Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslieferungszeitpunkt inländischer Postsendungen. Vertrauen des Rechtsmittelführers. Erläuterung und Vervollständigung erkennbar unklarer und ergänzungsbedürftiger Angaben im Wiedereinsetzungsverfahren nach Fristablauf
Leitsatz (amtlich)
1. Der Rechtsmittelführer darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden.
2. Erkennbar unklare und ergänzungsbedürftige Angaben eines Wiedereinsetzungsgesuchs zum Zeitpunkt des Posteinwurfs und der Briefkastenleerung dürfen noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden.
Normenkette
ZPO §§ 233, 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 24. Zivilsenats des OLG Düsseldorf vom 1.2.2010 aufgehoben.
Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert wird auf 38.022,05 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Beklagte hat gegen das am 7.10.2009 verkündete, ihr am 16.10.2009 zugestellte Vorbehaltsurteil des LG mit am 16.11.2009 bei dem OLG eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Durch Schriftsatz vom 15.12.2009 hat die Beklagte eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat beantragt. Der Schriftsatz ist im Wege der Faxübermittlung am 15.12.2009 bei dem LG eingegangen; der mit der Post übersandte Originalschriftsatz hat das OLG am 17.12.2009 erreicht.
Rz. 2
Auf den ihr am 23.12.2009 zugegangenen Hinweis des Senatsvorsitzenden über den verspäteten Eingang des Verlängerungsgesuchs hat die Beklagte mit am 28.12.2009 bei dem OLG eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat sie - durch eidesstattliche Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten und seiner Auszubildenden M. glaubhaft gemacht - ausgeführt: Ihr Prozessbevollmächtigter habe am Vormittag des 15.12.2009 den Verlängerungsantrag diktiert und das Diktat der Auszubildenden M. mit der Maßgabe übergeben, ihm den Schriftsatz nach Fertigstellung unverzüglich zur Unterschrift vorzulegen. Im Anschluss an die Unterzeichnung habe er die Auszubildende angewiesen, den Schriftsatz vorab an das OLG zu faxen. Auf Nachfrage habe sie gegen 11.30 Uhr erklärt, den Schriftsatz erfolgreich an das Berufungsgericht versandt und die Quittung in die Akte geheftet zu haben. Die Auszubildende sei zuvor angewiesen worden, sorgfältig die richtige Telefaxnummer zu kontrollieren, bevor sie ein Fax versende. Das Original des Schriftsatzes vom 15.12.2009 sei zudem am Nachmittag über die normale Tagespost an das OLG abschickt worden. Nach Erhalt der Mitteilung des OLG über den verspäteten Eingang des Verlängerungsantrags sei festgestellt worden, dass der Schriftsatz versehentlich an das LG gefaxt worden sei.
Rz. 3
Das OLG, bei dem die Berufungsbegründung der Beklagten am 18.1.2010 (einem Montag) eingegangen ist, hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Aufhebung dieses Beschlusses und die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
II.
Rz. 4
Das OLG hat ausgeführt, es fehle bereits an der Darlegung einer ordnungsgemäßen Ausgangskontrolle durch den Bevollmächtigten der Beklagten. Welche generellen Anweisungen bestünden, sei der Glaubhaftmachung nicht zu entnehmen. Auch die Auszubildende habe keine Angaben dazu gemacht, welche Kontrollpflichten ihr bei der Versendung eines Telefaxes oblegen hätten und inwiefern sie den Sendebericht über den Vorgang der Übersendung hinaus habe überprüfen müssen. Der Bevollmächtigte habe sich auf die Auszubildende mangels einer auch nur stichprobeweisen Kontrolle nicht verlassen dürfen. Ein fehlendes Verschulden könne auch nicht aus der Versendung des Schriftsatzes vom 15.12.2009 mit der normalen Tagespost hergeleitet werden. Wer den Brief eingeworfen habe und wann der Briefkasten entleert werde, lasse das Vorbringen der Beklagten offen.
III.
Rz. 5
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gem. § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Denn die angefochtene Entscheidung verletzt die Verfahrensgrundrechte der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Sie steht zudem nicht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BGH.
Rz. 6
1. Soweit der durch Telefax übermittelte Fristverlängerungsantrag verspätet bei dem OLG eingegangen ist, beruht die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist allerdings - wie das Berufungsgericht rechtlich beanstandungsfrei ausführt - auf einem der Beklagten zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO).
