Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinweispflicht des Berufungsgerichts, wenn es in seiner Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte abstellen will, mit denen ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste. Erstreckung der Abtretung eines Anspruchs auf Pacht auf die nach Kündigung des Pachtvertrags bis zur Räumung zu zahlende Nutzungsentschädigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Es verletzt den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und die Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO, wenn das Gericht in seiner Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste.
2. Hat der Pächter seinen Anspruch auf Pacht an einen Dritten abgetreten, ist durch Auslegung der Abtretungsvereinbarung zu ermitteln, ob davon auch die nach Kündigung des Pachtvertrags bis zur entgültigen Räumung des Pachtobjekts zu zahlende Nutzungsentschädigung mit umfasst ist.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 139 Abs. 2; BGB §§ 584b, 581 Abs. 2, § 543 Abs. 3
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 02.09.2004; Aktenzeichen 20 U 113/03) |
LG Berlin (Entscheidung vom 17.03.2003; Aktenzeichen 25 O 539/02) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 2. September 2004 zugelassen, soweit die Beklagte zur Zahlung von 26.549,52 EUR nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt worden ist.
Insoweit und im Kostenpunkt wird auf die Revision der Beklagten das Urteil des 20. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 2. September 2004 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision sowie der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen (Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer 6.912,24 EUR [Mehrwertsteuer] nebst Zinsen) wird die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.
Gegenstandswert: |
26. 549,52 EUR |
(Revision) |
|
6.912,24 EUR |
(Nichtzulassungsbeschwerde) |
Tatbestand
I.
Die Klägerin verlangt als Zwangsverwalterin eines Grundstücks von der Beklagten Pachtzins und Nutzungsentschädigung in Höhe von insgesamt 50.133,76 EUR.
Die Beklagte pachtete mit Vertrag vom 22. Februar 2001 von den Eigentümern ein Grundstück in Berlin. Der monatliche Pachtzins betrug 29.500 DM (15.083,11 EUR) zuzüglich MWSt. In § 6 des Pachtvertrages heißt es:
„§ 6 Abtretung
1. Der Pachtzins wird abgetreten an die D.bank … AG in Höhe von zurzeit monatlich 29.500 DM …
Der monatliche Pachtzins wird von der Pächterin unmittelbar an die D.bank … AG als Zessionarin auf das Darlehenskonto … überwiesen, bis zum 30. Juni 2001 jedoch nur ein Betrag von 25.000 DM. Nach dem 30. Juni 2001 erfolgt die Überweisung in Höhe von monatlich 29.500 DM.
…”
Die D.bank … AG betreibt die Zwangsvollstreckung in das Grundstück. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 7. Dezember 2001 wurde die Klägerin als Zwangsverwalterin bestellt. Die Zwangsverwalterin hat den Pachtvertrag mit Schreiben vom 13. Juni 2002 wegen Zahlungsverzugs der Beklagten unter Gewährung einer Räumungsfrist bis zum 10. Juli 2002 gekündigt. Die Beklagte hat das Grundstück am 6. August 2002 an die Klägerin herausgegeben. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Pachtzins bzw. Nutzungsentschädigung für Mai in Höhe eines Restbetrages von 11.734,54 EUR, für Juni und Juli jeweils den vollen Pachtzins in Höhe von 17.496,41 EUR und für die Zeit vom 1. August bis 6. August 2002 einen Betrag von 3.386,40 EUR, insgesamt also 50.113,76 EUR. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klageforderung sei an die Bank abgetreten. Die Abtretung sei nicht nach § 1124 Abs. 2 BGB unwirksam geworden, da die Bank die Zwangsvollstreckung selbst betreibe. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin in vollem Umfang Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 33.461,76 EUR nebst Zinsen verurteilt und im Übrigen die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Abtretung an die Bank sei wirksam. Sie umfasse aber nur den Nettopachtzins, nicht aber die Nutzungsentschädigung und die vereinbarte MWSt. Diese beiden Posten stünden daher der Klägerin zu. Nutzungsentschädigung schulde die Beklagte ab 14. Juni 2002 (ein Tag nach Zugang der Kündigungserklärung) bis zum 6. August 2002 (Tag des Auszugs). Dies ergebe einen Betrag von insgesamt 30.797,44 EUR einschließlich MWSt (entsprechend 26.549,52 EUR netto zuzüglich 4.247,92 EUR MWSt). Außerdem stehe der Klägerin für die Monate Mai 2002 restliche MWSt in Höhe von 1.618,56 EUR und für die Zeit vom 1. Juni bis 13. Juni 2002 in Höhe von 1.045,76 EUR, insgesamt somit 2.664,32 EUR zu. Die Revision hat das Kammergericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Zulassung der Revision und die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils zu erreichen sucht.
