Leitsatz (amtlich)
Lässt das Beschwerdegericht analog § 44 FamFG auf eine Gegenvorstellung hin die Rechtsbeschwerde nachträglich zu, ohne festzustellen, dass seine ursprüngliche Entscheidung, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, objektiv willkürlich gewesen wäre oder den Instanzenzug unzumutbar und in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verkürzt hätte, ist die Zulassungsentscheidung verfahrensfehlerhaft ergangen und bindet das Rechtsbeschwerdegericht nicht (im Anschluss an BGH v. 5.7.2017 - XII ZB 509/15, FamRZ 2017, 1608 sowie BGH, Urt. v. 4.3.2011 - V ZR 123/10, NJW 2011, 1516).
Normenkette
FamFG §§ 44, 70 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Aurich (Beschluss vom 28.07.2017; Aktenzeichen 7 T 226/17) |
AG Aurich (Entscheidung vom 12.06.2017; Aktenzeichen 16a XVII 328/06) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Aurich vom 28.7.2017 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zu 1) verworfen.
Beschwerdewert: 142 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Staatskasse (Beteiligte zu 1) und der Betreuer (Beteiligter zu 2) streiten über den Stundensatz der zu bewilligenden Betreuervergütung.
Rz. 2
Der Beteiligte zu 2) ist als Berufsbetreuer des Betroffenen bestellt. Er verfügt über abgeschlossene Ausbildungen als Koch (stellvertretender Küchenchef mit Ausbildereignung) und als Arbeitspädagoge. Das AG hatte ihm im August 1999 in anderweitigen Betreuungsverfahren einen Stundensatz von 60 DM als Vergütung zuerkannt, weil er über eine andere, einer Hochschulausbildung vergleichbare abgeschlossene Ausbildung verfüge. In der Folgezeit wurden die Vergütungen für den Beteiligten zu 2) durchgehend auf der Grundlage eines Stundensatzes von 60 DM und ab 1.7.2005 von 44 EUR festgesetzt.
Rz. 3
Vorliegend hat der Betreuer beantragt, seine Vergütung für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.3.2017 bei einem Stundensatz von 44 EUR und einem Aufwand von 13,5 Stunden auf 594 EUR festzusetzen, während die Staatskasse einen Stundensatz von 33,50 EUR für angemessen erachtet hat. Das AG hat die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Staatskasse hat das LG zurückgewiesen, wobei es die Rechtsbeschwerde ausdrücklich nicht zugelassen hat. Erst auf die Gegenvorstellung der Staatskasse hat es der Entscheidung eine weitere Begründung hinzugefügt und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Staatskasse den Ansatz eines Stundensatzes von nur 33,50 EUR weiter.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 74 Abs. 1 FamFG zu verwerfen, weil sie mangels wirksamer Zulassung nach § 70 Abs. 1 FamFG nicht statthaft ist.
Rz. 5
1. Das LG hat zur Begründung der nachträglichen Zulassung der Rechtsbeschwerde ausgeführt, dass es nach nochmaliger umfassender Prüfung seiner Entscheidung die Voraussetzungen der Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache für gegeben erachte. Eine Abweichung von dem seinerzeit zugesprochenen Vergütungssatz komme nicht nur wegen des entstandenen Vertrauensschutzes nicht in Betracht, sondern scheide auch im Hinblick auf die Rechtskraft der Entscheidung über den Vergütungssatz aus dem Jahr 1999 aus. Daher werfe die Entscheidung klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen auf, die über den konkreten Einzelfall hinaus in einer Vielzahl von Fällen auftreten könnten, so dass ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts bestehe.
Rz. 6
2. Die Rechtsbeschwerde ist vom LG nicht wirksam zugelassen worden.
Rz. 7
a) Allerdings ist das Rechtsbeschwerdegericht gem. § 70 Abs. 2 Satz 2 FamFG an die Zulassung auch dann gebunden, wenn die seitens des Beschwerdegerichts für maßgeblich erachteten Zulassungsgründe aus Sicht des Rechtsbeschwerdegerichts nicht vorliegen. Durfte die Zulassung dagegen verfahrensrechtlich überhaupt nicht ausgesprochen werden, ist sie unwirksam (vgl. BGH v. 4.8.2004 - XII ZA 6/04, FamRZ 2004, 1633 f.). Dies gilt auch für eine verfahrensrechtlich nicht vorgesehene nachträgliche Zulassungsentscheidung, wenn das Beschwerdegericht - wie hier - seine bewusste Entscheidung, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, aufgrund einer Gegenvorstellung ändert, ohne eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten des Beschwerdeführers durch die willkürliche Nichtzulassung festzustellen (BGH, Beschl. v. 5.7.2017 - XII ZB 509/15, FamRZ 2017, 1608 Rz. 13).
