Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 01.08.2022; Aktenzeichen 16 S 221/21) |
AG Strausberg (Entscheidung vom 05.08.2021; Aktenzeichen 9 C 4/20) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 6. Zivilkammer - vom 1. August 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 4.700 €
Gründe
Rz. 1
I. Die Klägerin ließ ihren nicht mehr fahrbereiten Personenkraftwagen im Dezember 2018 zu einer Kfz-Werkstatt transportieren. Nachdem dort ein Kupplungsschaden festgestellt worden war, sollte das Fahrzeug durch die S Abschlepp- und Bergungsdienst GmbH (S GmbH), deren Gesellschafter die Beklagten sind, zur Reparatur in eine in G. ansässige Kfz-Werkstatt verbracht werden. Am 17. Dezember 2018 wurde das Fahrzeug zunächst mit dem Bergefahrzeug M 500 zu einem Betriebshof der S GmbH in N. transportiert. Von dort wurde es am 19. Dezember 2018 nach G. verbracht. Welches Bergefahrzeug hierbei zum Einsatz kam, ist streitig. Im Einsatzprotokoll der S GmbH sind zwei Fahrzeugkennzeichen aufgeführt, nämlich M 11 und S 317.
Rz. 2
Zum Zeitpunkt der Ablieferung in G. wies das Fahrzeug der Klägerin im vorderen unteren Bereich mehrere Kratzer und Dellen auf. Die Klägerin meint, die Schäden seien durch einen unsachgemäßen Transport seitens der S GmbH verursacht worden. Sie begehrt Schadensersatz, die Feststellung der Schadensersatz-pflicht der Beklagten im Hinblick auf etwaige weitere durch die Abschleppvorgänge verursachte Schäden an ihrem Fahrzeug und die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Rz. 3
Das Amtsgericht hat die Klage nach Vernehmung von Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es lasse sich nicht feststellen, dass das Fahrzeug der Klägerin im Zusammenhang mit den Transporten vom 17. und 19. Dezember 2018 Schäden erlitten habe. Die Aussage des Zeugen Sch. sei nicht geeignet gewesen, dem Gericht die erforderliche Überzeugung davon zu verschaffen, dass das Fahrzeug der Klägerin am 17. Dezember 2018 keine Schäden im vorderen unteren Bereich aufgewiesen habe. Darüber hinaus sprächen die Feststellungen des Sachverständigen gegen eine Verursachung der Schäden durch die S GmbH. Danach könne das beim Abschleppen am 17. Dezember 2018 unstreitig zum Einsatz gekommene Bergefahrzeug die Schäden nicht verursacht haben. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass der von der S GmbH am 19. Dezember 2018 durchgeführte Transport die Schäden hervorgerufen habe. Die Klägerin, die behaupte, an diesem Tag sei das Bergefahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen M 11 zum Einsatz gekommen, habe für diese Anknüpfungstatsache keinen Beweis angetreten. Das Einsatzprotokoll, das zwei Fahrzeugkennzeichen aufweise, bleibe diesbezüglich unklar. Das von der Klägerin angebotene Gutachten sei daher nicht einzuholen.
Rz. 4
Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht nach § 522 Abs. 1 ZPO verworfen, weil sie nicht ordnungsgemäß begründet worden sei. Die Klägerin habe sich umfassend mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Amtsgericht gehalten gewesen wäre, eine Begutachtung der Schäden auch in Ansehung des Bergefahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen M 11 anzuordnen. Es fehle aber an einer Auseinandersetzung mit der die Abweisung vollständig tragenden Ansicht des Amtsgerichts, wonach ein Schadensersatzanspruch bereits daran scheitere, dass das Fehlen von Vorschäden nicht festgestellt werden könne.
Rz. 5
II. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, das die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen hat.
Rz. 6
1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses gebietet es, den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2019 - I ZB 30/18, juris Rn. 9; Beschluss vom 20. Oktober 2022 - V ZB 26/22, juris Rn. 5, jeweils mwN).
Rz. 7
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Berufungsbegründung überspannt, indem es die Berufung als unzulässig verworfen hat.
Rz. 8
a) Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Erforderlich ist eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen werden nicht gestellt. Für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig, hinreichend substantiiert und rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Juni 2018 - I ZB 57/17, GRUR 2018, 971 [juris Rn. 5]; Beschluss vom 29. November 2018 - III ZB 19/18, NJW-RR 2019, 180 [juris Rn. 10]; Beschluss vom 11. Februar 2020 - VI ZB 54/19, NJW-RR 2020, 503 [juris Rn. 5], jeweils mwN).
Rz. 9
Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung in der beschriebenen Weise angreifen; anderenfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 18. Januar 2018 - IX ZR 31/15, WM 2018, 350 [juris Rn. 7]; BGH, NJW-RR 2019, 180 [juris Rn. 11]; NJW-RR 2020, 503 [juris Rn. 6], jeweils mwN). Der Angriff gegen nur einen selbständigen Abweisungsgrund kann allerdings ausnahmsweise genügen, wenn dieser aus Rechtsgründen auch den anderen Abweisungsgrund zu Fall bringt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - V ZB 154/06, NJW 2007, 1534 [juris Rn. 12]; Urteil vom 17. November 2010 - VIII ZR 277/09, BGHZ 187, 311 [juris Rn. 35]; BGH, WM 2018, 350 [juris Rn. 7]; NJW-RR 2019, 180 [juris Rn. 11], jeweils mwN).
