Leitsatz (amtlich)
a) Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen ist und deshalb - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte. Das gilt auch bei einer von einem Familiensenat eines OLG erteilten Rechtsbehelfsbelehrung, wenn der Fehler in keiner Weise nachvollziehbar ist und sich das Vorliegen eines offensichtlichen Versehens aufdrängt (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 24.1.2018 - XII ZB 534/17 FamRZ 2018, 699).
b) Zur Ausgangskontrolle bei Versendung fristwahrender Schriftsätze per Telefax.
Normenkette
ZPO § 233 Fa
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Beschluss vom 17.12.2019; Aktenzeichen 2 UF 156/19) |
AG Hamburg-St. Georg (Beschluss vom 26.09.2019; Aktenzeichen 983 F 238/18) |
Tenor
Die Anträge des Antragsgegners auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Familiensenats des OLG Hamburg vom 17.12.2019 werden zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde gegen den vorgenannten Beschluss wird auf Kosten des Antragsgegners verworfen.
Der Wert der Rechtsmittelverfahren wird - hinsichtlich des Werts des Beschwerdeverfahrens in Abänderung des vorgenannten Beschlusses - auf 25.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Antragsteller nimmt den Antragsgegner, seinen früheren Schwiegersohn, auf Darlehensrückzahlung in Anspruch.
Rz. 2
Das AG - FamG - hat den Antragsgegner nach Durchführung einer Beweisaufnahme zur Zahlung von 25.500 EUR verpflichtet. Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 1.10.2019 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt, die am 4.11.2019 beim AG eingegangen ist. Zugleich hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist beantragt.
Rz. 3
Das OLG hat die Wiedereinsetzung abgelehnt und die Beschwerde verworfen. Der dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 2.1.2020 zugestellte Beschluss enthält die folgende Rechtsbehelfsbelehrung: "Der Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar". Der Antragsgegner hat gegen den Beschluss zunächst Anhörungsrüge erhoben, die vom OLG zurückgewiesen worden ist. Unter dem 5.5.2020, dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners zugestellt am 25.5.2020, hat der Senatsvorsitzende in Bezug auf eine nochmalige Anhörungsrüge des Antragsgegners auf die Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung hingewiesen.
Rz. 4
Der Antragsgegner hat am 8.6.2020 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese am 24.6.2020 begründet. Er beantragt Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einlegungs- und Begründungsfrist.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist wegen Versäumung der mit dem 3.2.2020 (Montag) abgelaufenen Einlegungsfrist nach § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG unzulässig. Eine Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde ist nicht zu gewähren.
Rz. 6
1. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 233 ZPO liegen nicht vor. Denn die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ist nicht unverschuldet versäumt worden. Der Antragsgegner muss sich insoweit das Verschulden seines zweitinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
Rz. 7
a) Nach § 233 Satz 2 ZPO wird ein Fehlen des Verschuldens zwar vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Dabei darf auch ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Richtigkeit einer durch das Gericht erteilten Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen. Gleichwohl muss von ihm erwartet werden, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung kann er deshalb nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat. Die Fristversäumung ist mithin auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen ist und deshalb - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte (BGH, Beschl. v. 24.1.2018 - XII ZB 534/17 - FamRZ 2018, 699 Rz. 7 m.w.N.; vgl. BVerfG Beschl. v. 4.9.2020 - 1 BvR 2427/19 - juris Rz. 33 ff.).
