Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmissbräuchlichkeit eines PKH-Antrags zur Aufhebung einer Scheinehe. Verfahrensfinanzierungspflicht des durch die Scheinehe finanziell profitierenden Ehegatten. Glaubhaftmachung

 

Leitsatz (amtlich)

a) Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Aufhebung der mit einem Ausländer zum Zwecke der Erlangung eines Aufenthaltstitels eingegangenen Scheinehe ist nicht rechtsmissbräuchlich.

b) Eine Partei, die rechtsmissbräuchlich die Ehe geschlossen und hierfür ein Entgelt erhalten hat, trifft grundsätzlich die Pflicht, hiervon Rücklagen zu bilden, um die Kosten eines Eheaufhebungsverfahrens finanzieren zu können (im Anschluss an den BGH v. 22.6.2005 - XII ZB 247/03, FamRZ 2005, 1477).

c) Die Behauptung der Partei, das für die Eingehung der Scheinehe versprochene Entgelt nicht erhalten zu haben, ist dem Gericht auf Verlangen glaubhaft zu machen.

 

Normenkette

BGB §§ 1313, 1564; ZPO § 114 S. 1, §§ 115, 118 Abs. 2 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

OLG Koblenz (Beschluss vom 20.04.2009; Aktenzeichen 11 WF 274/09)

AG Bingen am Rhein (Entscheidung vom 05.02.2009; Aktenzeichen 9 F 1/09)

 

Tenor

Der Antragstellerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats - 3. Senat für Familiensachen - des OLG Koblenz vom 20.4.2009 gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der vorgenannte Beschluss aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Gerichtskosten werden für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.

Beschwerdewert: bis 600 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für ein Verfahren auf Aufhebung der mit dem Antragsgegner geschlossenen Ehe.

Rz. 2

Die 1968 geborene Antragstellerin schloss am 7.3.2008 vor dem Standesamt A. (Türkei) eine Scheinehe mit dem Antragsgegner, einem türkischen Staatsangehörigen. Hierfür versprach ihr der Antragsgegner einen Betrag von 10.000 EUR, den die Antragstellerin nach ihrer Darstellung jedoch nicht erhalten hat. Eine eheliche Lebensgemeinschaft wurde nicht begründet.

Rz. 3

Das AG - FamG - hat der Antragstellerin die nachgesuchte Prozesskostenhilfe versagt. Ihre sofortige Beschwerde blieb erfolglos. Mit der vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihr Begehren weiter.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Rz. 5

Für das Verfahren ist gem. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Verfahrensrecht anwendbar, weil das Verfahren vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.2009 - XII ZR 50/08, FamRZ 2010, 357 - Rz. 7 m.w.N.).

Rz. 6

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil das Beschwerdegericht sie gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen hat. Daran ist der Senat gebunden (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO).

Rz. 7

Zwar kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (BGH v. 22.6.2005 - XII ZB 247/03, FamRZ 2005, 1477 m.w.N.). Das ist hier indessen der Fall, da die Antragstellerin geltend macht, die personenbezogene Beurteilung ihrer Rechtsverfolgung als rechtsmissbräuchlich sei nicht gerechtfertigt.

Rz. 8

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Zurückverweisung an das Beschwerdegericht.

Rz. 9

a) Das Beschwerdegericht (OLG Koblenz NJW-RR 2009, 1308) hat die Auffassung vertreten, die nachgesuchte Prozesskostenhilfe sei wegen Rechtsmissbrauchs zu versagen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Rechtsverfolgung sei mutwillig, wenn die Ehe nur zu dem Zweck geschlossen wurde, einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu verschaffen. In diesem Fall könnten die Erschleichung der Aufenthaltserlaubnis, die Heirat und das Scheidungsbegehren nicht voneinander isoliert betrachtet, sondern müssten als Gesamtplan gewürdigt werden. Die Antragstellerin habe eine Ehe geschlossen, die nach den Vorstellungen beider Parteien nie vollzogen werden sollte. Sie habe daher das Rechtsinstitut der Ehe in Erwartung eines finanziellen Vorteils missbraucht. Dass dieser Vorteil nicht eingetreten sei, weil das versprochene Entgelt nach ihrer Darstellung nicht bezahlt wurde, ändere hieran nichts. Auch einer Partei, die nur aus Gefälligkeit eine Ehe mit einem Ausländer schließe, um diesem zu einer Aufenthaltserlaubnis zu verhelfen, könne Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden.