Rz. 10
b) Nach diesen Maßstäben genügt die Berufungsbegründung den Anforderungen aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO.
Rz. 11
aa) Das Amtsgericht hat, wie das Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegt hat, die Abweisung der Klage auf zwei die Entscheidung jeweils selbständig tragende Erwägungen gestützt. Es hat zum einen darauf abgestellt, dass die Klägerin das Fehlen von Vorschäden nicht bewiesen habe. Zum anderen hat es als nicht erwiesen erachtet, dass die Schäden durch die von der S GmbH durchgeführten Transporte verursacht wurden.
Rz. 12
bb) Mit ihrer Berufungsbegründung hat die Klägerin das amtsgerichtliche Urteil zur "vollumfänglichen Überprüfung" durch das Berufungsgericht gestellt. Sie hat im Wesentlichen beanstandet, dass das Bergefahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen M 11 durch den Sachverständigen nicht untersucht worden sei, und geltend gemacht, das Amtsgericht habe ihren Antrag auf eine Begutachtung auch in Ansehung dieses Fahrzeugs übergangen.
Rz. 13
cc) Zwar hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Klägerin in ihrer Berufungsbegründungsschrift auf den ersten Abweisungsgrund des Amtsgerichts nicht konkret eingegangen ist, sondern sich lediglich ausführlich mit dem zweiten Abweisungsgrund auseinandergesetzt hat. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist weiteres, auf den ersten Abweisungsgrund bezogenes Vorbringen für eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Berufungsbegründung jedoch nicht erforderlich gewesen.
Rz. 14
(1) Allerdings ergibt sich aus der in der Berufungsbegründung verwendeten Formulierung, das amtsgerichtliche Urteil werde zur "vollumfänglichen Überprüfung" gestellt, nach den obigen Maßstäben für sich genommen noch kein ausreichender Angriff im Hinblick auf beide tragende Erwägungen des Amtsgerichts, weil die Klägerin hiermit nicht dargelegt hat, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils sie bekämpft und was sie ihnen entgegensetzt. Auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, dass die Klägerin nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist weiteren, unter anderem auf den ersten Abweisungsgrund bezogenen Vortrag zur Begründung ihrer Berufung gehalten hat, da eine unzulängliche Berufungsbegründung nach Fristablauf nicht mehr geheilt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 2015 - VI ZB 40/14, NJW-RR 2015, 511 [juris Rn. 15]; Beschluss vom 7. Oktober 2021 - III ZB 50/20, MDR 2022, 267 [juris Rn. 28], jeweils mwN).
Rz. 15
(2) Die in Bezug auf den zweiten Abweisungsgrund getätigten Ausführungen der Klägerin waren aber geeignet, auch die auf den ersten Abweisungsgrund bezogenen Erwägungen des Amtsgerichts zu Fall zu bringen.
Rz. 16
Aus der Berufungsbegründung geht hervor, dass die Klägerin mit Hilfe des von ihr angeregten (weiteren) Sachverständigengutachtens den Beweis dafür erbringen wollte, dass die Schäden an ihrem Fahrzeug auf die von den Beklagten durchgeführten Bergevorgänge zurückgehen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht nach Durchführung einer entsprechenden Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass sämtliche oder auch nur ein Teil der Schäden durch das zuvor nicht in die gutachterlichen Betrachtungen einbezogene Bergefahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen M 11 verursacht wurden. Entsprechende Schäden könnten nicht bereits vor dem behaupteten Schadensereignis vorhanden gewesen sein, weshalb in Bezug auf diese Schäden zugleich das Fehlen entsprechender Vorschäden bewiesen wäre.
Rz. 17
Dem widerspricht es nicht, dass sich das Amtsgericht nach Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugen keine Überzeugung davon hat verschaffen können, dass ihr Fahrzeug bei der Übernahme zum Transport im vorderen unteren Bereich keine Vorschäden aufwies. Damit steht, wie die Beschwerde zu Recht ausführt, nicht zugleich das Gegenteil zum Nachteil der Klägerin fest, nämlich dass das Fahrzeug vorbeschädigt war. Da sich die Schadensverursachung durch die Beklagten aus einem weiteren, aus Sicht der Klägerin zu erhebenden Beweismittel ergeben konnte, musste sie die Beweiswürdigung des Amtsgerichts in Bezug auf den zur Freiheit von Vorschäden erhobenen Zeugenbeweis für den Nachweis der Rückführung der Schäden auf die Handlungen der Beklagten nicht angreifen.
Rz. 18
III. Danach hat das Berufungsgericht die Berufung rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen. Die Sache ist zur Entscheidung über die Begründetheit der Berufung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Koch |
|
Feddersen |
|
Pohl |
|
Schmaltz |
|
Odörfer |
|
Fundstellen
Haufe-Index 15636640 |
TranspR 2023, 480 |