Verfahrensgang
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München - 21. Zivilsenat - vom 30. Januar 2023 gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf Kosten des Klägers zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.
Gründe
Rz. 1
I. Der Kläger begehrt die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung einer fondsgebundenen Lebensversicherung. Den Versicherungsvertrag schloss er bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) im sog. Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) mit Beginn der Versicherung zum 1. April 2000 ab; den Vertrag vermittelte sich der Kläger selbst. Das Policenbegleitschreiben vom 7. April 2000 enthielt die folgende Widerspruchsbelehrung:
"Sie können dem Versicherungsvertrag ab Stellung des Antrags bis zum Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich der Versicherungsbedingungen und der übrigen Verbraucherinformationen widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs."
Rz. 2
Im Juni 2000 wurde der Lebensversicherungsvertrag auf Antrag des Klägers um eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ergänzt. Im September 2001 begehrte der Kläger von der Beklagten eine Erhöhung der Leistungen im Bereich der Zusatzversicherung; ein entsprechendes Angebot der Beklagten nahm der Kläger nicht an. Im Dezember 2003 trat der Kläger die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an einen weiteren Versicherer ab, um dessen Ansprüche auf Rückzahlung nicht verdienter Provisionsvorschüsse abzusichern. Im Jahr 2005 wurde die Beklagte über die Freigabe der Abtretung informiert. Im Mai 2011 erkundigte sich der Kläger bei der Beklagten nach der Möglichkeit einer Änderung des die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung betreffenden Teils des Vertrages; auf ein entsprechendes Angebot ging der Kläger nicht ein. Auf Antrag des Klägers wurde im Jahr 2011 durch die Beklagte ein Fondswechsel veranlasst. Im September 2019 erkundigte sich der Kläger nach vertraglich nicht vereinbarten "Erhöhungsoptionen". Im Oktober 2019 und Mai 2020 fragte der Kläger bei der Beklagten nach den Kosten der versicherten Berufsunfähigkeit sowie mehrfach erneut nach der Möglichkeit eines Fondswechsels; zu einem Wechsel der Anlageform oder einer sonstigen Änderung des Versicherungsvertrages kam es nicht. Mit Schreiben vom 28. Januar 2021 kündigte der Kläger den Vertrag, woraufhin die Beklagte an den Kläger den Rückkaufswert auszahlte. Mit Schreiben vom 11. März 2021 erklärte der Kläger den Widerspruch nach § 5a VVG a.F.
Rz. 3
Mit der Klage begehrt der Kläger die Rückzahlung von ihm geleisteter Zahlungen zuzüglich Nutzungen abzüglich der Risikokosten und des ihm bereits ausgezahlten Rückkaufswertes. Nach seiner Auffassung sei es ihm möglich gewesen, wegen der fehlerhaften Belehrung den Vertrag noch im Jahr 2021 wirksam zu widerrufen.
Rz. 4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Rz. 5
II. Das Berufungsgericht hat einen bereicherungsrechtlichen Zahlungsanspruch des Klägers verneint. Ob dem Kläger die Möglichkeit genommen wurde, trotz fehlerhafter Belehrung über die Form des Widerspruchs sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter den gleichen Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, könne offenbleiben. Der Widerspruch sei jedenfalls rechtsmissbräuchlich; es sei dem Kläger nach Treu und Glauben wegen unzulässiger Rechtsausübung gemäß § 242 BGB verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen. Solche Umstände lägen hier vor. Das Zeitmoment sei ohne Weiteres gegeben, weil der Widerspruch nach außergewöhnlich langer Zeit, nämlich knapp 21 Jahre nach Vertragsschluss erfolgt sei. Der Kläger habe bei der Beklagten nicht nur Informationen und Angebote für Vertragsänderungen eingeholt, sondern eine zusätzliche Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen, den Vertrag zur Sicherheit abgetreten und den Fonds gewechselt. Als weiteres wesentliches Umstandsmoment sei anzusehen, dass der Kläger nicht nur als Versicherungsnehmer am Zustandekommen des Vertrages beteiligt gewesen sei, sondern auch als Vermittler und eine entsprechende Abschlussprovision erhalten habe. Die Beklagte habe im Hinblick darauf, dass der Kläger langfristig im Versicherungswesen tätig sei, davon ausgehen können, dass er Kenntnis von das Widerspruchsrecht betreffender, aus den Jahren 2013 und 2014 stammender Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs habe und sein Widerspruchsrecht zeitnah nach diesen Entscheidungen wahrnehme und nicht weitere sieben Jahre verstreichen lasse. Hinzu komme, dass der Kläger den Vertrag nur sechs Wochen vor dem Widerspruch gekündigt habe. Auch wenn die bloße Kündigung für sich genommen kein Umstandsmoment für die Verwirkung begründe, habe sich die Beklagte unter den hier gegebenen Umständen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Kläger sich aus Sicht der Beklagten in Versicherungsbedingungen auskennen musste, darauf verlassen können, dass die Kündigung im Jahr 2021 eine bewusste Entscheidung hierfür und eben nicht für einen Widerspruch gewesen sei. Ein solcher sei aus Sicht der Beklagten nach der Kündigung nicht mehr zu erwarten gewesen.
Rz. 6
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht mehr vor und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
Rz. 7
1. Das Berufungsgericht hat die Revision zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen. Die Frage, ob die Grundsätze aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40) allgemeine Gültigkeit haben und ob ein unionsrechtlich gewährleistetes Rücktrittsrecht überhaupt wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers erlöschen könne, wenn der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde, werde in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet; eine höchstrichterliche Entscheidung hierzu liege noch nicht vor.