Rz. 8
b) Nach diesen Maßstäben war die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist durch den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners nicht unverschuldet, weil die Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung für den zweitinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners offenkundig war. Die Einordnung des vorliegenden Verfahrens als Familienstreitsache gehört zu den verfahrensrechtlichen Grundkenntnissen eines im Familienrecht tätigen Rechtsanwalts. Diese konnte im vorliegenden Fall schon deshalb nicht zweifelhaft sein, weil nur dadurch die Zuständigkeit des FamG begründet worden und zudem § 266 FamFG im Rubrum des angefochtenen Beschlusses als einschlägige Norm aufgeführt ist. Dass für Familienstreitsachen ihrer Rechtsnatur entsprechend weitgehend auf die Vorschriften des Zivilprozessrechts verwiesen wird, muss dem Rechtsanwalt ebenso bekannt sein wie die dort geltende zulassungsfreie Statthaftigkeit einer Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen, durch die die Berufung als unzulässig verworfen worden ist (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Dementsprechend muss es zu seinem Grundwissen gehören, dass Entsprechendes nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG auch für Familienstreitsachen gilt, wenn die Beschwerde (als unzulässig) verworfen worden ist.
Rz. 9
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde handelt es sich hierbei nicht um eine "versteckte" Regelung. Vielmehr handelt es sich bei § 117 FamFG um eine zentrale Vorschrift für Rechtsmittel in Ehe- und Familienstreitsachen, die dem Rechtsanwalt bekannt sein muss. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei dem Verfahrensbevollmächtigten um einen Fachanwalt für Familienrecht handelt. Vielmehr nimmt der Rechtsanwalt mit der Übernahme eines entsprechenden Mandats diese verfahrensrechtliche Sachkunde für sich in Anspruch. Daran ändert der Umstand nichts, dass diese einfachen Anforderungen genügende Kenntnis des Verfahrensrechts selbstverständlich auch vom FamG (hier: vom Familiensenat eines OLG) zu verlangen ist, zumal der Fehler in der Rechtsbehelfsbelehrung in keiner Weise nachvollziehbar ist und sich das Vorliegen eines offensichtlichen Versehens aufdrängt (vgl. BGH, Beschl. v. 24.1.2018 - XII ZB 534/17 FamRZ 2018, 699 Rz. 9 m.w.N.). Auch der Umstand, dass der Fehler dem OLG in der Folgezeit zunächst nicht aufgefallen ist, stellt die Offenkundigkeit des Fehlers noch nicht in Frage.
Rz. 10
Dementsprechend besteht auch für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Rechtsbeschwerdebegründung keine Grundlage.
Rz. 11
2. Die Rechtsbeschwerde ist demnach unzulässig, weil der Antragsgegner die Einlegungsfrist versäumt hat.
Rz. 12
Überdies ist die Rechtsbeschwerde auch wegen Nichtvorliegens eines Zulassungsgrundes nach § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig. Die Rechtsbeschwerdeerwiderung macht zutreffend geltend, dass sich die vom OLG ausgesprochene Ablehnung der Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist im Rahmen der Rechtsprechung des BGH hält. Das OLG hat insoweit entscheidend darauf abgestellt, dass die Einhaltung der notwendigen organisatorischen Vorkehrungen hinsichtlich der vor Streichung der Frist erforderlichen Kontrolle, ob die fristwahrende Handlung tatsächlich ausgeführt wurde oder ob diese noch aussteht (vgl. BGH, Beschl. v. 27.8.2014 - XII ZB 255/14 FamRZ 2014, 1915 Rz. 7; BGH Beschl. v. 10.8.2016 - VII ZB 17/16 NJW-RR 2016, 1403 Rz. 13 f. m.w.N.), nicht dargelegt worden ist, was zur Glaubhaftmachung des fehlenden (nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden) Verschuldens erforderlich gewesen wäre.
Fundstellen
Haufe-Index 14292799 |
NJW 2021, 784 |
NJW 2021, 8 |
FuR 2021, 160 |
FA 2021, 61 |
JurBüro 2021, 221 |
ZAP 2021, 391 |
AnwBl 2021, 174 |
JZ 2021, 148 |
JuS 2021, 7 |
MDR 2021, 219 |
MDR 2021, 252 |
ErbR 2021, 365 |
FF 2021, 87 |
FamRB 2021, 335 |
Mitt. 2021, 143 |
NZFam 2021, 5 |