Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenstandswert für eine Rechtsbeschwerde im Kapitalanleger-Musterverfahren: Bestimmung der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers
Normenkette
RVG § 22 Abs. 1, 2 Sätze 1-2, § 23b; KapMuG §§ 1, § 1 ff.
Verfahrensgang
Tenor
Der Gegenstandswert für die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird für den Prozessbevollmächtigten des Musterklägers, des Beteiligten zu 2 sowie der Beigetretenen zu B1 bis B27 und B29 bis B129 auf 41.324.609,58 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
I. Auf den zulässigen Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG ist der Gegenstandswert zur Berechnung der außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens für den Antragsteller gemäß §§ 23b, 22 Abs. 2 RVG auf 41.324.609,58 € festzusetzen.
Rz. 2
1. Nach § 33 Abs. 1 Fall 1 RVG setzt das Gericht des Rechtszugs den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag fest, wenn sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert berechnen. Das ist hier der Fall. Die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz sind gemäß § 51a Abs. 1 GKG nach dem Gesamtwert der in sämtlichen ausgesetzten Verfahren geltend gemachten Ansprüche zu berechnen, der vorliegend den Höchstwert des § 39 Abs. 2 GKG von 30 Mio. € übersteigt. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens richtet sich dagegen nach § 23b RVG, wobei der Höchst-wert gemäß § 22 Abs. 2 Satz 2 RVG in derselben Angelegenheit bei Beauftra-gung durch mehrere Personen wegen verschiedener Gegenstände, für jede Person höchstens 30 Mio. €, insgesamt jedoch nicht mehr als 100 Mio. € beträgt.
Rz. 3
2. Der Gegenstandswert zur Berechnung der außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist für den Antragsteller gemäß §§ 23b, 22 Abs. 2 RVG auf 41.324.609,58 € festzusetzen.
Rz. 4
Der Gegenstandswert im Musterverfahren nach dem Kapitalanleger Musterverfahrensgesetz bestimmt sich gemäß § 23b RVG nach der Höhe des von dem Auftraggeber oder gegen diesen im Ausgangsverfahren geltend gemachten Anspruchs, soweit dieser Gegenstand des Musterverfahrens ist. Für einen Prozessbevollmächtigten, der mehrere Beteiligte im Rechtsbeschwerdeverfahren vertritt, ist der Gegenstandswert für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten gemäß § 22 Abs. 1 RVG in Höhe der Summe der nach § 23b RVG zu bestimmenden Streitwerte festzusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 2017 - XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 75 mwN; Beschluss vom 9. Januar 2018 - II ZB 14/16, ZIP 2018, 578 Rn. 67; Beschluss vom 10. Juli 2018 - II ZB 24/14, WM 2018, 2225 Rn. 156). Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 RVG beträgt der Wert in derselben Angelegenheit höchstens 30 Mio. €, soweit durch Gesetz kein niedrigerer Höchstwert bestimmt ist. Sind in derselben Angelegenheit mehrere Personen wegen verschiedener Gegenstände Auftraggeber, beträgt der Wert für jede Person höchstens 30 Mio. €, insgesamt jedoch nicht mehr als 100 Mio. € (§ 22 Abs. 2 Satz 2 RVG).
Rz. 5
a) Abweichend von der im Festsetzungsantrag zum Ausdruck gebrachten Vorstellung beträgt der Höchstwert für den Musterkläger 30 Mio. € (vgl. BeckOK RVG/Sommerfeldt/Sommerfeldt, Stand 1.6.2021, § 22 Rn. 12; HK-RVG/Mayer, 8. Aufl., § 22 Rn. 17), unabhängig von der Zahl der von ihm geführten Ausgangsverfahren.
Rz. 6
Der Wortlaut von § 22 Abs. 2 RVG spricht für eine Begrenzung des Höchstwertes auf 30 Mio. € unabhängig von der Zahl der Ausgangsverfahren. Nach § 22 Abs. 2 RVG beträgt der Wert in derselben Angelegenheit höchstens 30 Mio. €, soweit durch Gesetz kein niedrigerer Höchstwert bestimmt ist. Sind in derselben Angelegenheit mehrere Personen wegen verschiedener Gegenstände Auftraggeber, beträgt der Wert für jede Person höchstens 30 Mio. €, insgesamt jedoch nicht mehr als 100 Mio. €. Schon nach dem Wortlaut des Gesetzes muss zur Mehrheit von Gegenständen - hier die Ausgangsverfahren - eine Personenmehrheit hinzukommen. Der Musterkläger ist aber nur eine Person.
