Entscheidungsstichwort (Thema)
Qualifizierte elektronische Signatur im Berufungsverfahren. Elektronische Übermittlung der Berufungsbegründung. Verwendung der Signaturkarte durch unbefugte Dritte
Leitsatz (amtlich)
Bei einer elektronisch übermittelten Berufungsbegründung muss die qualifizierte elektronische Signatur grundsätzlich durch einen zur Vertretung bei dem Berufungsgericht berechtigten Rechtsanwalt erfolgen. Dieses Formerfordernis ist jedenfalls dann nicht gewahrt, wenn die Signatur von einem Dritten unter Verwendung der Signaturkarte des Rechtsanwalts vorgenommen wird, ohne dass dieser den Inhalt des betreffenden Schriftsatzes geprüft und sich zu eigen gemacht hat.
Normenkette
ZPO § 130a
Verfahrensgang
LG Potsdam (Beschluss vom 10.05.2010; Aktenzeichen 2 S 1/10) |
AG Zossen (Urteil vom 17.12.2009; Aktenzeichen 3 C 314/09) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Potsdam vom 10.5.2010 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 4.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Beleidigung auf Unterlassung und Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das AG hat die Klage mit Urteil vom 17.12.2009 abgewiesen. Dieses Urteil ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 7.1.2010 zugestellt worden. Mit einem im elektronischen Rechtsverkehr übermittelten anwaltlichen Schriftsatz vom 14.1.2010 hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Rechtsmittelschrift war mit elektronischer Signatur versehen. Am 8.3.2010, einem Montag, ist beim LG eine ebenfalls im elektronischen Rechtsverkehr übermittelte Berufungsbegründung eingegangen, die den Vermerk "Elektronisch signiert" trägt. Das vom LG über den Empfang dieses Schriftsatzes erstellte Protokoll enthält unter der Rubrik "Signatur vorhanden und zentral geprüft - Ergebnis:" den Eintrag: "Fehler". Nach gerichtlichem Hinweis vom 17.3.2010 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22.3.2010 eine gleichlautende, von Rechtsanwalt M. unterzeichnete Berufungsbegründung per Fax übermittelt. Mit gerichtlicher Verfügung vom 7.4.2010 sind die Prozessbevollmächtigten des Klägers darauf hingewiesen worden, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestünden, weil der im elektronischen Rechtsverkehr übermittelten Berufungsbegründung offenbar die Signatur des Absenders gefehlt habe. Daraufhin teilten die Klägervertreter unter Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung der bei ihnen angestellten Rechtsanwaltsgehilfin L. mit, diese habe am 8.3.2010 die Berufungsbegründung nach Diktat von Rechtsanwalt M. geschrieben. Der Text sei zunächst als RTF-Datei gespeichert und danach in eine PDF-Datei umgewandelt und abgespeichert worden. Diese Datei habe Frau L. unter Verwendung der Signaturkarte des Rechtsanwalts M. elektronisch signiert und am selben Tag gegen 14:18 Uhr an den elektronischen Briefkasten des LG übermittelt. Es sei technisch ausgeschlossen, dass eine nicht signierte Datei übermittelt worden sei, denn das Signaturprogramm habe die erfolgreiche Signatur mit der Meldung "pk7" bestätigt. Bei den Klägervertretern sei auch eine Eingangsbestätigung des LG eingegangen, die sie im Falle der Übermittlung eines nicht signierten Schriftsatzes nicht erhalten hätten. Vorsorglich hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung dieses Antrags hat er ausgeführt, dass, wenn seine Prozessbevollmächtigten die Eingangsbestätigung nicht erhalten hätten oder ihnen mitgeteilt worden wäre, dass eine unsignierte Berufungsbegründung bei Gericht eingegangen sei, sie am Tag des Fristablaufs entweder die Übersendung der signierten Berufungsbegründung hätten nachholen oder den Schriftsatz sicherheitshalber per Fax oder im Original hätten nachreichen können.