Rz. 10

b) Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.

Rz. 11

Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 Satz 1 ZPO). Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen nach dieser Bestimmung Prozesskostenhilfe für ein auf Aufhebung einer Scheinehe gerichtetes Verfahren zu gewähren ist, wird in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich beantwortet (vgl. die Darstellung im BGH v. 22.6.2005 - XII ZB 247/03, FamRZ 2005, 1477).

Rz. 12

Das BVerfG hat die Frage, welche Auswirkungen die Rechtsmissbräuchlichkeit des Eingehens einer Scheinehe auf das Prozesskostenhilfebegehren für die anschließende Scheidung der Ehe hat, offen gelassen (BVerfG FamRZ 1984, 1206, 1207). Nach Ansicht der Richter, deren Auffassung die vorgenannte Entscheidung nicht getragen hat, ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die erforderlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben sind. Die Ablehnung des Prozesskostenhilfegesuchs mit der Begründung, wegen des Missbrauchs des Rechtsinstituts der Ehe dürfe der Steuerzahler nicht mit den Kosten des Scheidungsverfahrens belastet werden, finde im Gesetz keine Stütze. Eine solche Entscheidung führe dazu, dass die bedürftige Partei unter Verletzung des Grundsatzes der Rechtsanwendungsgleichheit schlechter gestellt werde als die nicht bedürftige. Da rechtsmissbräuchlich zwar die Eingehung einer Scheinehe, nicht aber deren Scheidung sei, wäre eine reiche Partei nicht gehindert, im Wege des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens die Aufhebung einer Scheinehe zu erreichen. Die arme Partei werde hingegen an der Scheinehe festgehalten (BVerfG, a.a.O.).

Rz. 13

Dieser Betrachtungsweise schließt sich der erkennende Senat an (vgl. bereits BGH v. 22.6.2005 - XII ZB 247/03, FamRZ 2005, 1477; dem folgend OLG Frankfurt FamRZ 2006, 1128; OLG Köln FamRZ 2008, 1260; OLG Saarbrücken FamRZ 2009, 626; OLG Hamm Beschl. v. 5.10.2010 - II-2 WF 218/10 - Juris; Johannsen/Henrich/Jaeger Familienrecht 5. Aufl., § 1565 BGB Rz. 18; Staudinger/Rauscher BGB [2010] § 1564 Rz. 141). Wenn die Rechtsordnung die zu ehefremden Zwecken geschlossene Ehe als wirksam ansieht, stellt ein Eheaufhebungs- oder Scheidungsbegehren die einzige Möglichkeit zur Auflösung einer solchen Ehe dar. Bereits das spricht dagegen, das Prozesskostenhilfegesuch als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Auch eine bemittelte Partei könnte die Auflösung einer Scheinehe nicht auf anderem Weg erreichen. Als rechtsmissbräuchlich kann daher grundsätzlich nur die Eingehung der Scheinehe als solche gesehen werden, nicht aber die Beseitigung der dadurch eingetretenen Rechtsfolgen durch die Eheaufhebungsklage.

