Leitsatz (amtlich)
Zur teilweisen (Un-)Zulässigkeit einer Berufung.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Würzburg (Beschluss vom 18.02.2020; Aktenzeichen 42 S 2362/19) |
AG Würzburg (Urteil vom 04.12.2019; Aktenzeichen 32 C 290/19) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 4. Zivilkammer das LG Würzburg vom 18.2.2020 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt bis 3.000 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf restlichen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Sie verlangte von den Beklagten Reparaturkosten i.H.v. 3.847 EUR, Sachverständigenkosten i.H.v. 742,20 EUR, eine Unkostenpauschale i.H.v. 30 EUR und Mietwagenkosten i.H.v. 862,75 EUR. Die Beklagte regulierte auf Basis einer Haftungsquote von 50 %, auf die Mietwagenkosten zahlte sie allerdings nur 174,34 EUR. Mit der Klage hat die Klägerin die zweite Hälfte der Reparatur-, Sachverständigenkosten und der Unkostenpauschale sowie die Differenz der Mietwagenkosten geltend gemacht (insgesamt: 2.998,01 EUR).
Rz. 2
Das AG hat der Klage nur i.H.v. 112,37 EUR stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Der Unfall sei auf Basis einer Haftungsquote von 50 % abzuwickeln; für den Fahrer des klägerischen Autos sei der Unfall entgegen der Ansicht der Klägerin nicht unvermeidbar gewesen. Die Mietwagenkosten seien mit 862,75 EUR überhöht. Zugrunde zu legen sei der "Normaltarif" i.H.v. 573,43 EUR, die davon geschuldete Hälfte (286,71 EUR) abzgl. der bereits gezahlten 174,34 EUR ergebe den ausgeurteilten Betrag von 112,37 EUR.
Rz. 3
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie zunächst ihren erstinstanzlichen Klageantrag abzgl. der ausgeurteilten 112,37 EUR (insgesamt noch 2.885,64 EUR) weiter verfolgt hat. In der Berufungsbegründung hat sie ausgeführt, dass und weshalb entgegen der Ansicht des AG nicht von einer Haftungsquote von 50 %, sondern von einer vollen Haftung der Beklagten auszugehen sei.
Rz. 4
Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, dass die Berufung unzulässig sei, weil sich die Begründung nur mit der Haftungsquote befasse, hat die Klagepartei erwidert, dass die Berufung nur teilweise - nämlich hinsichtlich eines Teils der Mietwagenkosten - unzulässig sei, und den Klageantrag im Hinblick darauf auf 2.586,31 EUR reduziert.
Rz. 5
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, da die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genüge. Das angefochtene Urteil sei nicht nur auf die von der Berufungsbegründung allein angegriffene Haftungsquote von 50 % gestützt, sondern darüber hinaus noch auf die als überhöht angesehenen Mietwagenkosten. Selbst die Annahme einer vollen Haftung führe nicht zum (mit dem ersten Berufungsantrag) angestrebten vollständigen Erfolg der Klage. Die erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erklärte Reduzierung des ursprünglichen Berufungsantrags könne der insgesamt unzulässigen Berufung nicht "rückwirkend" zur nachträglichen Zulässigkeit verhelfen.
Rz. 6
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 7
Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Sie ist auch begründet. Nach der erfolgten Teilrücknahme der Berufung genügt die Berufungsbegründung vollumfänglich den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.
Rz. 8
1. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 17.2.2020 - als Reaktion auf den Hinweis des Berufungsgerichts - ihre Berufung teilweise gem. § 516 Abs. 1 ZPO zurückgenommen. Sie hat deutlich gemacht, dass sie hinsichtlich der Mietwagenkosten die vom AG vorgenommene Kürzung insoweit akzeptiert, als dieses von den geltend gemachten 872,75 EUR nur einen Betrag von 573,43 EUR (als "Normaltarif") anerkannt hat, und dass sie nur die weitere Kürzung um 50 % im Hinblick auf die angenommene Haftungsquote angreift.
