Entscheidungsstichwort (Thema)

Verantwortlichkeit eines Rechtsanwalts für den Inhalt eines Schriftsatzes

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Rechtsanwalt, der unter Angabe seiner Berufsbezeichnung einen bestimmenden Schriftsatz für einen anderen Rechtsanwalt unterzeichnet, übernimmt mit seiner Unterschrift auch dann die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes, wenn vermerkt ist, dass der andere Anwalt "nach Diktat außer Haus" ist.

 

Normenkette

ZPO § 130 Nr. 6, § 520 Abs. 5

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Beschluss vom 06.10.2011; Aktenzeichen 1 S 162/11)

AG Dortmund (Entscheidung vom 14.02.2011; Aktenzeichen 426 C 7010/09)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Dortmund vom 6.10.2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 1.372,39 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten wegen behaupteter entgeltlicher Arbeitnehmerüberlassung Zahlung von 1.372,39 EUR nebst Zinsen. Das AG hat die Klage mit Urteil vom 18.3.2011, das dem als Einzelanwalt tätigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 8.4.2011 zugestellt worden ist, abgewiesen. Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 9.5.2011 (einem Montag) Berufung eingelegt. Innerhalb verlängerter Frist ist am 7.7.2011 ein das Rechtsmittel begründender Schriftsatz per Fax bei dem Berufungsgericht eingegangen. Er weist ebenso wie das am 11.7.2011 eingegangene Original auf der ersten Seite im Kopf (nur) den die Klägerin vertretenden Rechtsanwalt V. aus; am Ende dieses Schriftsatzes finden sich maschinenschriftlich dessen Vor- und Nachname sowie die Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt", seine Unterschrift fehlt; darunter ist "nach Diktat außer Haus" hinzugefügt, es folgt ein handschriftlicher Schriftzug, unter der "Rechtsanwältin" gedruckt ist.

Rz. 2

Nach Hinweis des Beklagten, dass die Berufungsbegründung nicht ordnungsgemäß unterzeichnet und deshalb die Berufung als unzulässig zu verwerfen sei, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erläutert, dass die Berufungsbegründung von der Rechtsanwältin E. B. unterzeichnet worden sei, wie dies auch ein Vergleich mit der unter ihren - in Kopie beigefügten - Personalausweis geleisteten Unterschrift belege.

Rz. 3

Im Anschluss an einen darauf erfolgten gerichtlichen Hinweis und einer dazu ergangenen Stellungnahme des Vertreters der Klägerin hat das Berufungsgericht das Rechtsmittel mit Beschluss vom 6.10.2011 als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass weder auf dem Fax noch auf dem Original der Berufungsbegründung eine ordnungsgemäße Unterschrift vorhanden gewesen sei. Es sei nicht ausreichend, dass der Schriftsatz von einem zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet und dessen Identität feststellbar sei. Weder aus der Berufungsbegründung noch aus dem sonstigen Akteninhalt habe sich ergeben, wer die Berufungsbegründung unterschrieben habe. Der Briefkopf des Schriftsatzes habe allein Rechtsanwalt V. ausgewiesen, ein Namensstempel der Rechtsanwältin B. sei nicht angebracht gewesen und ihre Identität habe sich bei Ablauf der Berufungsbegründungsfrist auch sonst nicht ergeben.

Rz. 4

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

Rz. 5

Die gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die Verwerfung der Berufung als unzulässig, weil es an einer ordnungsgemäß begründeten Berufung fehle, verletzt die Klägerin in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) sowie auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Rz. 6

1. Nach der Rechtsprechung des BGH ist die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers nach §§ 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO Wirksamkeitsvoraussetzung für eine rechtzeitige Berufungsbegründung. Damit soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglicht und dessen unbedingter Wille zum Ausdruck gebracht werden, den Schriftsatz zu verantworten und bei Gericht einzureichen. Für den Anwaltsprozess bedeutet dies, dass die Berufungsbegründung von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein muss (vgl. BGH, Beschl. v. 23.6.2005 - V ZB 45/04, NJW 2005, 2709; v. 22.11.2005 - VI ZB 75/04, VersR 2006, 387, 388; v. 17.11.2009 - XI ZB 6/09, NJW-RR 2010, 358 Rz. 12 sowie vom 26.10.2011 - IV ZB 9/11, BeckRS 2011, 26453 Rz. 6; jeweils m.w.N.). Entsprechendes gilt, wenn, wie hier, die Berufungsbegründung in zulässiger Weise per Telefax übermittelt wird; in diesem Falle muss es sich bei der Kopiervorlage um den eigenhändig unterschriebenen Originalschriftsatz handeln (vgl. BGH, Beschl. v. 23.6.2005, a.a.O.).

