Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Prozessbevollmächtigten, Kein Erschweren des Zugangs durch unzumutbare, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise. Selbstständige Organisation einer zuverlässige Fristenkontrolle durch Prozessbevollmächtigten. Verhinderung von versehentlichen Erledigungsvermerken im Fristenkalender
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass der Prozessbevollmächtigte die Fristenkontrolle selbst organisiert.
2. Bei Versäumen der Vorfrist zur Vorlage der Handakte als auch des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist bedarf es einer in sich geschlossenen Darstellung, durch welche Umstände es zu den Fehlern kommen konnte, welche Vorkehrungen zur Vermeidung der Fehler der Prozessbevollmächtigten zuvor ergriffen hatte und warum diese Vorkehrungen im konkreten Fall gleich zweimal nicht gegriffen haben.
Normenkette
ZPO §§ 233, 238 Abs. 2, § 574 Abs. 2; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Beschluss vom 08.12.2010; Aktenzeichen 16 UF 179/10) |
AG Mannheim (Urteil vom 20.08.2010; Aktenzeichen 6 F 239/09) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 16. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des OLG Karlsruhe vom 8.12.2010 wird auf Kosten der Antragsgegnerin verworfen.
Beschwerdewert: 30.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute. Mit einem am 28.8.2009 beim FamG eingegangenen Schriftsatz hat der Ehemann Scheidungsantrag gestellt. Im weiteren Verfahren haben die Parteien über die Wirksamkeit eines zwischen ihnen vor der Ehe geschlossenen notariellen Ehevertrages gestritten. Durch Zwischenurteil vom 20.8.2010 hat das AG die Wirksamkeit des Ehevertrages festgestellt. Das Zwischenurteil wurde der Antragsgegnerin zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 25.8.2010 zugestellt. Mit einem rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Antragsgegnerin Rechtsmittel eingelegt und dieses mit einem am 29.10.2010, somit verspätet eingegangenen Schriftsatz begründet.
Rz. 2
Auf richterlichen Hinweis vom 2.11.2010 hat die Antragsgegnerin am 15.11.2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Der sachbearbeitenden Rechtsanwältin sei die Handakte erst am 29.10.2010 durch die ansonsten zuverlässige Kanzleiangestellte vorgelegt worden, obgleich die Rechtsmittelbegründungsfrist sowie eine auf den 18.10.2010 datierte Vorfrist korrekt im Fristenkalender eingetragen gewesen seien. Diesen Sachverhalt haben die Prozessbevollmächtigte und die Kanzleiangestellte eidesstattlich versichert, wobei sie zunächst den 19.10.2010 als Vorlagedatum versichert, dieses später jedoch als ein Schreibversehen bezeichnet und durch korrigierte eidesstattliche Versicherungen schließlich den 29.10.2010 als Vorlagedatum versichert haben.
Rz. 3
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie die Berufungsbegründungsfrist schuldlos versäumt habe (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Nach der ersten Glaubhaftmachung sei die Handakte noch innerhalb der laufenden Berufungsbegründungsfrist am 19.10.2010 vorgelegt worden, so dass Entschuldigungsgründe nicht ersichtlich seien. An der Richtigkeit der zuletzt abgegebenen, korrigierten eidesstattlichen Versicherungen bestünden erhebliche Zweifel. Weder sei das Schreibversehen nachvollziehbar noch sei plausibel, weshalb die im Fristenkalender auf den 18. Oktober notierte Aktenvorlage dann am 29. Oktober erfolgt sei.
II.
Rz. 4
Die gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.
Rz. 5
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt die Antragsgegnerin weder in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. BGH v. 11.6.2008 - XII ZB 184/07, FamRZ 2008, 1605 Rz. 6 m.w.N.).
Rz. 6
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insb. einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass die fristgebundene Maßnahme rechtzeitig ergriffen wird. Ist dies geschehen, darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Die Erledigung fristgebundener Sachen ist am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders zu überprüfen (BGH Beschl. v. 12.4.2011 - VI ZB 6/10 - juris m.w.N.).
Rz. 7
Die zuverlässige Fristenkontrolle muss der Prozessbevollmächtigte selbst organisieren. Er muss sicherstellen, dass die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst gestrichen oder in anderer Weise als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristgebundene Maßnahme durchgeführt, die Handakte also anlässlich der Vorfrist vorgelegt bzw. der fristwahrende Schriftsatz bei Ablauf der Notfrist postfertig gemacht worden ist. Dabei muss der Prozessbevollmächtigte auch Vorkehrungen treffen, die geeignet sind, versehentliche Erledigungsvermerke im Fristenkalender zu verhindern (BGH Beschl. v. 10.7.1997 - IX ZB 57/97, NJW 1997, 3177 m.w.N.).
Rz. 8
3. Nach diesen Maßstäben hat die Antragsgegnerin die Fristversäumung nicht ausreichend entschuldigt. Denn nach ihrem eigenen Vorbringen waren sowohl der 18. Oktober - als Vorfrist für die Vorlage der Handakte - als auch noch einmal der Tag des eigentlichen Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist korrekt im Fristenkalender eingetragen. Dass diese Eintragungen gleichwohl nicht dazu führten, dass die Handakte tatsächlich rechtzeitig vorgelegt und die Rechtsmittelbegründung rechtzeitig gefertigt worden sei, ließe nur den Schluss zu, dass entweder im Laufe beider Tage die Frist im Kalender als erledigt gekennzeichnet worden wäre, ohne dass die zu veranlassende Maßnahme tatsächlich ergriffen war, oder am Ende beider Tage versäumt worden wäre, die Erledigung aller fristgebundener Sachen anhand des Fristenkalenders zu überprüfen. Die Antragstellerin hat nicht dargelegt, welche dieser möglichen Fehler tatsächlich ursächlich war, geschweige denn hat sie den Fehler genügend entschuldigt. Die schlichte Angabe, die Handakte sei, und zwar gleich zweimal, von der sonst zuverlässigen Bürokraft nicht zu den im Fristenkalender notierten Terminen vorgelegt worden, genügt ohne eine in sich geschlossene Darstellung, durch welche Umstände es zu den Fehlern kommen konnte, welche Vorkehrungen zur Vermeidung der Fehler der Prozessbevollmächtigte zuvor ergriffen hatte und warum diese Vorkehrungen in dem konkreten Fall gleich zweimal nicht gegriffen haben, nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 2723659 |
FamFR 2011, 370 |