Leitsatz (amtlich)
Das für die Entscheidung über einen Antrag auf Verlängerung der Sicherungshaft zuständige AG ist nicht verpflichtet, von Amts wegen zu prüfen, ob sich für den Betroffenen im Verfahren über die vorangegangene Haftanordnung ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt hat. Anders liegt es, wenn dem Haftrichter bekannt ist, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Verfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde; dann muss er den Betroffenen fragen, ob dieser ihn auch im Verfahren über die Haftverlängerung vertreten soll, und, wenn die Frage bejaht wird, dem Rechtsanwalt eine Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen ermöglichen.
Normenkette
FamFG §§ 420, 425 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Traunstein (Beschluss vom 22.06.2017; Aktenzeichen 4 T 1047/17, 4 T 1395/17) |
AG Mühldorf a. Inn (Beschluss vom 13.04.2017; Aktenzeichen 1 XIV 72/17) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des LG Traunstein - 4. Zivilkammer - vom 22.6.2017 wird auf Kosten des Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Dolmetscherkosten nicht erhoben werden.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Betroffene, ein tunesischer Staatsangehöriger, wurde am 20.3.2017 wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise vorläufig festgenommen.
Rz. 2
Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das für den Aufgriffsort zuständige AG am 21.3.2017 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 18.4.2017 an. Am 1.4.2017 bestellte sich der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen für diesen und legte gegen die Haftanordnung Beschwerde ein, die er mit weiterem Schriftsatz vom 10.4.2017 begründete.
Rz. 3
Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 12.4.2017 hat das für den Haftort zuständige AG mit Beschluss vom 13.4.2017 die Haft bis zum 11.5.2017 verlängert. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen ist weder über den Haftantrag informiert noch zu der dem Beschluss vom 13.4.2017 vorausgegangenen persönlichen Anhörung des Betroffenen geladen worden. Mit Schriftsatz vom 21.4.2017 hat sich der Verfahrensbevollmächtigte für den Betroffenen auch in diesem Verfahren bestellt und gegen den Beschluss vom 13.4.2017 Beschwerde eingelegt.
Rz. 4
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das LG die - nach der Abschiebung des Betroffenen am 10.5.2017 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftverlängerung gerichtete - Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene weiterhin die Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 13.4.2017 festgestellt wissen. Er meint, das für den Haftort zuständige AG habe sich bei dem für den Aufgriffsort zuständigen AG erkundigen müssen, ob sich dort ein Verfahrensbevollmächtigter für ihn bestellt habe.
II.
Rz. 5
Das Beschwerdegericht hält die Verlängerung der Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen für rechtmäßig. Die unterlassene Ladung des Verfahrensbevollmächtigten eines Betroffenen zu dessen persönlicher Anhörung könne zwar zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung führen. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen habe sich im Zeitpunkt der Ladung zur Anhörung in dem Verfahren vor dem AG aber noch nicht bestellt gehabt, so dass seine Ladung nicht veranlasst gewesen sei. Bei dem Haftverlängerungsverfahren handele es sich nämlich um ein eigenständiges Verfahren, in welchem eine gesonderte Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten erforderlich sei. Das für den Haftort zuständige AG habe im Zeitpunkt der Ladung und der Anhörung keine Kenntnis von der Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten in dem ersten Verfahren gehabt. Dieser sei insb. nicht im Rubrum des dort ergangenen Beschlusses aufgeführt.
III.
Rz. 6
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung stand.
Rz. 7
1. Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse v. 25.2.2010 - V ZA 2/10, juris Rz. 10; v. 31.1.2012 - V ZB 117/11, juris Rz. 4; v. 10.7.2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rz. 8; v. 20.5.2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rz. 6 u. 20 m.w.N.; v. 22.8.2019 - V ZB 39/19, juris Rz. 4). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zu der Rechtswidrigkeit der Haft. Es kommt nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf dem Fehler beruht. Das gilt auch für die Verlängerung der Abschiebungs- oder Rücküberstellungshaft, auf die nach § 425 Abs. 3 FamFG die Vorschriften über den Erstantrag, also auch diejenigen über die Anhörung, uneingeschränkt anzuwenden sind (vgl. Senat, Beschlüsse v. 6.4.2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rz. 7; v. 13.7.2017 - V ZB 89/16, juris Rz. 5; v. 3.5.2018 - V ZB 230/17, Asylmagazin 2018, 387 Rz. 7; v. 22.8.2019 - V ZB 39/19, juris Rz. 7 f.).