Rz. 7

2. An diesen Grundsätzen gemessen ist vorliegend eine formgerechte Berufungsbegründung eingereicht worden.

Rz. 8

a) Der entsprechende Schriftsatz ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung mit einem individuellen, nicht nur als Handzeichen oder Paraphe anzusehenden, sondern den Anforderungen an eine Unterschrift genügenden handschriftlichen Schriftzug unterzeichnet (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 26.2.1997 - XII ZB 17/97, FamRZ 1997, 737; v. 27.9.2005 - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775; vom 17.11.2009, a.a.O.; v. 9.2.2010 - VIII ZB 67/09, BeckRS 2010, 04929 Rz. 10 sowie v. 16.9.2010 - IX ZB 13/10, NZI 2011, 59, 60).

Rz. 9

b) Darüber hinaus hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin belegt, dass dieser Schriftzug von Rechtsanwältin B. herrührt, bei der es sich um eine bei dem Berufungsgericht - einem LG - postulationsfähige Rechtsanwältin handelt. Zwar ist dies erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erläutert worden, so dass für das Berufungsgericht bis dahin nicht erkennbar war, welche Rechtsanwältin unterschrieben hat. Darauf kommt es jedoch nicht maßgeblich an.

Rz. 10

Denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist für die Prüfung der Frage, ob die Identität und die Postulationsfähigkeit des Unterzeichners eines derartigen Schriftsatzes feststeht bzw. erkennbar ist, nicht auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist, sondern auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung abzustellen (vgl. BGH, Beschl. v. 26.4.2012 - VII ZB 83/10, MDR 2012, 796 Rz. 11).

Rz. 11

Die vollständige Namensnennung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin am Ende des Schriftsatzes im Zusammenhang mit dem Zusatz "nach Diktat außer Haus" macht deutlich, dass die Berufungsbegründung von diesem Rechtsanwalt erstellt, aber wegen Ortsabwesenheit nicht selbst unterschrieben werden konnte. Auch wenn ein ausdrücklicher Zusatz, "für" diesen tätig zu werden, fehlt, lässt sich hier der Unterzeichnung durch eine Rechtsanwältin, wovon das Berufungsgericht aufgrund der angegebenen Berufsbezeichnung ausgehen konnte, gleichwohl entnehmen, dass sie an seiner Stelle die Unterschrift leisten und damit als Unterbevollmächtigte in Wahrnehmung des Mandats der Klägerin auftreten wollte. Damit hat sie zu erkennen gegeben, dass sie zugleich die Verantwortung für den Inhalt der Berufungsbegründung übernehmen wollte. Anhaltspunkte, die dem entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Für einen Rechtsanwalt versteht es sich im Zweifel von selbst, mit seiner Unterschrift auch eine entsprechende Verantwortung für einen bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen (vgl. BGH, Urt. v. 31.3.2003 - II ZR 192/02, NJW 2003, 2028) und nicht lediglich als Erklärungsbote tätig zu werden (vgl. für den Zusatz "i.A." Beschl. v. 5.11.1987 - V ZR 139/87, NJW 1988, 210 und BGH v. 27.5.1993 - III ZB 9/93, NJW 1993, 2056, 2057).

Rz. 12

3. Ist danach die Unterschrift unter die Berufungsbegründung in diesem Sinne von Rechtsanwältin B. geleistet worden, durfte die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden. Die Klägerin hat vielmehr ihre Berufung rechtzeitig und formgerecht begründet, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen war (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 3253516

DB 2012, 2042

DB 2012, 6

HFR 2012, 1209

NJW 2012, 6

FamRZ 2012, 1561

NJW-RR 2012, 1142

ZAP 2012, 997

AnwBl 2012, 850

JZ 2012, 638

MDR 2012, 1114

VersR 2013, 1417

NJW-Spezial 2012, 670

RÜ 2012, 636

RENOpraxis 2012, 273

StX 2012, 590

VRR 2012, 362

BRAK-Mitt. 2012, 263

Mitt. 2012, 521

PAK 2012, 145

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