Rz. 2
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das LG den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die elektronisch übermittelte Berufungsbegründung signiert gewesen sei. Aus dem Schriftsatz der Klägervertreter und der eidesstattlichen Versicherung ihrer Angestellten L. ergebe sich, dass eine eventuelle Signatur nicht ordnungsgemäß erfolgt sei, da Rechtsanwalt M. den von Frau L. nach Diktat geschriebenen Schriftsatz nicht mehr gesehen bzw. gelesen und deshalb dessen Inhalt auch nicht mehr kontrolliert habe. Daher habe er auch nicht die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen. Zudem fehle es auch deshalb an der Unterzeichnung durch einen Rechtsanwalt, weil die Signatur nicht von den Prozessbevollmächtigten, sondern von Frau L. unter Verwendung der Signaturkarte des Rechtsanwalts M. vorgenommen worden sei. Die Berufung sei unzulässig, weil die per Fax eingereichte und anwaltlich unterzeichnete Berufungsbegründung erst nach Fristablauf bei Gericht eingegangen sei. Bei dieser Sachlage komme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.
Rz. 3
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch zulässig, weil die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO).
Rz. 5
2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Kläger hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Die Fristversäumung beruht auf einem Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten, welches er sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
Rz. 6
a) Die Rechtsbeschwerde wendet sich nicht gegen die dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegende Auffassung des Berufungsgerichts, dass im elektronischen Rechtsverkehr bestimmende Schriftsätze von der verantwortenden Person mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen werden müssen (vgl. BGH, Beschl. v. 14.1.2010 - VII ZB 112/08, BGHZ 184, 75 Rz. 15).
Rz. 7
b) Soweit sich die Rechtsbeschwerde dagegen wendet, dass das Berufungsgericht die ggf. erfolgte Signatur als nicht ordnungsgemäß bewertet hat, hat sie keinen Erfolg.
Rz. 8
aa) Nach § 130a Abs. 1 Satz 2 ZPO hat die das Dokument zu verantwortende Person die elektronische Signatur vorzunehmen. Daran fehlt es hier, weil die Signatur ggf. nicht von einem der Prozessbevollmächtigten des Klägers, sondern von der Rechtsanwaltsgehilfin L. unter Verwendung der Signaturkarte des Rechtsanwalts M. vorgenommen worden ist. Wird die Berufungsbegründung im Original oder per Fax eingereicht, muss sie als bestimmender Schriftsatz nach ständiger Rechtsprechung des BGH grundsätzlich von einem zur Vertretung bei dem Berufungsgericht berechtigten Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein (BGH, Beschl. v. 23.6.2005 - V ZB 45/04, NJW 2005, 2709; Versäumnisurteil vom 20.7.2010 - KZR 9/09, NJW 2010, 3661 Rz. 11 m.w.N.). Als Ersatz für die bei elektronischer Übermittlung technisch nicht mögliche Unterzeichnung erlaubt § 130a Abs. 1 Satz 2 ZPO die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur. Diese muss, um einer eigenhändigen Unterzeichung gleichwertig zu sein, von demjenigen vorgenommen werden, dessen Unterschrift dem Formerfordernis genügen würde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.9.2010 - 7 B 15/10, juris Rz. 24). Bei einer elektronisch übermittelten Berufungsbegründung muss die qualifizierte elektronische Signatur deshalb grundsätzlich durch einen zur Vertretung bei dem Berufungsgericht berechtigten Rechtsanwalt erfolgen. Dieses Formerfordernis ist jedenfalls dann nicht gewahrt, wenn die Signatur von einem Dritten unter Verwendung der Signaturkarte des Rechtsanwalts vorgenommen wird, ohne dass dieser den Inhalt des betreffenden Schriftsatzes geprüft und sich zu eigen gemacht hat.