Rz. 8
2. Hier lässt sich jedoch nicht feststellen, dass das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren verletzt worden ist. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen wurde zwar nicht zu der Anhörung geladen, das ist aber nicht auf einen Verfahrensfehler des für die Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung der angeordneten Haft zuständigen AG am Haftort zurückzuführen.
Rz. 9
a) Das AG muss einen Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen zum Anhörungstermin nur laden und ihn über die Ladung des Betroffenen zu diesem Termin nur unterrichten, wenn der Bevollmächtigte sich in dem Verfahren zur Entscheidung über den Haftantrag der beteiligten Behörde bestellt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 4.3.2010 - V ZB 222/09, FGPrax 2010, 154 Rz. 18, insoweit nicht in BGHZ 184, 323 abgedruckt). Eine solche Bestellung ist nicht entbehrlich, wenn der Verfahrensbevollmächtigte den Betroffenen in dem ausländerrechtlichen Verfahren vertritt. Denn dabei handelt es sich um ein anderes Verfahren, das vor einem anderen Gericht bzw. einer anderen Behörde geführt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 1.12.2011 - V ZB 73/11, FGPrax 2012, 83 Rz. 10).
Rz. 10
b) Das gilt auch dann, wenn der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen - wie hier - Beschwerde gegen die Erstanordnung von Sicherungshaft eingelegt hat. Hieraus folgt nicht zwingend eine Bestellung auch für das Verfahren über einen Antrag auf Verlängerung der Sicherungshaft (Senat, Beschl. v. 3.5.2018 - V ZB 230/17, Asylmagazin 2018, 387 Rz. 7).
Rz. 11
aa) Für die Verlängerung der Freiheitsentziehung gelten, wie bereits ausgeführt, nach § 425 Abs. 3 FamFG die Vorschriften über die erstmalige Anordnung entsprechend. Das Verfahren über einen Antrag auf Verlängerung der angeordneten Sicherungshaft ist deshalb ein eigenständiges Verfahren, das mit dem Verfahren über den erstmaligen Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft nicht identisch ist. Beide Verfahren betreffen einen unterschiedlichen Gegenstand; sie werden unter Umständen - wie hier - vor unterschiedlichen Gerichten und stets in gesonderten Akten geführt. Der Haftrichter, der über die Verlängerung der Haft entscheidet, prüft in den Fällen, in denen ein anderes Gericht die Haft erstmalig angeordnet hat, nicht zugleich, ob die Haft überhaupt angeordnet werden durfte. Vielmehr bleibt das Gericht, das die ursprüngliche Haftanordnung erlassen hat, für die Entscheidung über die Aussetzung oder Aufhebung dieser Haft gem. § 424 oder § 426 FamFG so lange zuständig, bis es gem. § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG die Sache an das Gericht des Haftortes abgegeben hat (zum Ganzen vgl. Senat, Beschlüsse v. 2.3.2017 - V ZB 122/15, InfAuslR 2017, 293 Rz. 13; v. 3.5.2018 - V ZB 230/17, Asylmagazin 2018, 387 Rz. 7).
Rz. 12
bb) Entgegen der Ansicht des Betroffenen ist das für die Entscheidung über einen Antrag auf Verlängerung der Sicherungshaft zuständige AG nicht verpflichtet, von Amts wegen zu prüfen, ob sich für den Betroffenen im Verfahren über die vorangegangene Haftanordnung ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt hat. Anders liegt es, wenn dem Haftrichter bekannt ist, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Verfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde; dann muss er den Betroffenen fragen, ob dieser ihn auch im Verfahren über die Haftverlängerung vertreten soll, und, wenn die Frage bejaht wird, dem Rechtsanwalt eine Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen ermöglichen (dazu: Senat, Beschl. v. 22.8.2019 - V ZB 39/19, juris Rz. 7 f.).