Rz. 8
Die vom Berufungsgericht formulierte Frage ist mittlerweile geklärt. Mit Urteil vom 19. Juli 2023 (IV ZR 268/21, VersR 2023, 1151 Rn. 17 ff.) hat der Senat entschieden und im Einzelnen begründet, dass auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteile vom 24. Februar 2022, A unter anderem [unit-linked-Versicherungsverträge], C-143/20 und C-213/20, EU:C:2022:118 = NJW 2022, 1513; vom 9. September 2021, Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40; vom 19. Dezember 2019, Rust-Hackner u.a., C-355/18, C-356/18, C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667) die Geltendmachung des Widerspruchsrechts gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 a.F. VVG auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein kann, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind. Geklärt ist durch die Senatsentscheidung vom 19. Juli 2023 entgegen der Ansicht der Revision inzwischen auch, dass ein subjektives Tatbestandsmerkmal keine Voraussetzung ist, um dem Versicherungsnehmer ein ihm auf Grundlage der Lebensversicherungsrichtlinien eingeräumtes Widerspruchsrecht, über das er nicht ordnungsgemäß belehrt worden war, wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens zu verwehren (IV ZR 268/21, VersR 2023, 1151 Rn. 17 ff.).
Rz. 9
2. Die Revision hat auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
Rz. 10
a) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden und von der Revisionserwiderung - zu Recht - nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte die Beklagte den Kläger zwar nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung enthielt keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 29. Juli 1994 gültigen Fassung erforderliche, aber auch ausreichende Schriftform des Widerspruchs.
Rz. 11
b) Das Berufungsgericht hat aber rechtsfehlerfrei angenommen, dass ein Bereicherungsanspruch des Klägers nach § 242 BGB hier ausnahmsweise wegen widersprüchlichen Verhaltens des Klägers ausgeschlossen ist.
Rz. 12
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats kann auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind. Dementsprechend hat der Senat bereits tatrichterliche Entscheidungen gebilligt, die in Ausnahmefällen mit Rücksicht auf besonders gravierende Umstände des Einzelfalles auch dem nicht oder nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer die Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs verwehrt haben (Senatsurteil vom 19. Juli 2023 - IV ZR 268/21, VersR 2023, 1151 Rn. 9 m.w.N.). Allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlerhafte Belehrung der Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung des Widerspruchsrechts entgegensteht, können nicht aufgestellt werden. Vielmehr obliegt die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall dem Tatrichter. Auch in Fällen eines fortbestehenden Widerspruchsrechts kann die Bewertung des Tatrichters in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (Senatsurteil vom 19. Juli 2023 aaO Rn. 10 m.w.N.).
Rz. 13
bb) Das Berufungsgericht hat sich an diesen Grundsätzen orientiert und rechtsfehlerfrei das Vorliegen besonders gravierender Umstände festgestellt, die dem Kläger die Geltendmachung seines Anspruchs verwehren. Ein Erfolg des Rechtsmittels des Klägers folgt entgegen der Ansicht der Revision nicht schon aus der Außerachtlassung entscheidungserheblicher Tatsachen; welche Umstände hier bei der Abwägung der Umstände des Einzelfalls zuungunsten des Klägers außer Betracht geblieben sein sollen, legt die Revision nicht dar.
Rz. 14
Die Würdigung des Berufungsgerichts verstößt - anders als die Revision meint - auch nicht gegen die durch den Senat aufgestellten Wertungsmaßstäbe. Einen solchen Verstoß stellt es insbesondere nicht dar, dass das Berufungsgericht die nachträgliche Einbeziehung einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung in den Lebensversicherungsvertrag, die Abtretung der Ansprüche aus dem Vertrag mit der Beklagten an einen weiteren Versicherer, die Veranlassung eines Fondswechsels, den Zeitpunkt der Kündigung sowie in der Person des Klägers zu vermutende Kenntnisse zum Widerspruchsrecht nach jahrzehntelanger Tätigkeit als Versicherungsvermittler jedenfalls in ihrem Zusammenspiel als geeignete Grundlage dafür angesehen hat, den Widerspruch als dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechend einzuordnen. Ob nach der Senatsrechtsprechung in anderen Fallgestaltungen ein einzelner dieser Umstände alleine für die Verwehrung des Widerspruchsrechts gemäß § 242 BGB nicht ausreichend ist (vgl. zur Abtretung der Ansprüche als Kreditsicherungsmittel Senatsurteile vom 19. Juli 2023 - IV ZR 268/21, VersR 2023, 1151 Rn. 11; vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 22; zur Vertragsänderung Senatsurteil vom 21. Dezember 2016 - IV ZR 217/15, r+s 2017, 129 Rn. 14), ist hier entgegen der Ansicht der Revision ohne Relevanz, da es auf eine tatrichterliche Gesamtschau ankommt, die hier aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist.
Rz. 15
3. Die grundsätzliche Klärung entscheidungserheblicher Rechtsfragen erst nach Einlegung der Revision steht einer Revisionszurückweisung durch Beschluss nicht im Wege (Senatsbeschluss vom 24. Januar 2023 - IV ZR 18/22, VersR 2023, 719 Rn. 14 m.w.N.).
Prof. Dr. Karczewski |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Bommel |
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Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Rücknahme der Revision erledigt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 16183943 |
VuR 2024, 239 |