Rz. 9
bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde wäre die von der Rechtsanwaltsgehilfin L. ggf. vorgenommene Signatur auch nicht nach den für Blanko-Unterschriften geltenden Grundsätzen als formgerecht zu bewerten. Ein mittels Blanko-Unterschrift des Rechtsanwalts weisungsgemäß erstellter bestimmender Schriftsatz erfüllt die gesetzlichen Formerfordernisse nur, wenn der Anwalt den Inhalt des Schriftsatzes so genau festgelegt hat, dass er dessen eigenverantwortliche Prüfung bestätigen kann. Das kann im Einzelfall bei einem weitgehend formalisierten Text der Fall sein (vgl. BGH, Beschl. v. 20.12.1965 - VIII ZB 33/65, VersR 1966, 168; v. 23.6.2005 - V ZB 45/04, a.a.O., S. 2710), scheidet jedoch bei Rechtsmittelbegründungen regelmäßig aus, weil der Anwalt die ihm obliegende eigenverantwortliche Prüfung hier nur bestätigen kann, wenn er den Text im Einzelnen kennt (vgl. BAG NJW 1983, 1447). Dazu reicht das Diktat des Schriftsatzes grundsätzlich nicht aus. Da Übertragungsfehler nicht ausgeschlossen werden können, muss der Rechtsanwalt jedenfalls den Text längerer Schriftsätze nach deren Ausdruck prüfen. Nach diesen Grundsätzen wäre vorliegend die gesetzlich vorgeschriebene Unterzeichung der mehrseitigen Berufungsbegründungsschrift im Falle einer Blanko-Unterschrift nicht gewahrt. Entsprechendes gilt für eine elektronische Signatur.
Rz. 10
c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann die Frage, ob die in elektronischer Form übermittelte Berufungsbegründungsschrift mit einer Signatur versehen war, dahinstehen. Das Vorbringen des Klägers dazu, dass seine Prozessbevollmächtigten angesichts der ihnen zugegangenen Eingangsbestätigung auf die erfolgreiche Signatur des Schriftsatzes vertraut hätten, vermag die vorsorglich begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis nämlich nicht zu rechtfertigen. Der Kläger hat nicht hinreichend vorgetragen, dass, wenn seine Prozessbevollmächtigten die Eingangsbestätigung nicht erhalten hätten oder ihnen mitgeteilt worden wäre, dass eine unsignierte Berufungsbegründung bei Gericht eingegangen sei, eine unterzeichnete oder ordnungsgemäß elektronisch signierte Berufungsbegründung rechtzeitig beim LG eingegangen wäre. Nach seinem Vorbringen ist nicht auszuschließen, dass Frau L. am selben Tag nochmals eine elektronische Übermittlung versucht und diese Erfolg gehabt hätte. Damit wäre aber wiederum die vorgeschriebene Form nicht gewahrt worden, weil es dafür an der erforderlichen ordnungsgemäßen, nämlich von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt vorgenommenen Signatur fehlte. Dass auch die Möglichkeit bestanden hätte, den Schriftsatz rechtzeitig im Original einzureichen oder per Fax zu übermitteln, besagt nicht, dass dieser Weg - statt einer nochmaligen elektronischen Übermittlung - beschritten worden wäre.
Rz. 11
Dass die Rechtsanwaltsgehilfin L. die elektronische Signatur weisungswidrig selbst vorgenommen habe, macht der Kläger nicht geltend. Mithin ist insoweit von einem anwaltlichen Organisationsfehler auszugehen. Diesen muss sich der Kläger als eigenes Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO).
Rz. 12
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 2659969 |
BGHZ 2011, 38 |
DStR 2011, 13 |
HFR 2011, 703 |
NJW 2011, 1294 |
NJW 2011, 8 |
EBE/BGH 2011, 50 |
CR 2011, 322 |
JurBüro 2011, 334 |
WM 2011, 478 |
ZAP 2011, 291 |
AnwBl 2011, 295 |
MDR 2011, 251 |
NJ 2011, 169 |
VersR 2011, 547 |
ITRB 2011, 121 |
ITRB 2011, 152 |
K&R 2011, 198 |
MMR 2011, 283 |
PA 2011, 79 |
RENOpraxis 2011, 82 |
BRAK-Mitt. 2011, 77 |
Mitt. 2011, 148 |