Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Kommanditisten für Gewerbesteuerrückstände bei Insolvenz der Kommanditgesellschaft
Leitsatz (redaktionell)
Kommanditisten haften auch für die durch die Veräußerung eines Schiffs ausgelösten Gewerbesteuerforderungen. Dem steht nicht entgegen, dass es sich dabei um eine Masseverbindlichkeit handelt. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass für die durch den Insolvenzverwalter begründeten Masseverbindlichkeiten schon aus insolvenzrechtlichen Gründen keine Haftung der Gesellschafter bestehe, hat der Senat mit Urteil vom 28. Januar 2021 IX ZR 54/20 aufgegeben. Ein Gesellschafter haftet gemäß §§ 171, 172 Abs. 4, § 161 Abs. 2, § 128 HGB jedenfalls insoweit auch für die Gewerbesteuerforderung, als sie auf der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 EStG (Gewinnzurechnung beim Wechsel von der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich zur Gewinnermittlung nach Tonnage) zum Gewinn der Schuldnerin beruht. Die insolvenzrechtliche Einordnung dieser Forderung als Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO steht dem nicht entgegen. Der IX. Zivilsenat schließt sich dieser Rechtsprechung des II. Zivilsenats an.
Normenkette
HGB §§ 128, 171-172; EStG § 5a Abs. 4 Sätze 1-2; GewStG § 5 Abs. 1; InsO § 55
Verfahrensgang
Tenor
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Urteile des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. Juli 2020 und vom 24. Februar 2020 und das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 29. März 2019 sind wirkungslos.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 4.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Der Kläger ist Verwalter in dem am 21. Februar 2013 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der F. GmbH & Co. … KG (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin befasste sich mit dem Erwerb und dem Betrieb eines Containerschiffs. Der Beklagte ist Kommanditist der Schuldnerin und mit einer Hafteinlage von 20.000 EUR im Handelsregister eingetragen. Er erwarb den Kommanditanteil im Jahr 2011. Die Schuldnerin zahlte an den Rechtsvorgänger des Beklagten in den Jahren 2004 bis 2008 Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 9.000 EUR. Der Kläger verlangt mit seiner Klage Erstattung dieser Auszahlungen.
Rz. 2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat mit seiner Berufung den Klageantrag für erledigt erklärt; der Beklagte hat der Erledigung widersprochen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung hinsichtlich des nunmehr auf Feststellung der Erledigung gerichteten Klageantrags zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Nach Einlegung der Revision haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
Die Kosten des Rechtsstreits sind dem Beklagten aufzuerlegen.
Rz. 4
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Inanspruchnahme des Beklagten sei zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht erforderlich gewesen. Allerdings sei die Haftung des Beklagten nach § 171 Abs. 1, § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB eröffnet, weil die Ausschüttungen erfolgt seien, als der Kapitalanteil durch Verlust unter den Betrag der geleisteten Einlage herabgemindert war. Unstreitig sei inzwischen eine Inanspruchnahme des Beklagten nicht mehr erforderlich, weil keine Unterdeckung vorliege. Es lasse sich jedoch nicht feststellen, dass die Erledigung erst nach Rechtshängigkeit eingetreten sei.
Rz. 5
Die Darlegungs- und Beweislast, dass eine Inanspruchnahme nicht erforderlich sei, liege beim Kommanditisten. Da für die durch den Insolvenzverwalter begründeten Masseverbindlichkeiten schon aus insolvenzrechtlichen Gründen keine Haftung der Gesellschafter bestehe, stehe die Summe der von den Kommanditisten geleisteten Rückzahlungen vollständig zur Begleichung der Gläubigerforderungen zur Verfügung. Im Streitfall hätten die bei Rechtshängigkeit der Klage von den Kommanditisten eingezogenen Beträge die Forderungen der Insolvenzgläubiger überstiegen. Die eingetretene Unterdeckung sei daher einzig damit zu erklären, dass der Kläger die von den Kommanditisten eingezogenen Beträge pflichtwidrig mit Masseverbindlichkeiten und -kosten verrechnet habe. Die Höhe der von anderen Kommanditisten erhaltenen Rückzahlungen betreffe bereits das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs und nicht nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Verwendung der eingezogenen Gelder. Die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 172 Abs. 4, 171 Abs. 1 HGB und der mit der Regelung verfolgte Zweck, die Haftungsmasse in der Kommanditgesellschaft wieder herzustellen, schlössen es aus, dass die Kommanditisten für vom Insolvenzverwalter begründete Masseverbindlichkeiten in Anspruch genommen werden könnten. Daher sei die Klage bereits vor Eintritt der Rechtshängigkeit unbegründet gewesen und eine Erledigung nicht erst aufgrund der Rücknahme von zur Tabelle angemeldeten Forderungen erfolgt.