Rz. 7
a) Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat seine Verpflichtung, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, durch die allgemeine Anweisung an die Auszubildende, auf die richtige Empfängernummer zu achten und nach der Übermittlung eines Schriftsatzes auf der Grundlage des Sendeberichts die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen, nicht ausreichend erfüllt. Die Rechtsbeschwerde zeigt keinen Vortrag der Beklagten vor dem Berufungsgericht auf, welche allgemeinen Anweisungen bestanden, insb. ob und auf welche Weise die Richtigkeit der Empfängernummer abschließend und selbständig zu prüfen war (BGH, Beschl. v. 1.3.2005 - VI ZB 65/04, NJW-RR 2005, 862). Mangels einer ordnungsgemäßen Ausgangskontrolle besteht im Streitfall die nahe liegende Möglichkeit, dass die Auszubildende die vermeintlich richtige Telefaxnummer aus ihrem Gedächtnis abgerufen hat.
Rz. 8
b) Ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten entfällt nicht deshalb, weil er der Auszubildenden im Blick auf die Übersendung des Fristverlängerungsgesuchs eine Einzelanweisung erteilt hat.
Rz. 9
aa) Eine konkrete Einzelanweisung kann den Rechtsanwalt dann nicht von einer unzureichenden Büroorganisation entlasten, wenn sie die bestehende Organisation nicht außer Kraft setzt, sondern sich darin einfügt und vorhandene Organisationsmängel nicht beseitigt (vgl. BGH, Beschl. v. 25.6.2009 - V ZB 191/08, NJW 2009, 3036 Rz. 9).
Rz. 10
bb) So verhält es sich im Streitfall. Besteht - wie hier - die Anweisung nur darin, die Übermittlung eines Schriftsatzes an ein bestimmtes Gericht sofort per Fax zu veranlassen, so fehlt es an Regelungen, die eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle gewährleisten. Inhalt der Anweisung ist nur die Bestimmung des Adressaaten des Mediums der Übermittlung und der Zeitpunkt ihrer Vornahme. Damit sind aber die sonst noch erforderlichen, bisher fehlenden Kontrollmechanismen nicht geschaffen (BGH, Beschl. v. 23.10.2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369 a.E.; v. 18.7.2007 - XII ZB 32/07, NJW 2007, 2778 Rz. 6). Darüber, wie die Faxnummer ermittelt und wie bei der Ausgangskontrolle sowohl die Richtigkeit der Nummer als auch deren Zuordnung zum OLG gewährleistet wird, verhält sich die konkrete Einzelanweisung nicht.
Rz. 11
c) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, die Beklagte habe darauf vertrauen können, dass das LG den Verlängerungsantrag vor Fristablauf an das OLG weiterleitet.
Rz. 12
aa) Geht ein fristgebundener Schriftsatz nicht bei dem Berufungsgericht, sondern dem zuvor zuständigen erstinstanzlichen Gericht ein, so ist dieses Gericht verpflichtet, den Schriftsatz im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Erreicht der Schriftsatz das früher mit der Sache befasste Gericht so frühzeitig, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Berufungsgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne Weiteres erwartet werden kann, so ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Schriftsatz nicht rechtzeitig bei dem Rechtsmittelgericht eintrifft. Der Wiedereinsetzung begehrende Antragsteller hat darzulegen und glaubhaft zu machen, dass sein Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgemäß an das zuständige Berufungsgericht weitergeleitet werden konnte (BGH, Beschl. v. 6.6.2005 - II ZB 9/04, NJW-RR 2005, 1373).
Rz. 13
bb) Im Streitfall fehlt es an der danach gebotenen Darlegung. Die Beklagte wäre gehalten gewesen, den gewöhnlichen Geschäftsgang im Verkehr zwischen LG und OLG im Blick auf den zeitlichen Ablauf der Bearbeitung des Eingangs durch die Geschäftsstelle des LG, der Vorlage an den Richter, der Bearbeitung durch ihn und der Weiterleitung an die Postausgangsstelle des LG und von dort an das OLG zu konkretisieren (BGH, Beschl. v. 22.10.1986 - VIII ZB 40/86, NJW 1987, 440, 441 a.E.). Dieser Obliegenheit hat die Beklagte jedoch nicht genügt.
Rz. 14
2. Allerdings ist der Beklagten - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt - mit Rücksicht auf die rechtzeitige postalische Absendung des Verlängerungsgesuchs am 15.12.2009 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil ein Zugang bei dem Berufungsgericht am nächsten Tag und damit vor Ablauf der am 16.12.2009 endenden Berufungsbegründungsfrist zu erwarten war.
