betreuungsentscheidung keine Überprüfung der getroffenen Sachentscheidung durch das Beschwerdegericht erzwingen.
Normenkette
FamFG § 303 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Kaiserslautern (Beschluss vom 15.01.2014; Aktenzeichen 1 T 214/12) |
AG Rockenhausen (Beschluss vom 29.05.2012; Aktenzeichen 1 XVII 138/12) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Kaiserslautern vom 15.1.2014 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 1) bis 3) mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ihre Beschwerde gegen den Beschluss des AG Rockenhausen vom 29.5.2012 verworfen wird.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Beschwerdewert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der 70-jährige Betroffene leidet an einer fortschreitenden Demenz, wegen derer er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Am 25.2.2010 erteilte er seiner Schwester, der Beteiligten zu 4) (im Folgenden: Bevollmächtigte), notarielle General- und Vorsorgevollmacht.
Rz. 2
Im April 2012 haben drei Brüder des Betroffenen, die Beteiligten zu 1) bis 3) (im Folgenden: Beschwerdeführer), die Einrichtung einer Betreuung angeregt. Das AG hat eine Stellungnahme der Betreuungsbehörde eingeholt, der zufolge keine Veranlassung bestehe, die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers zum Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht anzuzweifeln, und die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung nicht erforderlich erscheine. Noch am Tag des Eingangs der Stellungnahme hat das AG die Einrichtung einer Betreuung durch Beschluss vom 29.5.2012 abgelehnt, weil sie im Hinblick auf die erteilte Vorsorgevollmacht nicht erforderlich sei.
Rz. 3
Die Stellungnahme der Betreuungsbehörde und der Beschluss des AG sind den Beschwerdeführern nicht zur Kenntnis gegeben worden; sie sind in dem amtsgerichtlichen Beschluss auch nicht als Verfahrensbeteiligte aufgeführt.
Rz. 4
Das LG hat die von den Beschwerdeführern eingelegte Beschwerde nach Beweisaufnahme über die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen im Zeitpunkt der Vollmachterteilung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beschwerdeführer.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG zulassungsfrei statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Rechtsbeschwerdebefugnis der Beschwerdeführer ergibt sich daraus, dass ihre Beschwerde gegen den Beschluss des AG ohne Erfolg geblieben ist (vgl. BGH v. 18.4.2012 - XII ZB 624/11, FamRZ 2012, 1031 Rz. 3 m.w.N.).
Rz. 6
Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Sie ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beschwerde gegen den Beschluss des AG verworfen wird. Bereits die Erstbeschwerde ist nämlich unzulässig gewesen, weil den Beschwerdeführern die Beschwerdebefugnis gefehlt hat.
Rz. 7
1. Nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG steht u.a. den Geschwistern des Betroffenen das Recht der Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung im Interesse des Betroffenen nur zu, wenn sie im ersten Rechtszug an dem Verfahren beteiligt worden sind. Ist ein Angehöriger aus dem privilegierten Personenkreis des § 303 Abs. 2 FamFG im ersten Rechtszug nicht beteiligt worden, steht ihm nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung das Recht der Beschwerde unabhängig davon nicht zu, aus welchen Gründen die Beteiligung im ersten Rechtszug unterblieben ist (BGH v. 9.4.2014 - XII ZB 595/13, FamRZ 2014, 1099 Rz. 10; v. 30.3.2011 - XII ZB 692/10, FamRZ 2011, 966 Rz. 6).
Rz. 8
Für die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 FamFG kommt es somit entscheidend darauf an, ob die Beschwerdeführer tatsächlich im ersten Rechtszug beteiligt worden sind. Dabei kann die Hinzuziehung eines Beteiligten auch konkludent erfolgen, etwa durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen. Die Nichterwähnung im Rubrum stünde einer tatsächlichen Hinzuziehung zum Verfahren i.S.d. § 7 FamFG nicht entgegen (BGH v. 9.4.2014 - XII ZB 595/13, FamRZ 2014, 1099 Rz. 11 m.w.N.).
Rz. 9
2. Gemessen hieran sind die Beschwerdeführer im ersten Rechtszug nicht beteiligt worden und waren demgemäß nicht nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zur Beschwerde befugt. Zwar ging die Einleitung des Verfahrens auf eine Anregung der Beschwerdeführer zurück, den Betreuungsbedarf zu überprüfen. Die bloße Anregung der Beschwerdeführer zur Einleitung des Verfahrens begründet für sich genommen jedoch noch nicht ihre Beteiligtenstellung (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl., § 303 Rz. 27; Jürgens/Kretz Betreuungsrecht 5. Aufl., § 303 Rz. 5). Die Beschwerdeführer sind auch weder im Lauf des sodann von Amts wegen betriebenen Verfahrens angehört worden noch ist ihnen die Stellungnahme der Betreuungsbehörde übersandt worden noch sind sie sonst irgendwie im ersten Rechtszug beteiligt worden bis der angefochtene Beschluss des AG ergangen ist, der sie auch weder als Beteiligte ausweist noch ihnen bekannt gegeben worden ist. Darin liegt weder eine förmliche noch eine konkludente Hinzuziehung der Beschwerdeführer als Verfahrensbeteiligte.