Rz. 6
2. Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist über die Kosten gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO zu entscheiden. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes entspricht es billigem Ermessen, die Kosten dem Beklagten aufzuerlegen.
Rz. 7
a) Insoweit kommt es vornehmlich darauf an, wem die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen gewesen wären, wenn die Hauptsache nicht einvernehmlich für erledigt erklärt worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 1993 – V ZR 246/92, BGHZ 123, 264, 265 f; vom 7. Mai 2007 – VI ZR 233/05, NJW 2007, 3429). Die mindestens überwiegende Wahrscheinlichkeit des Unterliegens in der Hauptsache reicht gemäß § 91a ZPO aus, einer Partei die Kosten aufzuerlegen (BGH, Beschluss vom 24. September 2020 – IX ZB 71/19, ZIP 2020, 2291 Rn. 13 mwN). Dabei ist es allerdings nicht Zweck einer Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits nach § 91a ZPO, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden. Grundlage der Entscheidung ist lediglich eine summarische Prüfung, bei der das Gericht davon absehen kann, in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen der Verteilung der Kosten alle für den hypothetischen Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen zu klären (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2006 – IX ZR 66/05, ZIP 2007, 340 Rn. 22 mwN).
Rz. 8
b) Nach diesen Maßstäben sind die Kosten dem Beklagten aufzuerlegen. Die Klage hätte voraussichtlich Erfolg gehabt.
Rz. 9
aa) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war die Haftung des Beklagten aufgrund der erhaltenen Ausschüttungen gemäß § 172 Abs. 4 HGB in Höhe von 9.000 EUR wieder aufgelebt.
Rz. 10
bb) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Kläger diese offene Haftung nach § 171 Abs. 2 HGB nur insoweit geltend machen kann, als die Inanspruchnahme des Beklagten zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist, denen der Beklagte nach §§ 171, 172 HGB haftet (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2011 – II ZR 271/08, BGHZ 189, 45 Rn. 18 mwN). Dagegen kann der Beklagte entsprechend § 422 Abs. 1 Satz 1, § 362 Abs. 1 BGB einwenden, dass der zur Befriedigung dieser Gläubiger erforderliche Betrag bereits durch Zahlungen anderer Kommanditisten aufgebracht wurde (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2020 – II ZR 175/19, ZIP 2020, 1869 Rn. 25 ff). Die Darlegungs- und Beweislast hierfür hat der in Anspruch genommene Gesellschafter; jedoch hat der Insolvenzverwalter die für die Befriedigung der Gläubiger bedeutsamen Verhältnisse der Gesellschaft darzulegen, sofern nur er dazu im Stande ist (BGH, Urteil vom 20. Februar 2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 Rn. 39; vom 21. Juli 2020, aaO Rn. 21 mwN).
Rz. 11
cc) Der Beklagte hat den Nachweis, dass zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der zur Deckung der von der Haftung erfassten Gesellschaftsschulden nötige Betrag durch Zahlungen anderer Kommanditisten bereits aufgebracht wurde, nicht erbracht.
Rz. 12
(1) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts betrugen die zur Tabelle festgestellten Insolvenzforderungen 2.773.121,85 EUR. Dabei hat das Berufungsgericht zutreffend auch solche Insolvenzforderungen in voller Höhe berücksichtigt, die für den Ausfall festgestellt worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2020, aaO Rn. 16 mwN; vom 10. November 2020 – II ZR 132/19, WM 2020, 2372 Rn. 17).
Rz. 13
Bei der Prüfung, ob eine Inanspruchnahme des Kommanditisten nach § 171 Abs. 1 und 2, § 172 Abs. 4 HGB zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist, sind weiter vom Insolvenzverwalter bestrittene Forderungsanmeldungen zu berücksichtigen, sofern eine erfolgreiche Inanspruchnahme der Masse wegen dieser Forderungen noch ernsthaft in Betracht kommt (BGH, Urteil vom 9. Februar 2021 – II ZR 28/20, ZIP 2021, 473 Rn. 13 f). Dabei hat der Insolvenzverwalter darzulegen und zu beweisen, dass eine erfolgreiche Inanspruchnahme der Masse wegen der bestrittenen Forderung noch ernsthaft in Betracht kommt (BGH, Urteil vom 9. Februar 2021, aaO Rn. 14). Das Berufungsgericht hat dies nicht geprüft. Ob deshalb – wie der Kläger geltend macht – weitere Forderungen zu berücksichtigen sind, kann im Streitfall im Rahmen der Entscheidung nach § 91a ZPO dahinstehen.