Rz. 7
Bestätigt wird dies durch die Systematik des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 2. März 2010 - II ZR 62/06, WM 2010, 823 Rn. 10). Nach § 22 RVG werden in derselben Angelegenheit die Werte mehrerer Gegenstände zusammengerechnet und auf 30 Mio. € begrenzt. Eine darüber hinausgehende Vergütung sieht das Gesetz nur bei Vorliegen verschiedener Angelegenheiten oder mehrerer Auftraggeber vor. Die Durchführung aller Rechtsbeschwerden und Beitritte gegen den Musterentscheid bildet wegen des inneren Zusammenhangs sowie der inhaltlich und in der Zielsetzung gleichgerichteten Aufgabenstellung, die in einer einzigen Begründungsschrift für sämtliche Rechtsbeschwerden und Beitritte bearbeitet werden konnte, aber nur eine gebührenrechtliche Angelegenheit (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2015 - XI ZB 12/12, ZIP 2016, 495 Rn. 9, 11 mwN). Betrifft die Vertretung mehrerer Mandanten in einer gebührenrechtlichen Angelegenheit verschiedene Gegenstände, nämlich verschiedene von den Feststellungszielen abhängende, gegebenenfalls in verschiedenen Ausgangsverfahren geltend gemachte Ansprüche, so fallen die Gebühren zwar nur einmal an, jedoch gemäß § 22 Abs. 1 RVG aus der Summe der nach § 23b RVG zu bestimmenden Streitwerte (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2014 - XI ZB 12/12, BGHZ 203, 1 Rn. 168; Beschluss vom 15. Dezember 2015 - XI ZB 12/12, ZIP 2016, 495 Rn. 9; Beschluss vom 9. Januar 2018 - II ZB 14/16, ZIP 2018, 578 Rn. 67; Beschluss vom 10. Juli 2018 - II ZB 24/14, WM 2018, 2225 Rn. 156). Voraussetzung für die Addition ist aber die Beauftragung durch mehrere natürliche oder juristische Personen. Das Auftreten derselben Personen in verschiedenen Verfahrensrollen genügt nicht. Erst recht genügt nicht, dass der Auftraggeber wegen zweier Ausgangsverfahren zum Musterkläger bestellt wurde.
Rz. 8
Auch wenn eine Angelegenheit mehrere Gegenstände umfasst, verbleibt es beim Höchstwert gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 RVG (BeckOK RVG/Sommerfeldt/Sommerfeldt, Stand 1.6.2021, § 22 Rn. 8). Selbst eine Erhöhung bei mehreren Auftraggebern gemäß § 22 Abs. 2 Satz 2 RVG setzt voraus, dass verschiedene Gegenstände vorliegen (RegE 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 17/11471, S. 268; BGH, Beschluss vom 2. März 2010 - II ZR 62/06, WM 2010, 823 Rn. 8 ff.). Dementsprechend kommt es auf Seiten der Musterbeklagten für die Anwendung der Wertgrenze in § 22 Abs. 2 Satz 1 RVG nicht darauf an, in wie vielen Ausgangsverfahren sie in Anspruch genommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2014 - XI ZB 12/12, BGHZ 203, 1 Rn. 169; Beschluss vom 15. Dezember 2020 - XI ZB 24/16, juris Rn. 170).
Rz. 9
Auch nach Sinn und Zweck von § 22 Abs. 2 Satz 2 RVG gilt die Wertgrenze unabhängig von der Zahl der Ausgangsverfahren. Durch § 22 Abs. 2 RVG sollen die Kosten für dieselbe Angelegenheit für jeden Auftraggeber unabhängig davon begrenzt werden, ob einer oder mehrere Gegenstände geltend gemacht werden (vgl. RegE 1. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 15/1971, S. 194 f.). Dieser Zweck trifft auch auf die Rechtsbeschwerde nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz zu. Durch die Erhöhung der Wertgrenze bei mehreren Auftraggebern soll bis zum Erreichen der neuerlichen Höchstgrenze in Höhe von 100 Mio. € jeder Auftraggeber so gestellt werden, als habe er den Auftrag alleine erteilt (RegE 1. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 15/1971, S. 195). Dadurch wird dem mit dem Vorhandensein mehrerer Beteiligter typischerweise verbundenen Mehr an Arbeit und Aufwand und dem höheren Haftungsrisiko Rechnung getragen (vgl. zu Nr. 1008 VV-RVG bzw. § 6 BRAGO: RegE BT-Drucks. 7/2016, S. 99; BGH, Urteil vom 12. Februar 1987 - III ZR 255/85, NJW 1987, 2240; Beschluss vom 19. Januar 2010 - VI ZB 36/08, NJW 2010, 1377 Rn. 6 ff.). Dem erhöhten Haftungsrisiko, das durch einen über der Wertgrenze liegenden Gegenstandswert entsteht, soll dagegen mit dem Auslagentatbestand Nr. 7007 VV-RVG Rechnung getragen werden, der einen Ausgleich der im Einzelfall gezahlten Prämie für eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung ermöglicht (RegE 1. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 15/1971, S. 195, 232).
Rz. 10
b) Danach ist der Gegenstandswert für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auf 41.324.609,58 € festzusetzen. Von der mit Schriftsatz vom 12. Februar 2021 als Anlage 2 durch den antragstellenden Prozessbevollmächtigten übermittelten Liste weicht die Gegenstandswertfest-setzung insoweit ab, als für den Beigetretenen B9 ein Betrag von 26.230,74 € sowie weitere 9.538,02 € gemeinsam mit der Beigetretenen B8, für die Beigetretenen B21 und B22 ein Betrag von 13.576,90 €, für die Beigetretenen B67a, B67b ein Betrag von 56.549,02 € und für die Beigetretene B66 ein Betrag von 78.275,20 € in Ansatz zu bringen ist.
Drescher
Fundstellen
JurBüro 2022, 28 |
NZG 2022, 224 |
AG 2021, 790 |