Entscheidungsstichwort (Thema)
Allgemeine Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO. Keine Anwendbarkeit des § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO, wenn ein Anspruch wegen Verletzung eines Anlageberatungsvertrags geltend gemacht wird, auch wenn sich der Anspruchsgegner bei der Beratung auf öffentliche Kapitalmarktinformationen bezogen hat
Leitsatz (amtlich)
Wird ein Beklagter wegen Verletzung eines Anlageberatungsvertrages auf Schadensersatz in Anspruch genommen, findet § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO keine Anwendung, auch wenn sich der Beklagte bei der Beratung auch auf öffentliche Kapitalmarktinformationen bezogen hat.
Normenkette
ZPO § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das LG München I bestimmt.
Gründe
[1] I. Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz. Er trägt zur Begründung seiner Klageforderung vor:
[2] Er sei vom Geschäftsführer und Mitarbeitern der Beklagten zu 2) telefonisch und schriftlich über eine Beteiligung an dem "VIP 4-Fonds" beraten worden. Die Beklagte zu 2) habe dabei einen Prospekt "VIP Medienfonds 4" und diverse andere Informationsschriften verwandt. Aufgrund dieser Beratung habe er mit der M. GmbH einen Treuhandvertrag über eine Kommanditbeteiligung an der ... GmbH & Co. KG i.H.v. 25.000 EUR geschlossen. Er habe an die Fondsgesellschaft einschließlich eines Agios von 1.250 EUR insgesamt 14.875 EUR gezahlt. Den Rest habe die Beklagte zu 3) finanziert. Gegenstand des VIP 4-Fonds habe die Herstellung und der Vertrieb von Kino-, Fernseh- und Musikproduktionen mit einem angeblich abschreibungsfähigen Aufwand im Jahre 2004 von 338.830.143,39 EUR sein sollen. In den öffentlich vertriebenen Prospekten der VIP Medienfonds 4 GmbH & Co. KG sei nicht darüber aufgeklärt worden, dass das Großteil des Fondsvermögens nicht für die Produktion von Filmen verwendet worden sei und dass die Fonds keine echten Garantiefonds seien. Hätte die Beklagte zu 2) ihn hierüber ordnungsgemäß beraten, so hätte er sich an dem Fonds nicht beteiligt. Der Beklagte zu 1) hafte als Initiator und Hintermann, die Beklagte zu 3) sei für den verwendeten Prospekt verantwortlich.
[3] Der Beklagte zu 1) befindet sich in München in Untersuchungshaft, die Beklagte zu 2) hat ihren Sitz in Neuss, die Beklagte zu 3) in München. Der Kläger hat beim LG Düsseldorf Klage eingereicht, die allen Beklagten zugestellt worden ist. Der Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 3) haben die örtliche Unzuständigkeit des LG Düsseldorf gerügt. Mit Schriftsatz vom 11.7.2006 hat der Kläger das OLG Düsseldorf um Gerichtsstandsbestimmung ersucht und in erster Linie beantragt, das LG Düsseldorf als zuständiges Gericht zu bestimmen.
[4] Das OLG Düsseldorf hat sich zwar gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als berufen angesehen, den Gerichtsstand zu bestimmen. Es möchte jedoch von einer solchen Bestimmung absehen, da für alle Beklagten der gemeinschaftliche besondere Gerichtsstand des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO begründet sei.
[5] Das OLG Düsseldorf hat die Sache dem BGH vorgelegt, weil es mit der beabsichtigten Entscheidung von den Entscheidungen anderer OLG abweichen würde.
[6] II. Die Vorlage ist zulässig.
[7] Gemäß § 36 Abs. 3 ZPO hat ein OLG, das mit der Zuständigkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem BGH vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abweichen will. Diese Voraussetzungen liegen vor.
[8] Das vorlegende OLG will seiner Entscheidung die Auffassung zugrunde legen, eine Gerichtsstandsvereinbarung sei deshalb nicht erforderlich, weil für alle Beklagten der gemeinschaftliche besondere Gerichtsstand des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO begründet sei. Mit dieser Rechtsauffassung würde das vorlegende OLG jedenfalls von derjenigen der OLG Stuttgart, Celle, Frankfurt und Hamburg abweichen, die einen gemeinschaftlichen besonderen Gerichtsstand deswegen verneint haben, weil jedenfalls in Bezug auf denjenigen von mehreren Beklagten, der die Beteiligung an dem Fonds lediglich vermittelt habe, § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht anzuwenden sei. Das OLG Düsseldorf würde zudem auch von der Entscheidung des OLG München abweichen, das § 32b ZPO für nicht anwendbar gehalten hat, weil diese Vorschrift bei Vermögensanlagen des ungeregelten sog. Grauen Kapitalmarkts nicht gelte (ZIP 2006, 1699).
