Leitsatz (amtlich)
Zu den Begründungsanforderungen, wenn eine Unterbringung von einem Jahr angeordnet oder genehmigt werden soll (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 21.4.2021 - XII ZB 520/20 FamRZ 2021, 1242).
Normenkette
FamFG § 329 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Beschluss vom 31.05.2021; Aktenzeichen 5 T 185/21) |
AG Merzig (Beschluss vom 14.07.2020; Aktenzeichen 4 XVII (R) 209/19) |
Tenor
Dem Betroffenen wird als Beschwerdeführer für das Verfahren der Rechtsbeschwerde ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt beigeordnet.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des AG Merzig vom 14.7.2020 und der Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Saarbrücken vom 31.5.2021 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Betroffene leidet seit 2012 an einer paranoid-psychotischen Störung aus dem schizophrenen Formenkreis. Seit Juni 2017 ist für ihn eine Betreuung eingerichtet. Nachdem der Betroffene im Juni 2020 nach der Einnahme einer Überdosis von Aufputschmitteln in eine Klinik eingeliefert werden musste, hat das AG auf Antrag des Betreuers zunächst durch einstweilige Anordnung die geschlossene Unterbringung des Betroffenen bis längstens 17.7.2020 genehmigt.
Rz. 2
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen hat das AG auf Antrag des Betreuers mit Beschluss vom 14.7.2020 die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 13.7.2022 genehmigt. Hiergegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Das LG hat einen Verfahrenspfleger bestellt, den Betroffenen angehört und schließlich dessen Beschwerde zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat diese Entscheidung aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen, weil es an einer ausreichenden Begründung für eine Unterbringungsdauer von mehr als einem Jahr fehlte (BGH, Beschl. v. 21.4.2021 - XII ZB 520/20 FamRZ 2021, 1242). Mit Beschluss vom 31.5.2021 hat das LG unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen den Beschluss des AG dahingehend abgeändert, dass die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis zum 26.6.2021 gerichtlich genehmigt wird. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Feststellung begehrt, dass die genannten Beschlüsse ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg; sie führt zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des Amts- und des LG.
Rz. 4
1. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der - hier vorliegenden - Erledigung der Unterbringungsmaßnahme aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (vgl. BGH, Beschl. v. 2.12.2020 - XII ZB 291/20 FamRZ 2021, 462 Rz. 5 m.w.N.).
Rz. 5
2. Die Entscheidungen von AG und LG haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, was nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG festzustellen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 2.12.2020 - XII ZB 291/20 FamRZ 2021, 462 Rz. 6 m.w.N.).
Rz. 6
a) Die erneute Entscheidung des LG verletzt den Betroffenen in seinen Rechten, weil darin die Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung für die festgesetzte Dauer von insgesamt einem Jahr (§ 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG) nicht ausreichend dargelegt wurden.
Rz. 7
aa) Zwar ist das LG noch zutreffend davon ausgegangen, dass sich der Fristablauf für die erforderliche Dauer einer Unterbringung grundsätzlich an dem Zeitpunkt der Erstellung des Sachverständigengutachtens orientieren muss und die Frist daher nicht erst mit der gerichtlichen Entscheidung beginnt (vgl. BGH, Beschl. v. 13.4.2016 - XII ZB 236/15 FamRZ 2016, 1065 Rz. 23 m.w.N.).
Rz. 8
Das LG hat bei seiner Entscheidung jedoch nicht berücksichtigt, dass die Jahresfrist des § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG eine Höchstgrenze darstellt, die nicht als Regelfrist verstanden werden darf (vgl. MünchKommFamFG/ 3. Aufl., § 329 Rz. 4). Die Dauer der Unterbringungsmaßnahme ist daher stets für den konkreten Einzelfall und unter strikter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes festzusetzen und kann auch für einen kürzeren Zeitraum festgelegt werden (vgl. BeckOK/FamFG/ [Stand: 1.7.2021] § 329 Rz. 2). Deshalb muss das Gericht auch dann, wenn es die Höchstfrist von einem Jahr nach § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG festsetzen möchte, begründen, warum es genau diese Dauer wählt. Die Begründung darf sich dabei nicht darauf beschränken, der festgesetzte Zeitraum entspreche der gesetzlich vorgesehenen Jahresfrist (MünchKommFamFG/ 3. Aufl., § 329 Rz. 4; BayObLG FamRZ 1995, 695, 696).
Rz. 9
bb) Diesen Anforderungen wird die erneute Entscheidung des LG nicht gerecht. Denn es fehlt weiter an einer tragfähigen tatrichterlichen Würdigung der für die Unterbringungsdauer maßgeblichen Umstände. Die Begründung des LG erschöpft sich darin, die Ausführungen des Senats in dessen Entscheidung vom 21.4.2021 ( FamRZ 2021, 1242) zu den Anforderungen an die Begründung bei Festsetzung einer Unterbringungsdauer von mehr als einem Jahr wortgetreu zu wiederholen und daraus den Schluss zu ziehen, dass damit die Unterbringung auf längstens ein Jahr festzusetzen sei. Ob möglicherweise eine kürzere Unterbringungsdauer in Betracht zu ziehen ist, erörtert das LG nicht, obwohl es der Sachverständige für denkbar gehalten hat, dass bereits nach sechs Monaten der Unterbringung abhängig vom klinischen Verlauf und nach Absprache mit dem Klinikpersonal "Lockerungsbestrebungen" vorgenommen werden könnten. Das LG hat sich ersichtlich auch nicht die Frage vorgelegt, ob im Hinblick auf die bereits verstrichene Zeit, in der der Betroffene zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung bereits in einer geschlossenen Einrichtung behandelt worden ist, eine Verbesserung seines Gesundheitszustands erreicht wurde, der die Festsetzung einer kürzeren Unterbringungsdauer hätte rechtfertigen können.
Rz. 10
b) Ebenso wird der Betroffene durch die Entscheidung des AG in seinen Rechten verletzt, weil auch diese keine ausreichende Begründung für die festgesetzte Unterbringungsdauer enthält.
Rz. 11
3. Der Betroffene ist durch die nicht ausreichend begründete Unterbringungsdauer in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden. Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf erledigten - Unterbringungsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff i.S.d. § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. BGH, Beschl. v. 2.12.2020 - XII ZB 291/20 FamRZ 2021, 462 Rz. 21 m.w.N.).
Rz. 12
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen
Haufe-Index 14891605 |
FuR 2022, 53 |
NJW-RR 2022, 147 |
BtPrax 2022, 28 |
JZ 2021, 739 |
MDR 2022, 118 |
FF 2022, 43 |
FamRB 2021, 7 |
R&P 2022, 53 |