Rz. 9
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die - somit nur noch zum Teil anhängige - Berufung zulässig, ihr fehlt es insb. Nicht - auch nicht teilweise - an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung. Der vom Berufungsgericht angenommene Fall einer nach Fristablauf nicht möglichen nachträglichen "Heilung" einer bis dahin unzulänglichen Berufungsbegründung (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 27.1.2015 - VI ZB 40/14 VersR 2015, 728 Rz. 15) liegt nicht vor.
Rz. 10
a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 11.2.2020 - VI ZB 54/19 NJW-RR 2020, 503 Rz. 5 f. m.w.N.).
Rz. 11
Im Falle einer umfassenden Anfechtung des gesamten Urteils muss die Berufungsbegründung geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen. Die Berufung ist deshalb unzulässig, soweit die Berufungsbegründung das Urteil bezüglich eines quantitativ abgrenzbaren Teils des Streitgegenstandes nicht angreift. Nur für den nicht begründeten Teil ist die Berufung dann unzulässig, im Übrigen ist sie zulässig (BGH, Beschl. v. 16.10.2007 - VIII ZB 26/07 NJW-RR 2008, 584 Rz. 6; Urt. v. 13.11.1997 - VII ZR 199/96 NJW 1998, 1081, 1082, juris Rz. 9; v. 13.2.1997 - III ZR 285/95 NJW 1997, 1309, juris Rz. 6).
Rz. 12
b) Den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO wurde die Berufungsbegründung für den ursprünglich gestellten Berufungsantrag nur zu einem geringen Teil nicht gerecht; die nunmehr - nach Teilrücknahme - noch anhängige Berufung ist vollständig zulässig.
Rz. 13
Für die Rechnungsposten Reparaturkosten, Sachverständigenkosten und Unkostenpauschale stützt sich das insoweit vollständig klageabweisende Urteil des AG allein auf die Begründung, dass die Beklagten nur zu 50 % hafteten. Insoweit war die Berufung der Klägerin, die in der Berufungsbegründung die Haftungsverteilung angegriffen hat, von vornherein zulässig. Allein für die Mietwagenkosten hat sich das erstinstanzliche Urteil auf zwei Begründungen gestützt, wobei jede Begründung nur einen Teil der insoweit erfolgten Abzüge trug: Es hat zunächst eine Reduzierung des der Klage zugrunde gelegten Ausgangsbetrags von 862,75 EUR (um 289,32 EUR) auf den "Normaltarif" (573,43 EUR) und sodann eine hälftige Teilung im Hinblick auf die Haftungsquote vorgenommen. In der Berufungsbegründung hat sich die Klägerin allein gegen die Haftungsquote gewandt, nicht aber gegen die (zuvor erfolgte) Reduzierung auf den "Normaltarif". Ihre Berufung war daher ursprünglich hinsichtlich eines quantitativ abgrenzbaren Teils des Streitgegenstandes (289,32 EUR) unzulässig, im Übrigen aber zulässig. Mit der Erklärung im Schriftsatz vom 17.2.2020, dass nur die Kürzung auf 573,43 EUR, nicht aber die Kürzung um 50 % akzeptiert werde, und der Reduzierung des Berufungsantrags ist dieser nunmehr der Berufungsbegründung angepasst. Die noch anhängige Berufung ist damit vollumfänglich zulässig. Ob die der Teilrücknahme zugrunde liegende Berechnung zutreffend ist, ist allein eine Frage der Schlüssigkeit der Berufung.
Rz. 14
3. Die Sache ist zur Entscheidung über die Begründetheit des Rechtsmittels an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 14287078 |
NJW-RR 2021, 189 |
JZ 2021, 115 |
MDR 2021, 379 |
VRS 2020, 312 |
VersR 2021, 667 |