[9] III. Der Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung ist begründet. Ein gemeinsamer besonderer oder ausschließlicher Gerichtsstand für alle Beklagten liegt nicht vor. Die Voraussetzungen für die ausschließliche Zuständigkeit nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO sind hinsichtlich der Beklagten zu 2) nicht erfüllt.
[10] Allerdings setzt die Anwendung der Vorschrift nicht voraus, dass Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden, die auf bestimmten spezialgesetzlichen Regelungen beruhen; sie umfasst alle Haftungstatbestände. Voraussetzung ist nur, dass der Schaden, für den Ersatz verlangt wird, aufgrund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen entstanden ist (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 15/5091, 33 zu Nr. 2; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 32b Rz. 5). Der Begriff der öffentlichen Kapitalmarktinformation ist in § 1 Abs. 1 Satz 3 Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG) definiert. Danach sind öffentliche Kapitalmarktinformationen solche, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmte Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten enthalten, die einen Emittenten von Wertpapieren oder Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen betreffen. Dieser Begriff war im Regierungsentwurf enger gefasst und ist auf Empfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 15/5695, 23) erweitert worden auf "alle Anbieter sonstiger Vermögensanlagen". Entgegen der Auffassung des OLG München (a.a.O.) werden damit auch diejenigen Kapitalanlagen erfasst, für die eine Prospektpflicht gesetzlich nicht geregelt ist. Die Vorschrift setzt eine Prospektpflicht nicht voraus, sie knüpft vielmehr daran an, dass der Schaden aufgrund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen verursacht worden ist.
[11] Gleichwohl ist § 32b Abs. 1 ZPO nicht anwendbar, soweit der Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu 2) gerichtet ist. Denn diese wird wegen ihrer falschen oder unzureichenden Beratung im Rahmen eines Anlageberatungsvertrags in Anspruch genommen und nicht aufgrund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen. Anspruchsgrundlage ist insoweit eine Verletzung des Anlageberatungsvertrags, der nicht schon deshalb öffentliche Kapitalmarktinformationen zum Gegenstand hat, weil sich die Beklagte zu 2) bei ihrer Beratung auch auf öffentliche Kapitalmarktinformationen bezogen hat. Die Beklagte ist auch nicht Anbieter i.S.v. § 32b ZPO. Anbieter ist nur derjenige, der für das öffentliche Angebot von Vermögensanlagen verantwortlich ist und so auch den Anlegern gegenüber auftritt (Begründung des Regierungsentwurfs eines Anlegerschutzverbesserungsgesetzes - AnSVG, BT-Drucks. 15/3174, 42). Diese Voraussetzungen treffen auf die Beklagte zu 2) nicht zu.
[12] Ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung lässt sich nach dem Vortrag des Klägers ebenfalls nicht feststellen. Ein anderer gemeinsamer Gerichtsstand der Beklagten ist mithin nicht begründet, so dass eine Gerichtsstandsbestimmung erforderlich ist.
[13] IV. Der Senat hat es für zweckmäßig gehalten, als zuständiges Gericht das LG München I zu bestimmen. Dort hat die Beklagte zu 3) ihren allgemeinen Gerichtsstand. Für den Beklagten zu 1) und die Beklagte zu 3) ist dort auch der Gerichtsstand des § 32b ZPO. Außerdem sind beim LG München I eine Vielzahl von Parallelverfahren anhängig, so dass es auch zur Erreichung einer einheitlichen Behandlung sinnvoll erscheint, das LG München I als zuständiges Gericht zu bestimmen.
Fundstellen
BB 2007, 686 |
NJW 2007, 1364 |
BGHR 2007, 463 |
EBE/BGH 2007 |
WM 2007, 587 |
WuB 2007, 477 |
ZIP 2007, 602 |
AnwBl 2007, 98 |
MDR 2007, 972 |
BKR 2007, 255 |
ZBB 2007, 143 |