Rz. 15
a) Eine Partei darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Ohne konkrete Anhaltspunkte muss ein Rechtsmittelführer deshalb nicht mit Postlaufzeiten rechnen, die die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen (BGH, Beschl. v. 20.5.2009 - IV ZB 2/08, NJW 2009, 2379 Rz. 8 m.w.N.). Wurde der Schriftsatz vom 15.12.2009 vor der Postleerung in den Briefkasten eingeworfen, durfte die Beklagte auf einen fristgemäßen Eingang bei dem OLG am 16.12.2009 vertrauen.
Rz. 16
b) Die Partei muss im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gem. § 236 Abs. 2 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vortragen und glaubhaft machen.
Rz. 17
aa) Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht. Alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, müssen grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden (§§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, dürfen jedoch nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (BGH, Urt. v. 7.3.2002 - IX ZR 235/01, NJW 2002, 2107 [2108 m.w.N.]; v. 13.6.2007 - XII ZB 232/06, NJW 2007, 3212; v. 9.2.2010 - XI ZB 34/09, FamRZ 2010, 636 Rz. 9).
Rz. 18
bb) Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht der Beklagten Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens zu den Umständen des Posteinwurfs des Verlängerungsantrags geben müssen.
Rz. 19
(1) Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat an Eides statt versichert, der mit einem Freistempler versehene Schriftsatz sei "gegen 16.40 Uhr" bei dem Postamt L. zur Beförderung abgegeben worden. Nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung der Auszubildenden wurde der Schriftsatz mit der normalen Post "abends" an das OLG versandt. Angesichts dieser Darstellung durfte das OLG ohne ausdrückliche Nachfrage nicht von unterschiedlichen Zeitangaben des Bevollmächtigten und seiner Auszubildenden zur Postaufgabe ausgehen. Da Kanzleimitarbeiter - insb. Auszubildende - in aller Regel nur bis zum üblichen nachmittäglichen Büroschluss anwesend sind, war die Bekundung der Auszubildenden nicht ohne Weiteres dahin zu verstehen, dass die Absendung des Schriftsatzes erst am Abend erfolgt war. Vielmehr kann mit dem Begriff "abends" im Dezember jahreszeitlich bedingt auch der späte Nachmittag gemeint sein. Falls das Berufungsgericht die Darstellung für nicht ausreichend erachtete, musste es der Beklagten gem. § 139 ZPO Gelegenheit zu einer näheren Konkretisierung geben.
Rz. 20
(2) Dies gilt auch im Blick auf die von dem Berufungsgericht vermisste Angabe der Postleerungszeiten. Dem Berufungsgericht musste sich aufdrängen, dass weiterer Vortrag zu den Zeitpunkten der Postleerung deshalb unterblieben war, weil die Beklagte dies in Anbetracht des frühzeitigen Einwurfs vor 17.00 Uhr nicht für erforderlich hielt (BGH, Beschl. v. 9.2.2010, a.a.O., Rz. 11).
Rz. 21
c) Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung - wie hier - nach § 139 ZPO geboten war, können nach Ablauf der Antragsfrist mit der Rechtsbeschwerde ergänzt werden (BGH, Beschl. v. 6.5.1999 - VII ZB 6/99, NJW 1999, 2284 m.w.N.; v. 18.7.2007, a.a.O., S. 2779 Rz. 14). Der Prozessbevollmächtigte und die Auszubildende haben nunmehr an Eides statt versichert, dass der Schriftsatz gegen 16.45 Uhr beim Postamt L. eingeworfen wurde und eine Leerung um 18.00 Uhr erfolgt. Auf der Grundlage dieses ergänzenden Vortrags hätte das Berufungsgericht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ablehnen dürfen, weil die Beklagte mit einem rechtzeitigen Eingang ihres Verlängerungsschriftsatzes bei dem OLG rechnen durfte.
Rz. 22
3. Der fristgerecht gestellte Wiedereinsetzungsantrag ist somit begründet. Darüber kann der Senat gem. § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO selbst entscheiden, weil es keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedarf. Die Berufungsbegründung wurde als versäumte Rechtshandlung innerhalb der insoweit maßgeblichen Frist von einem Monat (§§ 234 Abs. 1 Satz 2, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) mit dem am 18.1.2010 bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz rechtzeitig nachgeholt.
Fundstellen
Haufe-Index 2545119 |
HFR 2011, 487 |
NJW 2011, 458 |
EBE/BGH 2010 |
FamRZ 2011, 104 |
FA 2011, 20 |
AnwBl 2011, 148 |
MDR 2011, 124 |
WuM 2010, 765 |
FF 2011, 130 |
GuT 2010, 459 |
KP 2011, 40 |
NJW-Spezial 2011, 31 |
VE 2011, 16 |
VRR 2011, 3 |
Mitt. 2011, 44 |
Rafa-Z 2011, 10 |