Rz. 13
(1) Der Beschwerdeführer begründet seine abweichende Ansicht im Wesentlichen damit, dass die Rechte eines Betroffenen durch die gesetzlich angeordnete Anwendung der Vorschriften über den ersten Haftantrag auf die Verlängerung einer Freiheitsentziehung nicht geschmälert werden dürften. Sie könnten nur dann effektiv ausgeübt werden, wenn sich der Haftrichter, der über einen Verlängerungsantrag entscheide, von sich aus über das Verfahren, das der vorausgegangenen Haftanordnung zugrunde liege, kundig mache und einen dort bestellten Rechtsanwalt von dem Verlängerungsantrag und dem anberaumten Termin zur persönlichen Anhörung in Kenntnis setze. Dem Betroffenen selbst sei das nicht effektiv möglich, weil er gewöhnlich erst anlässlich seiner persönlichen Anhörung mit dem neuen Haftantrag konfrontiert werde und vor Erlass der Haftanordnung keine Möglichkeit der Reaktion habe.
Rz. 14
(2) Dem kann nicht beigetreten werden. Es ist Aufgabe des Betroffenen und ihm auch mit zumutbaren Mittel möglich, das mit einem Antrag auf Verlängerung der Sicherungshaft befasste Gericht darüber zu unterrichten, dass er anwaltlich vertreten ist.
Rz. 15
(a) Ein Betroffener kann dem mit einem Antrag auf Verlängerung der Sicherungshaft befassten Gericht bei seiner persönlichen Anhörung mitteilen, dass er einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung beauftragt hat und diesen hinzuziehen will. Das Recht dazu wird dem Betroffenen aufgrund des in dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Grundsatzes des fairen Verfahrens garantiert. Deshalb muss das Gericht in einem solchen Fall durch seine Verfahrensgestaltung sicherstellen, dass der Betroffene mit seinem Rechtsanwalt Kontakt aufnehmen und klären kann, ob der Rechtsanwalt eine Teilnahme an der Anhörung ermöglichen oder einen Vertreter damit beauftragen wird; ggf. ist ein neuer Anhörungstermin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse v. 20.5.2016 - V ZB 140/15, NVwZ 2016, 1430 Rz. 6; v. 25.10.2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rz. 5).
Rz. 16
(b) Darüber hinaus kann sich der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen vor Ablauf der ersten Haftanordnung bei der Ausländerbehörde erkundigen, ob ein Verlängerungsantrag gestellt werden soll und die Behörde bitten, ihn in diesem Antrag als Verfahrensbevollmächtigten zu benennen. Einem solchen Anliegen wird die beteiligte Behörde schon deshalb entsprechen, weil sie andernfalls damit rechnen müsste, dass das AG erst im Rahmen der Anhörung von dem Betroffenen erfährt, dass er anwaltlich vertreten ist, und dass deshalb ein neuer Anhörungstermin erforderlich wird (vgl. oben Rz. 15).
Rz. 17
c) Danach stellt es keinen Verfahrensfehler dar, dass der (spätere) Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen bei dessen Anhörung zu dem Verlängerungsantrag der beteiligten Behörde nicht beteiligt worden ist. Dabei kann offenbleiben, ob sich die Bevollmächtigung des Verfahrensbevollmächtigten auch auf Verfahren zur Verlängerung der Haft bezog. Denn das mit dem Verlängerungsantrag befasste AG ist weder von dem Verfahrensbevollmächtigten noch, was ausreichen kann (OLG Celle, InfAuslR 1999, 462; OLG München OLGR München 2008, 144, 145; OLG Rostock OLGR Rostock 2006, 502, 504), von anderer Seite darüber unterrichtet worden, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Haftanordnungsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten war. Es hatte deshalb keinen Anlass, den Betroffenen danach zu fragen, ob er durch diesen Rechtsanwalt auch im Verlängerungsverfahren vertreten werden wolle und diesem die Teilnahme an der persönlichen Anhörung zu ermöglichen (vgl. zu dieser Konstellation: Senat, Beschl. v. 22.8.2019 - V ZB 39/19, juris Rz. 7). Das Gericht hat von der anwaltlichen Vertretung des Betroffenen erst durch die Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten im Zusammenhang mit der Einlegung der Beschwerde gegen die Anordnung der Verlängerung der Sicherungshaft erfahren.
IV.
Rz. 18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG und Art. 6 Abs. 3 Buchstabe e EMRK analog, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 36 Abs. 3 GNotKG.
Fundstellen
InfAuslR 2020, 30 |
JZ 2019, 823 |