Entscheidungsgründe
II.
Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO insoweit aufzuheben, als die Beklagte zur Zahlung der Netto-Nutzungsentschädigung in Höhe von 26.549,52 EUR verurteilt worden ist.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist in diesem Umfang begründet. Das Berufungsgericht hat, ohne vorher einen Hinweis zu geben, seine Entscheidung insoweit auf einen Gesichtspunkt gestützt, den beide Parteien und das Erstgericht anders beurteilt haben. Damit hat es nicht nur § 139 Abs. 2 ZPO, sondern auch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör gemäß § 103 Abs. 1 GG verletzt. Ein Gericht verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG und das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn es ohne vorherigen Hinweis auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfG NJW 2003, 2524). Das ist hier, wie die Beklagte zu Recht rügt, der Fall.
1. Das Berufungsgericht geht allerdings zu Recht davon aus, dass die außerordentliche Kündigung im Schreiben der Klägerin vom 13. Juni 2002 das Pachtverhältnis sofort und nicht erst mit Ablauf der Räumungsfrist am 10. Juli 2002 beendet hat. Denn die Klägerin hat, wie sich aus der Klageschrift – entgegen der Behauptung der Nichtzulassungsbeschwerde – ergibt, das Pachtverhältnis gemäß § 581 Abs. 2, § 543 Abs. 3 BGB wegen Zahlungsverzugs der Beklagten außerordentlich fristlos gekündigt. Damit war mit Zugang der Kündigung das Pachtverhältnis sofort beendet. Die Einräumung einer Räumungsfrist ändert daran nichts.
Weiter hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte für die Räumungsfrist vom 14. Juni bis 10. Juli 2002 Nutzungsentschädigung schuldet. Dies scheitert entgegen der Meinung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht daran, dass die Beklagte der Klägerin in diesem Zeitraum die Pachtsache nicht vorenthalten habe. Im Rahmen des Mietrechts ist bereits entschieden, dass zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Vorenthaltung nach § 546 a BGB der grundsätzliche Rückerlangungswille des Vermieters ausreicht. Davon ist bei Einräumung einer Räumungsfrist auszugehen. Die Entschädigungsforderung steht dem Vermieter daher auch für den Zeitraum zu, für den er eine Räumungsfrist gewährt hat (BGH Urteil vom 13. Oktober 1982 – VIII ZR 197/81 – NJW 1983, 112). Für ein Pachtverhältnis gilt nichts anderes. Dies ist umso mehr der Fall, als § 546 a und § 584 b BGB im Hinblick auf die genannte Tatbestandsvoraussetzung denselben Wortlaut haben.
2. Die Beklagte rügt jedoch, dass das Berufungsgericht entgegen der übereinstimmenden Bewertung der Parteien und der Sichtweise des Landgerichts angenommen habe, dass die Ansprüche auf Nutzungsentschädigung nicht von der Abtretung umfasst seien, und insoweit auch keinen Hinweis erteilt habe. Hätte das Berufungsgericht einen Hinweis erteilt, hätte sie dargelegt, dass eine Vertragsauslegung, die sich am mutmaßlichen Willen der Parteien und an der Interessenlage orientiere, zwingend dazu führe, dass die Abtretung des Pachtzinses auch die an seine Stelle tretende Nutzungsentschädigung umfasse. Diese Rüge greift durch. Das Urteil des Berufungsgerichts stellt sich als Überraschungsentscheidung dar, was nicht nur gegen § 139 Abs. 2 ZPO, sondern zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstößt.
Der Verstoß ist auch entscheidungserheblich. Hiervon ist bereits dann auszugehen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung der Stellungnahmen der Parteien anders entschieden hätte (vgl. BGH Urteil vom 18. Juli 2003 – V ZR 187/02 – NJW 2003, 3205 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Dies ist hier der Fall.
III.
Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Soweit die Beklagte zur Zahlung der MWSt-Anteile in Höhe von 6.912,24 EUR verurteilt worden ist, liegt ein Zulassungsgrund nicht vor. Ein Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte ist nicht gerügt. Die Rechtssache hat insoweit auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.
IV.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Parteien insbesondere zu prüfen haben wird, ob unter dem Begriff Pachtzins in § 6 des Vertrages im Hinblick auf den Zweck der Abtretung und die Interessenlage nicht auch ein Entschädigungsanspruch nach § 584 b BGB zu verstehen ist (vgl. Wolf/Eckert/Ball Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts 9. Aufl. Rdn. 474; vgl. auch Senatsurteil BGHZ 140, 175). Gegebenenfalls werden auch die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung heranzuziehen sein.
Unterschriften
Hahne, Sprick, Ahlt, Vézina, Dose
Fundstellen