Rz. 14

c) Ob Prozesskostenhilfe wegen Mutwillens versagt werden könnte, wenn die Parteien schon bei der Heirat die Scheidung beabsichtigt und gewusst hätten, dass sie diese nicht würden bezahlen können (so OLG Hamm Beschl. v. 4.2.2000 - 11 WF 407/99 - Juris; OLG Koblenz FamRZ 2004, 548; OLG Naumburg FamRZ 2004, 548, 549; OLG Rostock FamRZ 2007, 1335; Philippi FPR 2002, 479, 484; Johannsen/Henrich/Markwardt Familienrecht 5. Aufl., § 114 ZPO Rz. 19) bedarf hier keiner Entscheidung. Denn der Antragstellerin wurde nach eigener Darstellung ein Entgelt für die Eingehung der Scheinehe versprochen, von dem sie eine Rücklage für das Eheanfechtungsverfahren hätte bilden können und müssen (vgl. BGH v. 22.6.2005 - XII ZB 247/03, FamRZ 2005, 1477). Es kann daher nicht festgestellt werden, dass ihr Gesamtplan von vornherein darauf angelegt war, die spätere Eheaufhebungsklage unter Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe zu führen. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin das versprochene Entgelt nach ihrer Darstellung nicht erhielt und sie die Prozesskostenrücklage somit nicht bilden konnte, begründet keinen Mutwillen in ihrer Person.

Rz. 15

d) Danach hat das OLG der Antragstellerin die nachgesuchte Prozesskostenhilfe jedenfalls zu Unrecht wegen rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme versagt. Die Sache ist daher an das OLG zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO), um diesem eine abschließende Prüfung der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu ermöglichen (§ 115 ZPO). Diese Prüfung kann der Senat nicht selbst vornehmen, da es hierzu noch weiterer Aufklärung bedarf.

Rz. 16

e) Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Rz. 17

aa) Eine Partei, die rechtsmissbräuchlich eine Ehe geschlossen und hierfür ein Entgelt erhalten hat, trifft die Verpflichtung, hiervon Rücklagen zu bilden, um die Kosten eines - regelmäßig absehbaren - Eheaufhebungsverfahrens finanzieren zu können (BGH v. 22.6.2005 - XII ZB 247/03, FamRZ 2005, 1477). Nur wenn die Partei zur Bildung von Rücklagen nicht imstande war, können die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfüllt sein. Dass die Partei nach diesen Grundsätzen hilfsbedürftig ist, hat sie im Einzelnen darzulegen. Sie muss deshalb angeben, welche Beträge sie erhalten und wie sie die Mittel verwendet hat.

Rz. 18

Behauptet die Partei, das für die Eingehung der Scheinehe versprochene Entgelt nicht erhalten zu haben, hat sie dieses dem Gericht auf Verlangen glaubhaft zu machen. Das Gericht kann dazu Erhebungen anstellen, insb. die Vorlegung von Urkunden anordnen und Auskünfte einholen (§ 118 Abs. 2 Satz 1, 2 ZPO). Wie weit die Glaubhaftmachung verlangt wird, steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (Zöller/Philippi ZPO, 28. Aufl., § 118 Rz. 16). Allerdings besteht bei einer Partei, die sich bereits durch die Eingehung der Scheinehe gegen die Rechtsordnung gestellt hat, regelmäßig Veranlassung, ihre weitere Darstellung, das dafür versprochene Entgelt nicht erhalten zu haben, einer genaueren Überprüfung zu unterziehen.

Rz. 19

bb) Ferner hat sich die Bedürftigkeitsprüfung darauf zu erstrecken, dass ein Unterhaltsanspruch oder ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegen den Ehemann nicht besteht (OLG Celle FamRZ 2007, 762) oder nicht durchzusetzen ist (OLG Köln FamRZ 1994, 1409). Die Darlegungen hierzu, die die Antragstellerin bereits von sich aus hätte erbringen müssen (Zöller/Philippi ZPO, 28. Aufl., § 117 Rz. 14), kann das OLG nachfordern.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2679532

NJW 2011, 1814

NJW 2011, 8

EBE/BGH 2011

FuR 2011, 473

JR 2012, 383

JurBüro 2011, 429

JurBüro 2011, 501

InfAuslR 2011, 323

MDR 2011, 621

AGS 2011, 608

FF 2011, 263

FamFR 2011, 258

FamRB 2011, 215

PA 2011, 165

RVGreport 2011, 275

FK 2011, 124

NRÜ 2011, 245

Rafa-Z 2011, 10

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