Rz. 8
b) Zwar kann ein Beschluss, in den eine Zulassung der Rechtsbeschwerde versehentlich nicht aufgenommen wurde, wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 42 FamFG berichtigt werden, wenn sich aus den Umständen auch für Dritte eindeutig ergibt, dass die Rechtsbeschwerde schon im ursprünglichen Beschluss zugelassen werden sollte (BGH, Beschl. v. 5.7.2017 - XII ZB 509/15, FamRZ 2017, 1608 Rz. 14). Unabhängig davon kann das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde nachträglich auf eine Anhörungsrüge hin für das Rechtsbeschwerdegericht bindend zulassen, wenn bei der vorangegangenen Entscheidung, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vorgelegen hat (vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2014 - VI ZR 55/14, NJW-RR 2014, 1470 Rz. 7 ff.; v. 1.12.2011 - IX ZR 70/10, NJW-RR 2012, 306 Rz. 7 f.; v. 4.3.2011 - V ZR 123/10, NJW 2011, 1516 Rz. 6 f., alle zu § 321a ZPO). Die unterbliebene Zulassung der Rechtsbeschwerde kann für sich genommen den Anspruch auf rechtliches Gehör aber nicht verletzen, es sei denn, auf die Zulassungsentscheidung bezogener Vortrag der Beteiligten wurde verfahrensfehlerhaft übergangen (vgl. BVerfG NJW-RR 2008, 75, 76; BGH, Urt. v. 4.3.2011 - V ZR 123/10, NJW 2011, 1516 Rz. 6). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde auf eine Gegenvorstellung in analoger Anwendung des § 321a ZPO setzt nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2014 - VI ZR 55/14, NJW-RR 2014, 1470 Rz. 12; v. 4.3.2011 - V ZR 123/10, NJW 2011, 1516 Rz. 9 f., jeweils m.w.N.) jedenfalls voraus, dass die Zulassung zuvor willkürlich unterblieben ist (vgl. BVerfGE 101, 331, 359 f. = FamRZ 2000, 345, 350) oder eine unzumutbare, sachlich nicht mehr zu rechtfertigende Verkürzung des Instanzenzugs (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 1235, 1236 m.w.N.) vorliegt. Denn sowohl der aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleitete Anspruch des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter als auch das Recht auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) schützen nicht vor jeder fehlerhaften Anwendung der Verfahrensordnung. Erst recht ist die Gegenvorstellung nicht auf eine Kontrolle der Entscheidung in der Sache gerichtet, wenn keine Verletzung von Verfahrensgrundrechten vorliegt (vgl. BGHZ 150, 133, 136 = NJW 2002, 1577 und Beschl. v. 15.2.2006 - IV ZB 57/04, FamRZ 2006, 695, 696).
Rz. 9
c) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das LG die Rechtsbeschwerde nachträglich verfahrensfehlerhaft zugelassen.
Rz. 10
Eine Ergänzung des (ersten) Beschlusses nach § 43 FamFG scheidet schon deswegen aus, weil das LG die Rechtsbeschwerde ausdrücklich nicht zugelassen hat (vgl. auch BGH v. 9.7.2014 - XII ZB 7/14, FamRZ 2014, 1620 Rz. 12). Auch eine Berichtigung gem. § 42 FamFG kommt nicht in Betracht, nachdem in den Gründen ausgeführt wurde, einer Zulassung der Rechtsbeschwerde bedürfe es wegen der Einzelfallbezogenheit des Vertrauensschutzes nicht. Eine Anhörungsrüge nach § 44 FamFG liegt schon deswegen nicht vor, weil der Beschwerdeführer selbst nicht behauptet, in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden zu sein. Auch auf die Gegenvorstellung konnte das LG die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht in analoger Anwendung des § 44 FamFG aussprechen. Der Beschluss über die nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde lässt nicht erkennen, dass das LG eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten des Beschwerdeführers geprüft und angenommen hat, dass seine ursprüngliche Entscheidung, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, objektiv willkürlich gewesen wäre oder den Instanzenzug unzumutbar und in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verkürzt hätte. Die Ausführungen beschränken sich darauf, das LG habe die Gegenvorstellung zum Anlass genommen, die angefochtene Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht noch einmal umfassend zu prüfen, und erachte die Voraussetzungen der Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nunmehr für gegeben.
Rz. 11
3. Die Rechtsbeschwerde ist damit schon mangels wirksamer Zulassung unzulässig.
Rz. 12
Mithin kommt es nicht darauf an, dass das LG sowohl in dem Ausgangsbeschluss die Rechtsprechung des Senats zum Vertrauensschutz einer früher fehlerhaften Festsetzung der Betreuervergütung (BGH, Beschl. v. 6.11.2013 - XII ZB 86/13, FamRZ 2014, 113 Rz. 14, 23) als auch in dem ergänzenden Beschluss die Rechtskraft einer früheren Festsetzung der Betreuervergütung (vgl. BGH v. 6.7.2016 - XII ZB 439/14, FamRZ 2016, 1759 Rz. 11 ff.) verkannt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 11714863 |
FamRZ 2018, 936 |
FuR 2018, 380 |
NJW-RR 2018, 900 |
FGPrax 2018, 191 |
JurBüro 2018, 390 |
BtPrax 2018, 164 |
JZ 2018, 367 |
MDR 2018, 690 |
FF 2018, 332 |
FamRB 2018, 268 |
NZFam 2018, 473 |