Rz. 14
(2) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch nicht berücksichtigt, dass die Kommanditisten auch für die durch die Veräußerung des Schiffs ausgelösten Gewerbesteuerforderungen für das Jahr 2013 haften. Dem steht nicht entgegen, dass es sich dabei um eine Masseverbindlichkeit handelt. Soweit das Berufungsgericht darauf abgestellt hat, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die durch den Insolvenzverwalter begründeten Masseverbindlichkeiten schon aus insolvenzrechtlichen Gründen keine Haftung der Gesellschafter bestehe (so BGH, Urteil vom 24. September 2009 – IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204 Rn. 12 ff), ist dies überholt. Diese Rechtsprechung hat der Senat mit Urteil vom 28. Januar 2021 (IX ZR 54/20, ZIP 2021, 528) aufgegeben. Ein Gesellschafter haftet gemäß §§ 171, 172 Abs. 4, § 161 Abs. 2, § 128 HGB jedenfalls insoweit auch für die Gewerbesteuerforderung, als sie auf der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 EStG zum Gewinn der Schuldnerin beruht. Die insolvenzrechtliche Einordnung dieser Forderung als Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO steht dem nicht entgegen (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2020 – II ZR 108/19, ZIP 2021, 255 Rn. 24, zVb in BGHZ). Der IX. Zivilsenat schließt sich dieser Rechtsprechung des II. Zivilsenats an (vgl. bereits BGH, Urteil vom 15. Dezember 2020, aaO Rn. 53).
Rz. 15
Diese Voraussetzungen für eine Haftung des Beklagten sind erfüllt. Die Gewerbesteuerforderung betrug unter Berücksichtigung einer Erstattung 794.713,60 EUR. Sie beruht auf der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 Satz 1 und 2 EStG, nachdem das Schiff nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens veräußert wurde. Dies kann der Senat im Rahmen der Entscheidung nach § 91a ZPO auch ohne entsprechende Feststellungen des Berufungsgerichts berücksichtigen, weil es auf den voraussichtlichen Ausgang des Rechtsstreits ankommt und die mindestens überwiegende Wahrscheinlichkeit des Unterliegens ausreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2020 – IX ZB 71/19, ZIP 2020, 2291 Rn. 13 mwN).
Rz. 16
(3) Der Beklagte hat nicht dargetan, dass vor diesem Hintergrund seine Inanspruchnahme nicht erforderlich ist. Bei Einreichung der Anspruchsbegründung am 16. Januar 2018 beliefen sich die Gesellschaftsverbindlichkeiten, für die der Beklagte als Kommanditist dem Grunde nach haftete, auf mindestens 3.567.835,45 EUR (zur Tabelle festgestellte Insolvenzforderungen: 2.773.121,85 EUR; Gewerbesteuerforderung: 794.713,60 EUR). Zur Deckung dieser Verbindlichkeiten standen dem Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei der Beantragung des Mahnbescheids am 20. Dezember 2016 insgesamt 2.834.886,74 EUR und bei Einreichung der Anspruchsbegründung am 16. Januar 2018 insgesamt 3.259.222,01 EUR zur Verfügung. Diese Beträge genügten nicht, um die gesamten Gesellschaftsverbindlichkeiten zu erfüllen, für welche die Gesellschafter der Schuldnerin auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hafteten. Dass der Kläger die von den Kommanditisten eingezogenen Gelder auch dazu verwendet hat, die Gewerbesteuerforderung des Finanzamts zu erfüllen und daher zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht auf den Insolvenzsonderkonten nur noch 2.234.611,31 EUR und 97.541,97 $ vorhanden gewesen sind, ist – anders als das Berufungsgericht meint – schon deshalb nicht pflichtwidrig, weil die Kommanditisten auch für diese Verbindlichkeit hafteten. Es ändert nichts an der zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit bestehenden Unterdeckung.
Rz. 17
(4) Die hiervon zu unterscheidende Frage, ob der Kläger berechtigt war, mit den von den Kommanditisten eingezogenen Geldern Forderungen zu tilgen, für die diese nicht haften (offen gelassen in BGH, Urteil vom 24. September 2009 – IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204 Rn. 25 mwN; vom 17. Dezember 2015 – IX ZR 143/13, BGHZ 208, 227 Rn. 11; vom 21. Juli 2020 – II ZR 175/19, ZIP 2020, 1869 Rn. 30; für Altkommanditisten verneinend: BGH, Urteil vom 20. März 1958 – II ZR 2/57, BGHZ 27, 51, 57), muss vom Senat nicht entschieden werden. Sie betrifft allein die Verwendung der von den Kommanditisten eingezogenen Gelder. Damit kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen der Insolvenzverwalter berechtigt ist, von den Kommanditisten zu Recht eingezogene Gelder dazu zu verwenden, Masseverbindlichkeiten zu befriedigen.
Unterschriften
Grupp, Lohmann, Schoppmeyer, Röhl, Harms
Fundstellen