Rz. 10
3. Angehörige des Betroffenen müssen, wenn sie nicht von Amts wegen zu dem Verfahren hinzugezogen werden (§ 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG), durch die Stellung eines entsprechenden Antrags gem. § 7 Abs. 3 FamFG während des ersten Rechtszugs vorgreiflich auf ihre Verfahrensbeteiligung hinwirken und, sollte der Antrag abgelehnt werden, das hierfür vorgesehene Rechtsmittel einlegen. Erst wenn auf diesem Weg die Verfahrensbeteiligung erreicht wurde, erhält der Angehörige die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 FamFG gegen die betreuungsrechtliche Entscheidung (BGH v. 30.3.2011 - XII ZB 692/10, FamRZ 2011, 966 Rz. 9). Die damit verbundene starke Einschränkung der Befugnis, das Beschwerdeverfahren in Gang zu setzen, entspricht der vom Gesetzgeber in § 303 FamFG getroffenen Differenzierung. Anders als dem privilegierten Personenkreis des § 303 Abs. 2 FamFG steht der Betreuungsbehörde gem. § 303 Abs. 1 FamFG die Beschwerde gegen die Anordnung einer Betreuung oder deren Umfang auch dann zu, wenn sie mangels eigenen Antrags (§ 274 Abs. 3 FamFG) im ersten Rechtszug nicht beteiligt war.
Rz. 11
4. Eine nachträgliche Erlangung der Beschwerdebefugnis durch Hinzuziehung von Angehörigen nach Abschluss des ersten Rechtszugs - sei es in einem Zwischenverfahren, sei es im Rahmen des Abhilfeverfahrens - kommt ebenfalls nicht in Betracht (a.A. LG Verden BtPrax 2010, 242; LG Landau FamRZ 2011, 60, 61; LG Saarbrücken FamRZ 2010, 1371, 1372; Prütting/Helms/Fröschle FamFG 3. Aufl., § 303 Rz. 20a; Keidel/Budde FamFG 18. Aufl., § 303 Rz. 28; MünchKommFamFG/Schmid-Recla 2. Aufl., § 303 Rz. 5a; Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG 4. Aufl., § 303 Rz. 8; Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff FamFG 2. Aufl., § 303 Rz. 9). Nach dem Wortlaut des § 303 Abs. 2 FamFG kommt es auf die tatsächliche Beteiligung der Angehörigen im ersten Rechtszug an. Dieser endet jedoch mit dem Erlass des angefochtenen Beschlusses durch das AG. Das sich auf eine Beschwerde anschließende Abhilfeverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG gehört nicht mehr zum ersten Rechtszug, sondern schließt an diesen an. Bereits aus der systematischen Stellung des § 68 Abs. 1 FamFG ergibt sich, dass das Abhilfeverfahren zum Gang des Beschwerdeverfahrens gehört (so auch Bumiller/Harders FamFG 10. Aufl., § 68 Rz. 2; Haußleiter FamFG § 68 Rz. 2).
Rz. 12
5. Dadurch wird allerdings nicht ausgeschlossen, dass ein Angehöriger mangels materieller Rechtskraft der Entscheidung des Betreuungsgerichts unter Darstellung seines bislang nicht berücksichtigten Vorbringens mit einem neuen Antrag eine Änderung der Entscheidung anregt und zur Vorbereitung dieser Entscheidung nunmehr seine Hinzuziehung als Verfahrensbeteiligter beantragt (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl., § 303 Rz. 28; Fröschle/Locher Betreuungs- und Unterbringungsrecht § 303 FamFG Rz. 13; Sonnenfeld in Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl., § 303 Rz. 15).
Rz. 13
Im Rahmen eines solchen Verfahrens wäre der Betreuungsbedarf des Betroffenen an den im Senatsbeschluss vom 15.10.2010 (XII ZB 165/10, FamRZ 2011, 285 Rz. 11) aufgestellten Grundsätzen zu messen, wonach eine vom Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht die Bestellung eines Betreuers dann nicht hindert, wenn gegen die Wirksamkeit der Vollmachterteilung Bedenken bestehen und die Vertretung durch die Bevollmächtigte deshalb im Rechtsverkehr auf Akzeptanzprobleme stößt.
Fundstellen
NJW 2015, 1180 |
EBE/BGH 2015 |
FamRZ 2015, 572 |
FGPrax 2015, 73 |
BtPrax 2015, 72 |
JZ 2015, 131 |
MDR 2015, 231 |
FF 2015, 129 |
NZFam 2015, 213 |
SR-aktuell 2015, 23 |